Kommentar: Kinder, die Welt ist schlecht!
WIEN. Freudestrahlend und die Brust geschwelgt wie kleine Superhelden steigen beide Kinder ins Auto. Sie haben gerade eine Schnecke vor dem ziemlich sicheren Tod durch Zerquetschen unter a) Schuhsohlen oder b) Autoreifen gerettet. Ich starte den Motor. Das Radio geht an. „Gestern Nacht kam es zu einem Mordversuch in Simmering. Der mutmaßliche…“ Zu spät drehe ich den Ton leise. „Mama, was ist ein Mordversuch?“
Oje! Auf derartige Gespräche frühmorgens auf dem Weg in den Kindergarten bin ich emotional nicht vorbereitet, obwohl ich eigentlich glaube, einfühlsam erklärt ist auch Kindern die Wahrheit zumutbar (frei nach Ingeborg Bachmann). Aber wie bringe ich ihnen schonend bei, dass es auf der Welt böse Menschen gibt?
Mir fallen auf die Schnelle nur Hänsel und Gretel ein. Als ich fast fertig bin, werde ich unterbrochen: „Wer ist da jetzt der Böse?“ Tja, berechtigte Frage! Die herzlosen Eltern setzen die hilflosen Kinder im dunklen Wald aus. Die Hexe will sie fressen und Gretel stupst die Alte in den Ofen. „Gut“ gibt es nicht in diesem Märchen.
Also kehre ich schweigend zurück in die Realität. Und mir wird klar, dass es an den Eltern liegt, das Unschuldige und Heldenhafte in Kindern zu fördern. Auf dem Weg zum Kindergarten „retten“ wir also noch eine Raupe, eine Marienkäferlarve und eine Heuschrecke. Und heute Abend wird ihnen vor dem Schlafengehen bestimmt kein Märchen aufgetischt!
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