Episoden aus meinem Leben - Kloster im Piemont
Ein Jahr nach dem mißglückten Antritt meines Philosophie-Studiums in Innsbruck bin ich dreiundzwanzig und wieder voll Tatendrang. Ich bin sehr angespannt, als mich der Pater Provinzial, den ich wegen seiner Weltoffenheit sehr schätze, zu sich ruft. Er eröffnet mir, dass er einen Weg gefunden hat, mich wegen des Föhns in Innsbruck eben wo anders studieren zu lassen. Ich bin Feuer und Flamme: endlich geht's weiter. Aber wo? In Österreich gibt es außer der Theologischen Fakultät in Innsbruck kein geeignetes Institut. Langsam dämmert mir, dass es in Italien sein wird, denn dort, wo der Servitenorden am Monte Senario bei Florenz von den Heiligen Sieben Vätern 1233 gegründet wurde, gibt es die Päpstliche Theologische Fakultät "Marianum" in Rom. Trotzdem bahnt sich für mich eine große Überraschung an: Pater Richard, Provinzial der Tiroler Servitenprovinz, die ganz Österreich und Bayern umfasst, eröffnet mir, dass es nicht Rom sein wird. Dort bin ich ja schon im Kloster der Serviten gewesen. Nein, ich werde nach Saluzzo im Piemont versetzt, wo es eine Niederlassung des "Marianum" gibt. - Auch schon egal, endlich geht's weiter auf meiner Karriereleiter in Richtung Primiz oder Priesterweihe.
Wie im Kloster üblich, werden die Entscheidungen viel schneller als in der "normalen" Welt umgesetzt. Ich habe wenig persönliche Habseligkeiten, die locker in zwei Koffern Platz haben und ich brauche mich nicht um eine Unterkunft oder gar um eine Quelle für meinen Unterhalt kümmern. Also vergehen nur ein paar Tage, bis ich aus Innsbruck verabschiedet werde und mich in den Zug nach Turin setze, um von dort nach Saluzzo weiterzureisen.
Erst jetzt, als ich auf dieser doch etwas längeren Reise ganz allein im Zugabteil sitze, wird mir ein Problem bewusst: die Sprache. Ich kann kein Italienisch. Für den Pater Provinzial ist das offensichtlich kein Thema, denn er beherrscht die italienische Sprache perfekt. Ich bin zwar ein Draufgänger, aber mir scheint, dass mein Mut zum Übermut mutiert, wenn ich sorglos ohne Kenntnis der Landessprache in Italien auftauche. Also lege ich mir eine mögliche Strategie zurecht, wie ich dieses Problem meistern könnte.
Wegen der Nähe zu Frankreich ist Französisch die erste Fremdsprache hier im Piemont. Ich habe das jedoch nur ein Jahr lang als Freifach studiert und sehe mich außerstande, eine vernünftige Konversation in Französisch zu führen. Englisch habe ich immerhin vier Jahre lang gelernt und daher traue ich mir zu, mich in dieser Sprache vernünftig unterhalten zu können. Allerdings weiß ich, dass jetzt, im Jahr 1965, Englisch nicht zu den bevorzugten Fremdsprachen in Italien gehört, zumal man zumindest hier im Piemont, ohnehin zuerst Französisch zu lernen hat. Ich werde mir wohl wohl schleunigst die italienische Sprache aneignen müssen. Wird das schnell genug gehen, damit ich nicht in entscheidende Schwierigkeiten hineintappe? Meine Skepsis steigert sich zusehends bis zu meiner Ankunft am Zielort und ich muss alle meine Energie aktivieren, um optimistisch und beherzt auftreten zu können.
Am Bahnhof werde ich vom Pater Magister, meinem künftigen Chef, im klostereigenen PKW abgeholt. Er empfängt mich sehr herzlich und brilliert mit ein paar deutschen Worten. Dann aber läßt er hauptsächlich seine Gesten sprechen, die er mit einigen Worten in Latein untermalt. Bei Latein fühle ich mich schon eher zuhause und versuche, passende Antworten in dieser – offensichtlich doch noch nicht ganz ausgestorbenen Sprache - zu formulieren. Immerhin habe ich, wie es in einem humanistischen Gymnasium auch heute - wie gesagt, wir schreiben 1965 - üblich ist, acht Jahre lang diese Sprache mit gutem Erfolg gelernt.
Von den drei Wörtern, die ich in Italienisch kenne, kann ich allerdings nur eines verwenden. "grazie" (danke). Für "buona notte" (gute Nacht) ist es zu früh. Und "signorina" (Fräulein) kann derzeit kein Thema zwischen mir und meinem Vorgesetzten sein.
Nachdem die Vorlesungen hier in Latein abgehalten werden, beruhigt mich das einigermaßen. Dass der Pater Magister daher Latein beherrscht, ist kein großes Wunder, aber wie schaut das mit meinen italienischen und internationalen Kommilitonen aus? Das beunruhigt mich wieder. Der einzige Lichtblick scheint mir ein Kanadier zu sein, mit dem ich wohl - nicht großartig aber doch - in Englisch parlieren werde können. Die drei Spanier werden mir das Leben wohl nicht erleichtern, denn ich spreche auch kein Spanisch.
Der Pater Magister kümmert sich rührend um mich, führt mich persönlich in meine Zelle, was keiner außergewöhnlichen Sprachkenntnisse bedarf. Und er zeigt mir noch, wo die Kirche, das Chorgestühl und das Refektorium, der klösterliche Esssaal, sind.
Knapp vor dem Abendessen, stellt er mich allen übrigen Klosterinsassen, Patres und Fraters, vor und das natürlich in Italienisch. Es ist nicht so, dass ich nichts verstanden hätte, aber viel nicht. Jetzt kann ich zumindest mein "buona sera" verwenden, verbrämt mit den wenigen lateinischen Wörtern: "Ego venio ex Austria, ex Innsbruck in Tirol." (Ich komme aus Österreich …). Freundliche Blicke und Gesten zeigen mir, dass ich verstanden wurde. Die begleitenden Worte in Italienisch müssen also, der Situation entsprechend, Willkommens-Grüße sein. Bis zum Schlafengehen ergeben sich keine gröberen Probleme und ich bin heilfroh, dass ich den Transfer so reibungslos geschafft habe.
Was am nächsten Tag passiert, lesen Sie demnächst.
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