"Ich hätte gerne einen Freund"
Gedanken eines einsamen Esels, der sich über Abwechslung freuen würde.
Leserbrief von Sandra Engelmann
STÖSSING. Heute ist wieder so ein Tag. Mir ist fad. Diese dicke Amselfrau aus dem Gebüsch hat mich mit ihrem Gezeter geweckt. Ich hab aber nicht gesehen, warum sie so ein Theater gemacht hat, jedenfalls hat sie sicher die ganze Umgebung geweckt. Ich hab mich ausgiebig gestreckt und gegähnt und bin eine Runde über meine Koppel gegangen. Alles in Ordnung. Mein Heufrühstück hab ich auch schon gefressen. Jetzt wart ich einmal, ob sich irgendetwas tut. Vielleicht darf ich wieder mal spazieren gehen. Mein Frauchen nimmt mich manchmal an die Leine, und ich spiele Hund und darf dann mit ihr durch den Wald laufen. Nur bellen kann ich nicht. Das gehört sich auch nicht. Immerhin bin ich ja ein Esel. Ich höre gerade etwas, vielleicht kommt sie? Der letzte Ausflug ist schon sooooo lange her. Da sind Hufe zu hören? Ach toll, da kommen zwei Pferde mit Menschen drauf. Die sind etwas hochnäsig, aber vielleicht nehmen sie mich auf den Ausflug mit? Nein. Die sind einfach weitergeritten. Haben nicht einmal hergeschaut. Mir ist fad. Die sind immerhin zu zweit. Da hat man sich schon immer etwas zu erzählen. Ich hätte auch gerne einen Freund. In meinem neuen Stall wäre sogar Platz. Der alte Stall ist ja sogar für mich zu klein. Ich muss immer überlegen, ob ich lieber einen warmen Popo haben mag, dann sehe ich wenigstens, was sich auf meinem Platz tut, oder ob der Popo im Freien stehen soll, das sieht so seltsam aus. Das rote Eichkätzchen lacht dann immer über mich. Aber jetzt habe ich ein zweites Haus, aber alleine mag ich da gar nicht drin stehen. Mir ist fad. Nicht einmal irgendwelche Spaziergänger sind unterwegs. Manchmal bleibt jemand stehen und redet mit mir. Nicht, dass das sinnvolle Erzählungen wären, aber immerhin etwas Abwechslung. Und Hunger hab ich auch schon wieder. Karotten wären toll, oder Äpfel. Oder Müsli. Naja, träumen wird man ja wohl dürfen. Da, ein Auto kommt. Vielleicht jetzt? Nein. Das Herrchen ist ausgestiegen, aber er hat es wohl eilig. Ist nicht einmal hergekommen. Vielleicht weiß ja die Amsel, ob es noch irgendwo einen Esel wie mich gibt. Ob dem auch so langweilig ist? Ich hoffe, dass zumindest die Amsel bald wieder zu Besuch kommt. Obwohl, die ist ja wieder so hysterisch und laut. Naja, besser als alleine herumstehen. Na toll, da ist wieder das rote Eichkätzchen. Vielleicht kann das ja etwas erzählen. Vielleicht mag mich ja jemand besuchen kommen? Ich stehe in Hochgschaid, ganz leicht zu finden. Gleich an der Straße und würde mich so über Abwechslung freuen. Oder einen anderen Esel. Bis bald. Nelly
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