Kommentar
Tour de la Vie

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Bis zum 24. Juli findet derzeit die Tour de France statt. Männer in eng angelegten Trikots quälen sich über Berge oder fahren stundenlang durch eine „plattlebene“, oft sehr langweilige Gegend. Ganz ehrlich, mich hat diese Sportart noch nie sonderlich interessiert und wird es auch nicht. Der ganze Hype um so eine Radtour mit stundenlanger Liveübertragung auf mehreren Fernsehsendern kann ich ebenfalls nicht verstehen. Aber was soll‘s. Jedem seine Sportart und seine Leidenschaft.

Was ich wirklich interessant fand und nach wie vor finde, sind die Geschichten rund um das Event Tour de France. So gab es zum Start der Tour eine Dokumentation über Jan Ullrich. Zufällig auch eine über Lance Armstrong. Wir erinnern uns, beide haben versucht, die sportliche Radrennsportgeschichte neu zu schreiben. Es wäre ihnen auch fast gelungen. Heute wissen wir, dass beide dem Erfolgsdruck und dem öffentlichen Druck erlegen waren. Beide Faktoren hatten zur Folge, dass Ullrich wie auch Armstrong mit verbotenen Substanzen Leistungssteigerungen herbeiführten. Und dass nach Bekanntwerden der Dopingeinnahme – Jahre später - beide Sportler vom Ruhmeshimmel ganz schnell und tief fallen gelassen wurden, von Sponsoren, Medien und Fans. Ein unrühmliches Kapitel im Radrennsport und des gesamten Leistungssports. Heute sind die Kontrollen anscheinend noch strenger und die Konsequenzen noch rigider. Anscheinend. Es könnte aber auch sein, dass zwar kontrolliert wird, aber weniger entdeckt wird, weil die Methoden und Mittel noch nicht, nicht mehr erkannt werden können und/oder man sie von offizieller Seite nicht kennt. Das wäre übrigens nicht sonderlich neu. Die sogenannte Dopingmafia ist in der Antidopingforschung meist Jahre voraus. Muss sie ja auch, damit man den perfekten Sportler auch rechtzeitig vorbereiten kann für die Tour 2023, 24 und so weiter. Das gilt übrigens auch in fast allen anderen Sportarten, wo Spitzenleistungen gefordert werden.

Das, was im Spitzensport teilweise mit Erfolg kontrolliert und sanktioniert wird, bleibt im „normalen“ Leben meist ohne Konsequenzen, außer der eigenen Gesundheit. Gerade im Hobbysportbereich, wie etwa bei Kraftsportarten und Ausdauersportarten werden oft verbotene Mittel verwendet, die gesundheitlich fatale Spätfolgen mit sich bringen. Der eigene Leistungsdruck und die Sucht nach Erfolgen steigt für viele ins Unerreichbare. Der Grund liegt am Alltag. Irgendwann kommt jeder an seine Leistungsgrenze. Bei vielen ist diese Grenze durch die Arbeit und das familiäre Umfeld recht schnell erreicht. Das muss man entweder akzeptieren oder die Sucht treibt einen über diese Grenzen hinweg. Und wir reden hier nicht von Profisportlern, die mit Training und Wettkämpfen ihr Leben finanzieren.

All das ist übrigens kein Phänomen der reinen Sportwelt. Egal ob Profi oder Amateur. Leistungssteigernde Substanzen werden auch im alltäglichen Leben verwendet, weil der Leistungsdruck in verschiedenen Bereichen einfach zu groß ist. Von Schmerzmitteln über Alkohol bis hin zu Aufputschmitteln ist die Sucht in unserer Leistungsgesellschaft sprichwörtlich salonfähig geworden. Nur spricht eben keiner darüber. Das erschreckende an dieser absurden Leistungsspirale ist das immer jünger werdende Alter der Konsumenten solcher Mittel. Das fängt in den Schulen an, wo der Notendruck enorm ist, geht weiter in die Welt der Studierenden und findet es mittlerweile in allen gesellschaftlichen Schichten wieder.

Die Tour des Lebens hat mehr Etappen als die Tour de France und dafür benötigen wir alle viel Ausdauer und Kraft. Am Ende sollte jeder sein Bestes geben, ohne auf unerlaubte Mittel zurückgreifen zu müssen. Sonst ist die Tour de la Vie schneller vorbei, als man denkt.

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