Tätigkeitsbericht
"Existenzkrisen": Frauenberatungsstelle Perg zieht Jahresbilanz

Leiterin Gabi Schauer (links) mit ihrer Kollegin Heidi Wabro vor der Frauenberatungsstelle Perg in der Dr.-Schober-Straße. | Foto: BRS
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Die Nachwehen der Pandemie waren im Vorjahr auch in der Frauenberatung Perg zu spüren. Niedrige Einkommen, Teilzeit- und prekäre Beschäftigung in Verbindung mit Kürzungen der Sozialleistungen führten bei vielen Frauen zu Existenzkrisen. Auch die Beratungsstelle selbst steht unter finanziellem Druck.

PERG. "Aufgrund der aktuellen Teuerungswelle kommen Frauen noch mehr unter Druck", berichtet die Frauenberatungsstelle. Im Rahmen der Beratungstätigkeit wurden im Vorjahr 383 persönliche Beratungsgespräche, 485 telefonische und 75 E-Mail-Beratungen durchgeführt. Die Schwerpunkte der Beratung waren familiäre Probleme, Beziehungskonflikte, Fragen zu Trennung/Scheidung, Obsorge, Unterhalt und Kontaktrecht, gefolgt von sozialen Krisen und Existenzsorgen, Gewalterfahrungen, gesundheitlichen Problemen, Armut und Unvereinbarkeit von Beruf und Familie.

Traditionelle Rollenbilder können zu Armut führen

Veraltete Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen würden soziale Risiken bergen, erklärt Gabi Schauer, Leiterin der Frauenberatung Perg. Zum Beispiel Benachteiligung am Arbeitsmarkt, geringes Einkommen aufgrund von Teilzeitarbeit, Verzicht auf Karriere, geringere Pension, ökonomische Abhängigkeit und Armutsgefährdung im Falle einer Trennung.

"Nach der Geburt eines Kindes verdienen Frauen im Durchschnitt 51 Prozent weniger als zuvor, was sich maßgeblich auf ihre Pension auswirkt."
Gabriele Schauer, Leiterin der Frauenberatung Perg

"Existenzbedrohliche Situationen sind extrem belastend und verursachen bei den Betroffenen Stress, Ängste, Sorgen und Schlafstörungen bis hin zu Depressionen", berichtet die Frauenberatung aus ihrem Alltag. "Leistbare Wohnungen, existenzsichernde Einkommen und Sozialleistungen sind wesentliche Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben", unterstreichen Schauer und ihre Kollegin Heidi Wabro.

Die meisten Frauen würden sich eine gleichberechtigte Beziehung auf Augenhöhe wünschen, in der Verantwortung gerecht aufgeteilt wird. "In der Realität übernehmen immer noch Frauen den überwiegenden Anteil der Betreuungs- und Hausarbeit und Männer den überwiegenden Teil der Erwerbsarbeit. Selbst wenn sich Paare die Familien- und Erwerbsarbeit einigermaßen gerecht aufteilen, sind Frauen für die emotionale Stabilität der Kinder und für Harmonie und Ausgleich innerhalb der Familie bzw. der Beziehung zuständig." Der Grund dafür seien veraltete, verinnerlichte Rollenbilder und die damit verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen.

Beratungsstellen unter finanziellem Druck

Auch die Frauenberatungsstellen selbst kämpfen jedes Jahr ums finanzielle Überleben. Da in den vergangenen zehn Jahren die Fördermittel vom Land OÖ nur geringfügig erhöht wurden, würden Frauenberatungseinrichtungen immer wieder in Gefahr geraten, ihr Angebot nicht aufrechterhalten zu können.

Es reicht nicht aus, immer wieder öffentliche Bestürzung auszudrücken bei der Veröffentlichung von Gewaltstatistiken oder Frauenmorden, wenn gleichzeitig Frauenbratungsstellen um jede halbe Stelle kämpfen müssen.
Gabriele Schauer, Frauenberatung Perg

Die jährlichen KV-Erhöhungen und Indexsteigerungen bei Miete und anderen laufenden Kosten müssen durch Projekte finanziert werden. "Die Folgen: prekäre Beschäftigungsverhältnisse, fragile Absicherung der Existenz der Einrichtung, keine Planungssicherheit der Arbeit und des Angebots, zunehmender administrativer Aufwand durch Projektförderanträge und weniger Ressourcen für Beratungstätigkeit und Vernetzungsarbeit", kritisiert Schauer.

Wohnen wird zur Armutsfalle

Niedrige Einkommen, hohe Mietpreise – auch bei öffentlich geförderten Wohnungen – und die Verschärfungen durch die Wohnbeihilfen-Reform 2018 in OÖ und zuletzt die Anrechnung der WBH auf die "Sozialhilfe Neu" seit Jänner 2020 betreffen Frauen sehr stark, berichtet die Frauenberatung. Die Anrechnung der WBH auf die Sozialhilfe führe zu Einkommensverlusten bis zu mehreren hundert Euro. "Immer häufiger verlangen Wohnungsgenossenschaften von Frauen mit niedrigen Einkommen Bürgschaften oder andere Sicherheiten, z.B. Vorauszahlungen von ein bis zwei Monatsmieten."

Frauen mit Migrationshintergrund

"Zugewanderten Frauen wird häufig unterstellt, sie würden Sozialleistungen missbrauchen", so die Frauenberatung. Die Mitarbeiterinnen klären auf: "Sozialleistungsansprüche sind abhängig von der Dauer des Aufenthaltes in Österreich und an Sprachkenntnisse geknüpft. So müssen zugewanderte Frauen aus Drittstaaten in den letzten fünf Jahren 4,5 Jahre sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben und Deutschkenntnisse auf A2-Niveau nachweisen. Dabei wird die Notstandshilfe nicht mehr angerechnet."

Die Frauenberatung liefert ein Beispiel aus ihrer Beratungstätigkeit: Eine Frau aus der Türkei, 59 Jahre alt, geschieden, lebt seit 20 Jahren Österreich (Aufenthaltsstatus: Daueraufenthalt). In Österreich hat sie, bis sie gesundheitliche Probleme bekam, in einer Fast-Food-Kette Vollzeit gearbeitet. Nach einer Hüft-OP wurde sie im Krankenstand gekündigt. Nachdem ihr Arbeitslosengeldanspruch in die Notstandshilfe überging, wurde ihr die Wohnbeihilfe gestrichen.

"Hohe bürokratische Hürden bei Antragstellungen führen auch zu langen Wartezeiten auf Bescheide und die Sozialhilfe-Auszahlung. Anträge werden erst bearbeitet, wenn Bescheide und Höhe der Wohnbeihilfe, Alimente und Unterhaltsansprüche geklärt sind. In der Zwischenzeit müssen aber die laufenden Kosten für Miete, Strom, Essen, usw. bezahlt werden", so Schauer.

"In der Beratung machen wir immer wieder die Erfahrung, dass die Behörden/Ämter keine Rücksicht auf die Lebensrealitäten von Frauen nehmen. Zum Beispiel, ob Frauen über die technischen digitalen Voraussetzungen verfügen, die zur Erfüllung der geforderten Nachweise/Anträge notwendig sind, oder ob sie die Behördensprache (Bescheide) sprachlich oder inhaltlich verstehen, oder ob sie aktuell in einer persönlich schwierigen Lebenslage/Ausnahmesituation sind."
Frauenberatung Perg

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