"Teilverbot ist wohl nur die Vorspeise"

SALZBURG. Während die Stadt Salzburg ihr sektorales Bettelverbot, also jene Plätze und Gassen, auf denen das Betteln künftig verboten ist, präsentierte, spricht Raim Schobesberger vom Roma-Integrationsverein Phurdo im Stadtblatt-Interview von einer Gefährdung des sozialen Klimas in Salzburg durch derartige Maßnahmen.

Die Stadt präsentierte am Montag das sektorale Bettelverbot. Wie sehen und beurteilen Sie die aktuelle Debatte und was vermissen Sie dabei?
RAIM SCHOBESBERGER:
Die Stimmung und die Situation ist sehr angespannt. Es wird in gewisser Weise eine Hetze gegen die Roma-Bettler betrieben, die das soziale Klima in der Stadt gefährdet. Ich selbst sehe mich als Filter, der von allen Seiten die Dinge wahrnimmt und ich bemerke unter den Bettlern eine Angst und Verzweiflung, die sich in den letzten Monaten zunehmend verschärft hat. Für mich ist ein sektorales Bettelverbot einer sogenannten Menschenrechtsstadt wie Salzburg nicht würdig. Meiner Meinung nach geht der Weg, den die Politik beschreitet, in Richtung generelles Bettelverbot. Das sektorale Bettelverbot ist wohl nur die Vorspeise. Es ist eine milde ausgedrückte Vertreibung, denn ich frage mich schon, wohin die Bettler gehen sollen, wenn nicht an frequentierte Plätze, an denen viele Menschen verkehren.

Aber wie kann eine Lösung aussehen, die die Situation entschärft und mit der beide Seiten leben können?
RAIM SCHOBESBERGER:
Hier muss einmal grundsätzlich betont werden, dass die Roma von ihrer Kultur und ihrem Leben her ein sehr genügsames Volk sind. Sie brauchen keinen Luxus und wollen den auch nicht. Es geht um eine menschenwürdige Basisversorgung, die Politik müsste einen Platz schaffen mit einer Basis-Sanitäranlage. Ich erinnere an die Container bei den Park-&-Ride-Plätzen in Salzburg Süd. Dort haben sich die Roma-Bettler wohlgefühlt und da herrschte in der Stadt wesentlich mehr Zufriedenheit und Übereinkommen zwischen den Roma-Bettlern und der Mehrheitsbevölkerung.

Sind die Notschlafstellen keine adäquate Alternative?
RAIM SCHOBESBERGER:
Über die Notschlafstellen ist die Meinung der Mehrheitsbevölkerung sehr gespalten. Manche finden es gut, viele bezeichnen die Notschlafstellen aber als "Bettler-Hotels" und da entsteht dann eine große Neiddebatte. Und darin liegt die große Gefahr.

Sie sind durch den Verein "Phurdo" in engem Austausch mit den Roma-Bettlern. Was sind die Gründe, warum die Roma nach Salzburg kommen?
RAIM SCHOBESBERGER:
Die Roma haben in ihren Heimatländern gelernt, dass ein Roma zu sein Diskriminierung und in der Folge seelische Belastungen und psychische Krankheiten bedeutet. Die Roma verlassen ihre Länder nicht nur aus materiellen Gründen. Es war eine Flucht vor der unerträglichen Diskriminierung. Die Roma waren für vieles der Sündenbock, weil sie ein Volk sind, das sich nie gewehrt hat. Dieses Nicht-Wehren bedauere ich. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Ich habe selbst in einem Ghetto in Mazedonien gelebt, ohne Wasser, ohne Strom, ich kenne die Diskriminierungen. Wenn Menschen heute auf der Straße sitzen und betteln, liegt es an der Armut, und daran, dass sie ihre Lebensgrundlage verloren haben. Das macht keiner freiwillig.

Sprechen Sie hier aus eigener Erfahrung?
RAIM SCHOBESBERGER:
Ja. Ich habe es selbst ausprobiert und neun Stunden "gebettelt". Dieses Gefühl, das man dabei hat, kann man mit Worten nicht beschreiben. Es ist schrecklich und erniedrigend. Der Alltag der Roma-Bettler sieht grausam aus. Die polizeilichen Vorgaben sind sehr streng und es gibt oftmals unbegründete Einschüchterungen.

Was meinen Sie damit?
RAIM SCHOBESBERGER:
Wenn sich zwei Roma-Bettler unterhalten oder nebeneinander stehen, dann wird gleich von organisiertem Betteln gesprochen.

Vor einigen Wochen gab es Aufregung um eine Familie mit einem kleinen Kind, die unter der Brücke genächtigt haben. Kennen Sie diese Familie?
RAIM SCHOBESBERGER:
Ja, ich selbst habe Maria und ihre Familie dann am nächsten Tag zurück nach Rumänien gefahren, habe dort mit der Politik gesprochen. Die Frage ist, wie man dieser Familie helfen kann, damit sie nicht betteln muss. Diese Familie hat absolut nichts in ihrer Heimat Rumänien.

Sie haben – wohl auch als Reaktion auf die Situation von Maria und ihrer Familie – die Idee von "Patenschaften für Roma-Bettler" entworfen. Worum geht es?
RAIM SCHOBESBERGER:

Diese Patenschaften werden von Phurdo organisiert. Konkret können einzelne Bettler, deren Kinder oder ganze Familien finanziell unterstützt werden. Bettler-Paten sollen sich auch selbst vor Ort in Rumänien ein Bild machen können, was mit ihrem Geld geschieht. Dadurch kann etwa Kindern in Rumänien eine Schulausbildung oder eine Berufsausbildung ermöglicht werden.

Was ist der Verein Phurdo:
Der Verein Phurdo hat das Ziel, zwischen Mehrheitsbevölkerung, Roma und Sinti Brücken zu bauen. Im Rahmen von Projekten bemüht sich Phurdo um ein friedliches Zusammenleben und Dialog. Phurdo betreute die Container bei Park & Ride Süd und leistet Streetwork in Salzburg.

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