„Zäune allein werden Problem nicht lösen“

Maria Berger (59) sammelt Spenden für die jungen Flüchtlinge in Perg. | Foto: Privat
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  • Maria Berger (59) sammelt Spenden für die jungen Flüchtlinge in Perg.
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PERG. Die Perger Juristin Maria Berger war SP-Europaabgeordnete und Justizministerin unter Kanzler Alfred Gusenbauer. Seit 2009 ist sie Richterin am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.

BezirksRundschau: Wie kann man sich Ihre Arbeit am Europäischen
Gerichtshof vorstellen?

Berger: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg ist die höchste gerichtliche Instanz der Europäischen Union und besteht seit 1952. Er hat sehr vielfältige Aufgaben. Alle Gerichte der 28 Mitgliedstaaten sind berechtigt, bei ihnen anhängige Fälle, die einen Bezug zum Recht der Europäischen Union haben, dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Da kommen die unterschiedlichsten Fragen, zum Konsumentenschutz, zum Umweltschutz, zum Steuerrecht zu den Rechten der Unionsbürger und zu den Rechten von Drittstaatsbürgern und vieles anderes mehr. Wir entscheiden auch in letzter Instanz in Kartellverfahren, bei denen es dann schon einmal um Geldbußen für Unternehmen von mehreren hundert Millionen Euro gehen kann. Zuständig sind wir auch für Klagen, die die Europäische Kommission gegen einen Mitgliedstaat einbringen kann, wenn dieser das Recht der Union nicht respektiert. Auch hier können wir Geldbußen verhängen. Wie haben wie ein Verfassungsgerichtshof auch die Befugnis, gesetzliche Bestimmungen der EU aufzuheben.
Der EuGH besteht aus dem EU- Gericht und dem Gerichtshof als höchster Instanz, der ich angehöre. Am Gerichtshof sind wir 28 Richterinnen und Richter. Jeder Mitgliedstaat nominiert eine Richterin oder einen Richter. Die Funktion des Richters am Europäischen Gerichtshof und das Mitglied der Kommission sind die beiden höchsten Funktionen, die jeder Mitgliedstaat besetzen kann und die beiden Funktion werden gleichwertig behandelt. Die Zusammensetzung der Richter ist derzeit sehr vielfältig, einige der Kollegen waren früher Präsidenten oder Mitglieder nationaler Höchstgerichte, andere sind renommierte Professoren des Europarechts und wir sind auch drei ehemalige Justizminister. Als einzelne Richterin muss ich für die mir zugeteilten Fälle die mündliche Verhandlung betreuen und dann einen Urteilsentwurf erstellen. Das muss in unserer Arbeitssprache französisch sein. Die Entscheidung über die Urteile fällen dann je nach Schwierigkeitsgrad drei, fünf, 15 oder alle 28 Richter zusammen.

Welche großen Fälle gab es in jüngster Zeit?
Zu den wichtigsten Urteilen aus letzter Zeit, für die ich verantwortlich war, gehören jene zum Zugang zu Sozialleistungen für EU-Bürger aus anderen Mitgliedstaaten. Hier haben wir entschieden, dass Bürger aus anderen Mitgliedstaaten, die in Deutschland nicht arbeiten oder nur kurz gearbeitet haben, nach EU-Recht keinen Anspruch auf die sog. Hartz-IV Leistungen (Mindestsicherung) haben. Unser wichtigstes Urteil aus der letzten Zeit, war jenes das auf Betreiben des österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems gegen Facebook geklagt hat. Hier haben wir die Übermittlung von personenbezogenen Daten in die USA untersagt, da dort die Geheimdienste einen zu weiten Zugriff auf Kommunikationsinhalte haben.

Wieviel Zeit verbringen Sie noch in Perg, ist Perg noch „daheim“?
Leider kann ich derzeit nur zu Feiertagen und in den Ferien in Perg sein, ich muss die meiste Zeit in Luxemburg verbringen. Einige Tage bin auch immer wieder in Wien, um meinen Verpflichtungen als Honorarprofessorin an der Universität Wien nach zu kommen. Heimat ist und bleibt aber sicher Perg.

Was sagen Sie zum Wahlergebnis in Perg (SP jetzt hinter der FP auf Platz 3)? Was könnte die SP besser machen?
Das Wahlergebnis ist aus SPÖ-Sicht sicher sehr enttäuschend, da ich aber bei der SPÖ Perg nicht mehr mitarbeiten kann, möchte ich nicht über die Medien Ratschläge geben.

Sie haben eine Spendenaktion für die unbegleiteten Flüchtlinge in Perg gestartet, warum?
Die Betreuung und Integration der Flüchtlinge kann nur gelingen, wenn sich zusätzlich zu den Behörden und Verbänden auch viele Freiwillige engagieren. Ich bin sehr stolz darauf, dass in Perg sowohl seitens der Gemeinde als auch der Bürgerinnen und Bürger überwiegend eine sehr positive Einstellung herrscht. Die Spendenaktion kann ohnehin nur ein kleiner Beitrag sein, aber bis jetzt sind durch die Spenden und den von meinen Schwestern und einigen Freundinnen und mir organisierten Flohmarkt schon ca. 1700 Euro zusammengekommen. Davon werden wir in Abstimmung mit der Heimleitung Winterkleidung kaufen und zur Einrichtung des zukünftigen Gemeinschaftsraums beitragen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Spenderinnen und Spendern sehr herzlich bedanken.

Welche Lösung könnte es für die so genannte Flüchtlingskrise geben? Sind Zäune ein richtiger Schritt?
Es müssen alle derzeit in Angriff genommen Initiativen energisch weiterverfolgt werden: die militärische Bekämpfung des ISIS, eine Austrocknung der Finanzierung von ISIS, eine Lösung der Konflikte in Syrien, im Irak und in Afghanistan, eine bessere Betreuung der Flüchtlinge in den Lagern rund um Syrien, eine Zusammenarbeit mit der Türkei, bessere Grenzkontrollen an den Außengrenzen, insb in Griechenland und in Italien durch europäische Unterstützung und eine Durchsetzung einer fairen Verteilung innerhalb der Union. Der Europäische Gerichtshof wird ja demnächst über die Klage der Slowakei gegen die Flüchtlingsquoten zu entscheiden haben. Zäune alleine werden das Problem nicht nachhaltig lösen können. Auch wenn alle anderen Maßnahmen greifen werden, müssen wir uns darauf einstellen, dass immer wieder Flüchtlinge kommen werden, wenn auch weniger. Damit umzugehen, muss zu einem Normalfall werden und nicht zu einem Ausnahmefall, wo die Behörden und alle Beteiligten jeden Tag improvisieren müssen.

Sie sind bis 2018 am EuGH, was kommt dann?
Ich habe noch nicht entschieden, ob ich über 2018 hinaus am Gerichtshof in Luxemburg bleiben möchte. Falls nicht, werde ich beruflich wieder in Wien sein, was auch den Vorteil hätte, dass ich wieder öfter zu Hause in Perg sein könnte.

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Maria Bergers Spendenkonto für die unbegleiteten Flüchtlinge in Perg:
RAIBA Perg, IBAN: AT31 3477 7000 0501 0046, BIC: RZOOAT2L777

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Kurz-Biographie Maria Berger

Geboren am 19.8.1956, Perg

Seit 2009 Richterin am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg

Von 1996 bis 2009 Abgeordnete zum Europäischen Parlament (SP), unterbrochen von zwei Jahren als Bundesministerin für Justiz unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (von 11.01.2007 – 02.12.2008)

Bildungsweg
Studium der Rechte und der Volkswirtschaft an der Universität in Innsbruck (Dr. iur.) 1975–1979
Studium der Anglistik und der Romanistik an der Universität in Salzburg 1974–1975
Oberstufenrealgymnasium in Perg (Matura) 1970–1974
Neusprachliches Gymnasium der Kreuzschwestern in Gmunden 1968–1970
Hauptschule 1966–1968
Volksschule 1962–1966

Quelle: www.parlament.gv.at

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