Abschied Pfarrer Franz Wöckinger
"Ich darf zum Beruf machen, was mir Kraft gibt"

12 Jahre lang fand die Pfarrgemeinde in Franz Wöckinger einen tatkräftigen, couragierten und vielfältig vernetzten Seelsorger. | Foto: Eckhart Herbe
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  • 12 Jahre lang fand die Pfarrgemeinde in Franz Wöckinger einen tatkräftigen, couragierten und vielfältig vernetzten Seelsorger.
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Genau 12 Jahre nach seinem Einstand in St. Georgen an der Gusen beginnt für Pfarrer Franz Wöckinger am 1. September in Steyr ein neuer Lebens- und Berufsabschnitt.  Er wird gleichsam geistlicher Leiter und Manager der "Neuen Pfarre Steyr", die sich aus gleich neun städtischen und sechs Umlandpfarren zusammensetzt. Über diese Mission als Pionier in den neuen diözesanen Strukturen und seine Impressionen und Erfahrungen aus zwölf Mühlviertler Jahren spricht der beliebte Seelsorger im  Abschiedsinterview mit der BezirksRundSchau.
(Hinweis des Autors: Das Interview wurde aufgrund langer persönlicher Vertrautheit der Gesprächspartner in "Du"-Form geführt.)

ST.GEORGEN/GUSEN. Jeder, der einen markanten Umbruch im Leben plant, geht damit anders um. Pfarrer Franz Wöckinger sieht seinen Abschied nach Steyr als persönliche Chance: Als Möglichkeit in einer Umbruchszeit, in der nicht nur kirchliche Strukturen, sondern im Empfinden vieler Landsleute generell vertraute Säulen unserer Gesellschaft wanken, gleich von Anfang an aktiv als Gestalter im Strom der Veränderung aktiv zu werden. Es sei jedenfalls besser, den neuen Weg positiv mitzubeeinflussen, als vielleicht erst später ins dann schon wieder in eine vorgegebene Richtung kanalisierte kalte Wasser zu springen. Mit dieser Einstellung und einem klaren Wertefundament, das er in seiner bisherigen Pfarre konsequent gelebt hat, startet der 52-Jährige die Mission "Neue Pfarre Steyr" am 1. September. Zuvor wurde er am 15. August in St. Georgen von seiner Kirchengemeinde feierlich verabschiedet.
 
Bevor wir nach vorne schauen, lohnt ein Blick zurück. St. Georgen war deine erste Wirkungsstätte, die du vollverantwortlich als Pfarrer geführt hast. Bitte um eine kurze Vita deines bisherigen Lebens.
Geboren wurde ich am 12. Jänner 1971 in Unterweitersdorf, bin also 52 Jahre alt. Meine kirchliche Ausbildung startete mit dem Theologiestudium in Linz und Rom an der Universität Gregoriana. Mein Pastoraleinführungsjahr hatte ich in Garsten, jeweils drei Jahre als Kooperator folgten in Eferding (1997 –2000) und Ebensee (2000 -2003). Danach sammelte ich Lebenserfahrung im Umgang mit jungen Leuten als Religionslehrer und Schulseelsorger am Gymnasium Petrinum (2003 – 2011). Parallel dazu arbeitete ich als Kurat in der Dompfarre (2003-2008) und Pfarrmoderator in Linz St. Markus (2008-2011).

Und dann kam St. Georgen als erste eigene Pfarre? 
Ja, genau für zwölf bereichernde Jahre – seit 1. September 2011.

Was waren und sind die Herausforderungen in dieser sehr großen Pfarre? Wie kann man das als Einzelperson meistern, ohne auszubrennen? Worin schöpfst du persönlich Kraft?

Ich hatte hier das Privileg, dass mir alle Verwaltungs- und Bau- und Wirtschaftsaufgaben, an denen ich vielleicht ausbrennen hätte können, von sehr kompetenten Menschen abgenommen wurden. Vor ein paar Jahren hat ein Bischofsvikar in die Herbstausgabe der kirchlichen Mitarbeiterzeitung geschrieben: Er hoffe, dass im Urlaub alle ihre Batterien aufladen konnten. Dieses Bild hat sich in mir gespießt. Ich will gar nicht so arbeiten, dass sich dabei in mir Batterien entleeren. Ich durfte das zu meinem Beruf machen, was mir Kraft gibt. Manchmal sage ich: Ich bin von der Arbeit frei gestellt, damit ich die Aufgaben als Priester gut erfüllen kann. Mein Beruf ist Teil meines Lebens. Darum verstehe ich den Begriff Work-Life-Balance nicht. Platz muss sein für Reflexion und geistliche Begleitung. Ich brauche Zeit zum Beten und zum Lesen und für Bewegung in der Natur. Singen tut mir auch gut. Das kommt in meinem Beruf ohnehin ausgiebig vor.

Hättest du dir gewünscht, für bestimmte Bereiche oder Themen mehr Zeit zu haben?
Die Begräbnisse und Trauergottesdienste folgten oft in sehr kurzen Abständen aufeinander. Eine längerfristige seelsorgliche Begleitung wäre manchmal sinnvoll gewesen. Das fehlt. Obwohl es nicht immer leicht für mich war, war ich in meinen ersten Priesterjahren zugleich auch gern Religionslehrer. Dazu habe ich hier keinen Freiraum gesehen.

Gibt beziehungsweise gab es für dich in deiner St. Georgener Zeit Projekte, das dir besonders am Herzen liegen?
Einmal im Monat habe ich zum „Bibel-Teilen“ eingeladen. Das ist eine Methode des Bibellesens, bei der es nicht um Vielwissen oder sprichwörtliche Bibelfestigkeit geht, sondern darum, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebenserfahrungen in einem meditativen Rahmen miteinander teilen, was ein konkreter Bibeltext in ihnen auslöst und zum Klingen bringt. Das war für mich selbst oft interessant, wie verschiedene Menschen ganz unterschiedlich von einem altbekannten Bibeltext angesprochen werden.
Wichtig ist mir auch die „Kerze der Hoffnung“ für verfolgte Christen. Sie steht am Seitenaltar. Daneben liegt immer eine Unterschriftenliste an bestimmte Staatsvertretungen mit konkreten Namen Inhaftierter. Beim Dekorieren für „schöne“ Feste wie etwa die Erstkommunion wird diese Kerze mit dem Stacheldraht rundherum manchmal weggeschoben, weil sie scheinbar die Harmonie stört. Als ich hier ganz neu war, ging es darum, das bereits beschlossene Kunstprojekt zu Johann Gruber und zu den im Pfarrgebiet ermordeten Opfern der Konzentrationslager umzusetzen. Wie wir hier im Ort zu Allerheiligen gemeinsam mit dem Kameradschaftsbund für alle Opfer von Kriegen und Gewalt beten, halte ich für wertvoll und nicht selbstverständlich.

Erinnerst du dich an besonders prägende und emotionale Begegnungen?
Im Sommer 2014 habe ich eine Fußwallfahrt von St. Georgen nach Mariazell organisiert, nachdem ich ein Jahr zuvor ganz allein gegangen war. Da waren im Nu 30 Personen angemeldet, mit unterschiedlicher „Kirchennähe“. Und für eine kirchliche Veranstaltung viele Männer. Auf so einem mehrtägigen Weg ergeben sich menschliche und seelsorgliche Begegnungen, für die am Kirchenplatz oder im Beichtstuhl die Voraussetzungen fehlen. Und dann spielten Musiker und Sänger aus unserer Pfarre den Gottesdienst in der Basilika. Was ich nicht geplant hatte: Inzwischen ist daraus eine richtige Tradition geworden, deren Hauptorganisation gar nicht mehr bei mir liegt. Und super ist, dass das keine fixe Gruppe ist, in die niemand mehr dazu darf. Sondern es gibt sowohl den treuen Stamm als auch immer neue und einmalig Mitgehende.
Schöne Erinnerungen habe ich aber auch an die Besuche als Nikolaus in verschiedenen Familien.

Schlagen die großen Belastungen der letzten Jahre – etwa die Flüchtlingswellen, Corona, Ukrainekrieg, Inflation oder Klimakrise auch ins Pfarrleben durch? Wie erlebst du das persönlich?
Die Meinungsverschiedenheiten zu allen diesen Herausforderungen gehen quer durch die Kirche genauso wie sie quer durch die Gesellschaft gehen. Für den Frieden sind wir alle und beim Frieden schaffen sind wir alle gleich ratlos. Konsens gibt es zum Naturschutz. Wir Christen sagen: Schöpfungsverantwortung. Die Pfarre ist nicht nur dem Klimabündnis beigetreten, wir machen auch ganz pragmatisch, aber überzeugt im Alltag mit. Anlässlich der ohnehin akut notwendigen Heizungserneuerung sind wir von Gas auf Nahwärme umgestiegen. Und es gab in den letzten zwölf Jahren keine Pfarr-Reise mehr mit dem Flugzeug.

Man erkennt ein steigendes  Bedürfnis nach Trost,  Gemeinschaft, Rat fürs Leben  und Spiritualität. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Katholiken jährlich, werden wöchentliche Messebesucher zur langsam aussterbenden Gattung...
Das Bedürfnis nach Sinn und Gemeinschaft und Spiritualität gehört immer zum Menschen. Gerade deshalb müssen wir uns als Kirche selbstkritisch fragen, ob Suchende und Fragende das bei uns finden können. Dass die, die von der Kirche enttäuscht sind, plausible Gründe anführen, müssen wir bescheiden zur Kenntnis nehmen aber auch als Herausforderung aufgreifen.
Andererseits sind die teilweise sehr verschiedenen Frömmigkeitsstile und theologischen Positionen gar nicht so leicht unter einen Hut, in eine kirchliche Gemeinschaft zu bringen. „Mir geht nix ab“, sagen mir Menschen, die sich vom kirchlichen Leben verabschiedet haben. Manchmal aber liegt mir beim Blick auf sie auf der Zunge, was Nietzsche über die Christen gesagt hat: „Erlöster müssten sie mir aussehen, wenn sie mich überzeugen möchten.“

Wo hat sich das kirchliche Leben  und dein Amt als Pfarrer in der Zeit, seit der du Priester bist, generell verändert und wie wird es sich deiner Meinung nach weiter verändern? Etwa in Organisation, durch den Priestermangel, sinkende Katholikenzahl oder die zunehmend selbstbewusster werdende Forderung des Kirchenvolks nach Frauen in Weiheämtern.

Menschen gehen nicht mehr in die Kirche, weil sie müssen oder weil sie sonst Nachteile hätten. Manchmal muss ich mich selbst an der Nase nehmen, damit ich nicht enttäuscht auf die leeren Plätze, sondern voll Freude auf die schaue, die heute da sind und mitfeiern und sich beteiligen. Wir werden nicht mehr von 10 Prozent herunter, sondern von 0 hinauf zählen und uns über alle freuen, die in einer nicht mehr kirchlich geprägten Umgebung ihren Glauben bewusst leben und teilen und sich für ein kirchliches Leben entscheiden.
Welche Kirchenämter es braucht, ist immer neu zu fragen. Da hat es in der Kirchengeschichte auch Veränderungen gegeben. Dass Frauen von hilfreichen Aufgaben und Ämtern ausgeschlossen sind, ist weder mit Jesus noch mit der Bibel zu begründen. Wer da sagt, die Kirche dürfe sich nicht einfach dem Zeitgeist um den Hals werfen, übersieht, dass auch die aktuellen Regelungen Frucht eines Zeitgeists sind – aber halt eines Zeitgeists aus vergangenen Zeiten.

Apropos Veränderung: Du bist bald einer der Pioniere in den neuen Strukturen, die sich die Kirche gegeben hat. Kannst du kurz beschreiben, wie deine künftigen Aufgaben aussehen werden?
Als Pfarrer gehöre ich zu einem dreiköpfigen Pfarrvorstand, dem auch noch eine leitende Theologin und ein Wirtschaftsvorstand angehören. Neu ist eine noch stärkere Einbindung und Begleitung der Ehrenamtlichen, die in den Pfarrgemeinden verstärkt auch mit Leitungsaufgaben betraut werden. Fördern und Bewirken soll ich auch eine stärkere Zusammenarbeit der Priester, obwohl wir uns Priester uns meistens sehr autonome Arbeitsweisen angewöhnt haben.

Welche bisherigen Pfarren gehören nun in der neuen Struktur dazu und wie werden diese betreut?
Die neun zum Teil recht kleine Pfarrgemeinden im Stadtgebiet Steyr und sechs Pfarrgemeinden aus dem Umland bilden die „neue Pfarre Steyr“. Ehrenamtliche Seelsorge-Teams werden diese Pfarr(teil)gemeinden leiten, indem einzelne Männer und Frauen klar definierte Aufgabenbereiche übernehmen. Durch eine gute und aktive Begleitung durch die Priester und Theologinnen sollen sie dazu ermutigt und befähigt werden.

Was siehst du dabei als größte Herausforderung, wo liegen Potentiale?

Dass die Räume ziemlich groß sind und dass es noch wenig Erfahrungen in der Zusammenarbeit über Ortsgrenzen hinweg gibt, ist eine Herausforderung. Potentiale liegen in den Menschen mit all ihren Talenten und mit ihrer Spiritualität und mit ihrer Liebe zur Welt und zu den Menschen.

Hast du dein neues Umfeld schon kennenlernen können?
Zumindest die Priester und die Pastoralassistenten habe ich bei einer Klausur, die über drei Termine verteilt war, kennengelernt. Da haben wir uns schon intensiv über die kirchliche Situation vor Ort unterhalten. Bei einem Abendtermin im Juni konnte mich ein etwas größerer Kreis erstmals erleben. Fürs erste nehme ich ein großes Vorschuss-Vertrauen wahr. Mir ist klar, dass dort nicht alles leicht sein wird. Aber momentan überwiegt in mir die neugierige Vorfreude. Und der Zauber des Anfangs strahlt noch über die anzupackenden Herausforderungen und über die offenen Fragen.

Wann und wie wirst du in Steyr starten?
Am 1. September mit einer Messe. Dann will ich möglichst schnell die haupt- und die hoffentlich vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kennenlernen. Auch mit dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben in Steyr will ich mich im ersten Jahr vertraut machen.

Willst du deiner baldigen Ex-Pfarre noch etwas mit auf den Weg geben ?
Ich wünsche euch, dass auch in der neuen großen Pfarre, die aus dem Dekanat Perg entsteht, miteinander der Glaube gefeiert und christliches Leben aufbauend und ermutigend gelebt wird. Und natürlich Danke will ich allen sagen für die große persönliche Wertschätzung, die ich anlässlich meines 25jährigen Priesterjubiläums im Vorjahr und meines anstehenden Abschieds erfahren durfte.

Herzlichen Dank für deine Gedanken, viel Erfolg und positive Motivation für die Mission Steyr! 

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