Seelsorgerin Heidelinde Zahrer
"Diese Menschen fühlen sich vergessen oder weniger wert"

Heidlinde Zahrer aus Suben ist Seelsorgerin in der Justizanstalt Suben und im Pflegeheim Zell. | Foto: Zahrer
  • Heidlinde Zahrer aus Suben ist Seelsorgerin in der Justizanstalt Suben und im Pflegeheim Zell.
  • Foto: Zahrer
  • hochgeladen von Judith Kunde

Pastoralassistentin Heidelinde Zahrer im Interview über Glaube, Schuld und das Gefangensein.

SUBEN. Zahrer ist Seelsorgerin in der Justizanstalt Suben sowie in Pflegeheimen. Sie spricht darüber, was Menschen im Advent beschäftigt.

Was macht für Sie persönlich den christlichen Glauben aus?
Christlicher Glaube hat für mich ganz viel mit Hoffnung, Menschlichkeit, Mitgefühl, Barmherzigkeit, Gottvertrauen, Mut und Freude zu tun. Es bedeutet, authentisch zu sein und mit anderen so umzugehen, wie man es sich für sich selbst wünscht. Es ist eine Lebenshaltung nach dem Vorbild Jesu.

Wie haben Sie selbst zum Glauben gefunden?
Das religiöse Leben mit den Festen und Bräuchen des Kirchenjahres ist mir von klein auf vertraut, da ich in einem religiösen Elternhaus aufgewachsen bin. Als eine der ersten weiblichen Ministranten im Ort und Mitglied der katholischen Jungschar und des Kirchenchores bin ich sozusagen ins Glaubens- und Kirchenleben hinein gewachsen. 

Wieso haben Sie sich für eine Ausbildung in der Seelsorge und als Pastoralassistentin entschieden?
Ursprünglich wollte ich Krankenschwester werden, doch nach dem Übertritt von der 3-jährigen auf die 5-jährige HBLA hat sich mein Berufsziel verändert. In einem Folder für Soziale Berufe entdeckte ich die Lehranstalt für Pastorale Berufe, da wurde ich neugierig. In der Ausbildung am Wiener Seminar inklusive einem Praktikumsjahr in der Pfarre, hatte ich das Gefühl, mit meinen Talenten am richtigen Ort zu sein. Zusammenarbeiten, Feiern und unterwegs sein im Glauben macht mich glücklich. Wie mir erst im Nachhinein klar geworden ist, war der Tag, an dem ich beschloss Pastoralassistentin zu werden, auch mein Namenstag – vielleicht könnte man es Berufung nennen?
 
Sie sind Seelsorgerin in der Justizvollzugsanstalt Suben und in Altenheimen. Was macht diese Art der Seelsorge aus und warum ist sie wichtig?
Seelsorge heißt nahe beim Menschen sein oder ihnen nachgehen. Sowohl Altenheime als auch der Justizvollzug sind Orte, wo Menschen aus dem normalen, gesellschaftlichen Leben rausgefallen sind. Sie fühlen sich manchmal vergessen und weniger wert. Man muss für sie Begegnungsmöglichkeiten schaffen, denn gerade alte Menschen und Gefangene brauchen ganz dringend Wertschätzung, Menschlichkeit und Zuneigung – meiner Erfahrung nach ist das sogar lebensnotwendig. Ihnen zu vermitteln, dass sie nicht alleine und in den Augen Gottes wertvoll sind. Ihnen Zeit schenken.

Warum ist Seeolsorge gerade für diese Personengruppen – man nennt es auch kategoriale Seelsorge – so wichtig?
Lebenssinn und Schuld sind Themen, die sowohl im Altenheim als auch im Gefängnis manchmal spürbar ist. Die Tatsache, dass man Vergangenes nicht mehr gut machen oder verändern kann, wird zur Belastung. Oder das Resümee über das eigene Leben, das auf die letzte Etappe zusteuert, wo familiäre Bindungen sichtbar werden. Wo sie tragen und unterstützen – oder auch wo sie fehlen.

Was braucht es, um eine gute Seelsorgerin zu sein?
Man ist sehr nahe dran am Menschen – im Falle von Altenheimen oder Gefängnissen sogar im persönlichen Umfeld. Es braucht Herz, ein gutes Gespür, Einfühlungsvermögen und  auch Selbstreflexion. Ehrlichkeit und Unvoreingenommenheit sind wichtig. Insassen spüren schnell, wie wer tickt, weil durch das reduzierte Leben in Haft der Gesprächspartner viel intensiver wahrgenommen wird. Auch alte Menschen, besonders mit Demenz, nehmen stark über Emotionen wahr, wer ihnen gegenüber sitzt und ob er das Gesagte ernst meint.

Sie sagen, es gibt eine Parallele zwischen innerem und äußerem Gefangensein.
Äußeres Gefangensein ist das Fehlen von Freiheit, Selbstständigkeit oder Intimität. Ältere Menschen brauchen viel Mut, ihre Gebrechlichkeit, Vergesslichkeit oder ihr Angewiesensein auf Hilfe von Außen anzunehmen. Gefangene brauchen den Mut, sich ihren Handlungen zu stellen und das richterliche Urteil und den Haftalltag anzunehmen. Inneres Gefangen-Sein merke ich dort, wo Menschen nicht aus ihrer Haut können. Sich Verhaltensweisen antrainiert haben, um sich zu schützen, abzuhärten oder sich durchs Leben zu schwindeln. Auch Demenz, der Verlust von Erinnerung oder Sprache oder der Kontrolle über körperliche Funktionen führt zu innerem Gefangensein. Ebenso wie Suchterkrankungen. Weder ein alter noch ein gefangener Mensch kann einfach aufstehen und nach Hause gehen. Seelsorge möchte dabei helfen, innere Freiheit zu schenken.

Sie sind nicht nur für die Bewohner wichtige Ansprechpartnerin, sondern auch fürs Personal.

Auch die Leitung, Pflege- oder Reinigungspersonal im Altenheim brauchen ein offenes Ohr – ebenso wie das Team der Jusitzwache oder Angehörige von Gefangenen oder Heimbewohnern. Austausch, Lob und Dankbarkeit für die wertvolle Arbeit sind wichtig. Bei den Gesprächen geht es um menschliche Probleme, die Familie, das Leben. Oft kommt Gott oder der Glaube vor, für manche ist es ein wichtiger Anker. Nicht nur einmal hat ein Treffen mit dem Satz begonnen "Mit der Kirche hab ich es nicht so..." – und daraus wurde dann ein gutes, tiefsinniges Gespräch. Christsein hat mit dem konkreten Leben zu tun – da darf alles Platz haben. 

Seelsorge ist ein kräftezerrender Job – wie tanken Sie selbst Kraft?
Obwohl sie manchmal herausfordernd ist, erfüllt mich meine Arbeit sehr. Wenn man Gutes für andere tut oder hilft, kommt es oft Vielfach wieder zu uns zurück. Kraft schöpfe ich aus Ruhezeiten nach Gesprächen, in der Stille, bei einem Spaziergang, schöner Musik oder gutem Essen. Ein ganz wichtiger Halt sind Familie und Freunde. Bei heiklen Frage hilft mit der Austausch mit Kollegen oder in der Supervision. Wenn ich gar nicht mehr weiterweiß, schicke ich es nach "oben" und bitte um göttlichen Beistand. Das hilft immer! 

Viele Menschen haben keinerlei Verbindung mehr zur Kirche – was hat die Adventszeit und Weihnachten Menschen anzubieten, die nichts mit Religion am Hut haben?
Advent und Weihnachten ist eine Zeit der Vorbereitung auf das Licht, die Liebe Gottes, die in Jesus Gestalt angenommen hat. Es ist eine Zeit der Hoffnung, der Erwartung auf etwas Helles, Heilsames, Gutes, Versöhnliches. Dabei geht es weniger um Äußerlichkeiten, sondern darum, was einen innerlich erfüllt und froh macht, wofür man dankbar ist, was zusammenhält und Kraft gibt. Im Kleinen, Unscheinbaren und Einfachen kommt Gott in die Welt. Dies gilt es wieder zu entdecken. Daher bietet die Weihnachtszeit „Andockstellen“ auch für Kirchenferne: ein schön geschmückter Kirchenplatz, eine besinnliche Zeit in der leeren Kirche, eine Weihnachtskrippe zum Bestaunen und die jeweiligen Angebote in den einzelnen Pfarren. Gemeinsam Lieder singen, Zeit mit lieben Menschen verbringen, bewusst Geschenke überlegen, aufbauende Texte verschicken oder einen Anruf für die, die sich über ein Lebenszeichen freuen. 

Ist der Advent und der Abschluss des Jahres grundsätzlich eine Zeit, in denen mehr Menschen „Gesprächsbedarf“ haben und kommen hier andere Themen auf als unterm Jahr?
Gerade in der Adventszeit und zu Weihnachten werden Familien und Freunde oft noch schmerzlicher vermisst, die Trennung fällt schwerer als sonst. Besonders, wenn noch kleine Kinder oder Enkelkinder da sind. Da werden familiäre Themen wichtiger, auch eigene Befindlichkeiten wollen erzählt werden.

Haben Sie selbst irgendwelche Traditionen, um vor Weihnachten zu Ruhe und Besinnung zu kommen?
Kerzenlicht, das Sitzen beim Adventskranz, stimmungsvolle weihnachtliche Lieder, ein Winterspaziergang oder Kekse backen stimmen mich auf Weihnachtenein.  Die selbstgebastelte orientalische Krippe meines Vaters wird aufgestellt und meine Söhne freuen sich auch noch über einen Adventskalender und zum Nikolaus ein kleines Sackerl mit Obst, Nüssen, Schoko und paar lieben Gedichtzeilen. Zu den Rauhnächten wird mit Kräutern und Weihrauch sowie Weihwasser die Wohnung ausgeräuchert und gesegnet. Auch das Mitfeiern im Gottesdienst und gestaltete Texte für daheim helfen, uns auf die Ankunft Jesu zur Weihnacht und in uns selber einzustimmen. Ich hoffe, dass heuer Verwandtschaftsbesuche möglich sind. Im Gefängnis gehe ich am 24. Dezember vormittags in alle Abteilungen, verteile mithilfe von MitarbeiterInnen kleine Geschenke von Caritas und Cursillogruppe Braunau an die Häftlinge, singe Weihnachtslieder und wünsche „Frohe Weihnachten und Merry Christmas“

Steckbrief Heidi Zahrer:

Wohnort: Suben
Beruf: Seelsorgerin, Pastoralassistentin
Geburtsdatum: 7. Dezember 1971
Hobbys: Musik, Tanzen, Lesen, Kino, Kochen, Menschen begegnen, andere Kulturen entdecken
Lebensmotto: "Net fürchten – wird scho ois recht." Der liebe Gott ist auch noch da.
Lieblingsessen: Tafelspitz mit Wurzelgemüse, Erdäpfelgeröstl und Semmelkren
Lieblingsgetränk: gespritzter Johannisbeersaft
Lieblingsmusik: ich mag vieles: von Klassik über Rock, R & B, Oldies bis Rap
Ziele: mir selbst treu bleiben, Dankbarkeit, Gesundheit & Glück für meine Familie. Für andere ein kleines Hoffnungslicht sein und an das Gute, Starke erinnern, das in uns wohnt.

Anzeige
1:46
1:46

WKOÖ Maklertipp
Rechtsschutzversicherung: Sichern Sie Ihr Recht!

Eine Rechtsschutzversicherung schützt Sie vor den Folgen von vielen möglichen Konfliktfällen – vor allem finanziell.  Es gibt viele Gründe für einen Streit vor Gericht: Angenommen, Ihr Vermieter erhöht den Mietzins in ungerechtfertigter Weise, Ihr Hund läuft einem Biker vor das Rad, Ihnen wird nach einem Verkehrsunfall das Schmerzensgeld verwehrt oder Ihr Arbeitgeber zahlt die Überstunden nicht. Von all diesen Fällen haben Sie schon gehört oder Sie haben sogar schon selbst eine solche oder eine...

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Schärding auf MeinBezirk.at/Schärding

Neuigkeiten aus Schärding als Push-Nachricht direkt aufs Handy

BezirksRundSchau Schärding auf Facebook: MeinBezirk.at/Schärding - BezirksRundSchau

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Schärding und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du willst eigene Beiträge veröffentlichen?

Werde Regionaut!

Jetzt registrieren

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.