Interview mit Benedikt Lika

Aufgrund Ihrer Behinderung ist das Leben für Sie ohne Zweifel eine größere Herausforderung als für andere Menschen. Was hat Sie in Ihrem Leben angetrieben? Woher kommt Ihre Energie, Kraft und Inspiration, Ihr Leben so erfolgreich zu gestalten?

Zunächst einmal möchte ich den Zweifel beiseite schieben, denn ich kenne es nicht anders. Für mich gehört mein Besonders-Sein zu mir wie zu anderen Menschen ihre Haar- oder Augenfarbe. Ich habe mich mit meiner Situation arrangiert und sie akzeptiert und habe beschlossen, das Beste aus meinem Leben zu machen. Kraft erhalte ich sicherlich durch meinen Glauben, an den mich besonders meine Mutter, aber auch das soziale Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, herangeführt hat. Hier habe ich gelernt, Leid anzunehmen. Gott hat die Welt durch sein Leiden im Kreuzestod erlöst. Dieser Kreuzestod endete aber nicht am Karfreitag vor 2000 Jahren, sondern ist ohne Zeit und Raum und ich glaube fest daran, dass Menschen durch ihre Behinderung und Krankheit heutzutage an dieser Erlösung teilhaben. Ich habe gelernt, dass die Frage nach dem Sinn eines Zustandes nicht durch die Frage „Warum?“ sondern durch die Frage „Wozu?“ beantwortet werden kann. „Warum“ hat eine destruktive, depressive Beantwortungsrichtung, zieht nach unten. Bei der Frage nach dem „Wozu“, ist die Richtung nach vorne gerichtet, sucht nach einem Ziel. So hat auch meine Existenz, so wie ich bin, einen nach vorn gerichteten Sinn.

Als Inspirationsquelle dient mir mein Alltag, die Begegnung und der Austausch mit anderen Menschen. Man muss nur mit wachen Sinnen durch die Welt gehen, oder in meinem Fall rollen, da ergibt sich genug Inspiration von selbst.

Sie haben das musische Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg besucht und an der Uni Augsburg studiert. Erlebten Sie in Ihrer Schul- und Studienzeit schon Inklusion oder mussten Sie auch Ausgrenzung erfahren? Falls ja, hat Sie das vielleicht noch mehr motiviert?

Ich habe „Inklusion“ gelebt, ehe es diesen Begriff offiziell gab. Für mich und meine Eltern war es selbstverständlich, dass ich eine Regelschule besuche und diese Entscheidung wurde nie wirklich von außen in Frage gestellt. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich mit pragmatisch handelnden Verantwortlichen, wie den leider schon verstorbenen, ehemaligen Direktor Dr. P. Egino Weidenhiller OSB zusammengetroffen bin, die nach Lösungen und nicht Bedenken gesucht haben. Wenn ich heutzutage mit ehemaligen Lehrern zusammen komme, wird mir durch die Bank bestätigt, welch positive Auswirkungen meine Anwesenheit sowohl in der Klassen- aber auch der Schulgemeinschaft hatte. Das Sozialverhalten der Schüler untereinander war einfach vorbildlich.

An der Uni war das dann etwas anders, da man nicht mehr im täglichen Klassenverband involviert war. Da aber mein Studiengang eine überschaubare Größe hatte, spielte sich auch dort der universitäre Alltag ein. Schwieriger war die Frage nach zuständigen Kostenträgern für die Fahrtkosten zur Uni oder einen Assistenten, den ich an der Uni benötigte. Da es momentan scheinbar noch nicht vorgesehen ist, dass Menschen mit Behinderung sich außerhalb von Fördereinrichtungen aus- und fortbilden, können diese nicht auf den Topf der Sozialabgaben zurückgreifen, der ansonsten für Eingliederungshilfen verwendet wird. Eine andere Problematik, die momentan noch existiert, ist die Abhängigkeit der Eingliederungshilfe von Vermögen und Einkommen, da diese an das Sozialhilfegesetz gekoppelt ist. Konkret bedeutet das, dass ein Mensch mit Behinderung maximal 2600 € und nicht mehr als den doppelten Hartz IV Satz in Deutschland besitzen und verdienen darf, damit er Eingliederungshilfen und Arbeitsassistenzen erhält. Die Sozialhilfe, Hartz IV wurde aber als temporäre Überbrückungshilfe konzipiert. Wir Menschen mit Behinderung können aber im Regelfall unsere Behinderung nicht „überwinden“ – selbst wenn wir wollten und sind ein Leben lang auf Unterstützung, individuell der eine mehr, der andere weniger angewiesen. Hier möchte ich auf politischem Wege etwas ändern und stehe mit vielen wichtigen Entscheidungsträgern in Deutschland in Verbindung.

In der Nacht werden Sie mit Sauerstoff versorgt, damit Sie untertags ein qualitatives Leben führen können. Bitte gewähren Sie uns ein paar Einblicke in Ihren Alltag.

Nicht nur in der Nacht, sondern auch tagsüber werde ich mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt. Das klingt im ersten Augenblick spektakulärer und vielleicht einschränkender als es ist. Aber es ist, wie so vieles im Leben, eine reine Organisationssache und wird mit der Zeit zur täglichen Routine. Ich habe ein kleines Gerät, welches in der Früh an einer Sauerstofftonne aufgefüllt wird und das mich über eine selbst konstruierte Brille – ein wenig eitel ist man dann doch - pro Atemzug mit Sauerstoff versorgt. Anschließend benötige ich noch Hilfestellungen beim Waschen und Anziehen und dann kann ich selbst bestimmt in den Tag starten. Den typischen Alltag gibt es bei mir nicht. Manche Menschen bezeichnen mich nicht nur als Inklusionsaktivist, sondern als Lebenskünstler. Ich verfüge über die große Freiheit, meine Zeit selbstbestimmt einzuteilen und Projekte verschiedenster Couleur anzugehen und voranzutreiben. Der Bogen reicht von der Kultur mit meinem „Roll and Walk“-Projekt über die Politik, bei der ich mich in verschiedenen Themen, wie der Sozialpolitik oder aber auch der immer wichtiger werdenden Netzpolitik engagiere. Gleichzeitig werde ich immer häufiger als Referent zu Themen rund um die Inklusion angefragt und bringe mich dort ein.

Sie kommen aus einer sehr musikalischen Familie: Ihr Vater Peter Lika ist ein erfolgreicher Konzert- und Opernsänger, Ihr Bruder Maximilian hat sich als Konzert- und Liedersänger einen Namen gemacht.  War das ein Ansporn bzw. eine Art familiäre Lenkung für Sie und Ihre Laufbahn?

Man kann schon von einer gewissen Prägung sprechen. Es wird von mir erzählt, dass ich im Alter von etwa 2-3 Jahren ganz gespannt in der Aufführung der Matthäuspassion im Kinderwagen saß und angefangen habe, mitzudirigieren. Meine Brüder und ich wurden natürlich an die Musik von meinen Eltern herangeführt, eine fundierte musische Ausbildung war meinen Eltern wichtig, aber ich glaube, dass vieles auch subversiv im Alltag eines Künstlerhaushaltes geschehen ist. Wer kann sonst von sich behaupten, von Kleinkindalter an mit den Größen der klassischen Musik direkt in Verbindung gebracht worden zu sein. Eine Lenkung, dass wir alle eine Künstlerlaufbahn, nach dem Vorbild meines Vaters einschlagen, gibt es allerdings nicht. Mein Bruder Peter zum Beispiel hat sich für den Beruf des Arztes entschieden. Nicht desto trotz glaube ich, dass die Musik in unserem Leben immer eine zentrale Rolle spielen wird, sei es aktiv wie bei mir und meinem Bruder Max oder passiv als kennende Zuhörer.  

„Roll and Walk“ ist eines Ihrer wichtigsten Projekte – was steckt dahinter?

Hinter der Idee von „Roll and Walk“ steckt zunächst der Gedanke, dass Kultur ein Menschenrecht ist. Jeder Mensch muss am passiven und aktiven Kulturleben teilhaben können. Die Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 festigen dies, wenn dort in Artikel 27 Absatz 1 geschrieben steht: „Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teilzuhaben.“ In der Realität sieht das aber immer noch etwas anders aus. Nicht jeder Veranstaltungsort ist barrierefrei zugänglich, die Rollstuhlplätze sind auf ein Minimum begrenzt, es herrscht teilweise Begleitpersonenzwang, ganz zu schweigen von der Wahrnehmung behinderter Künstler in der vermeintlich „normalen“ Gesellschaft.

Beim „Roll and Walk“-Festival sind alle Veranstaltungsorte barrierefrei zugänglich, die Rollstuhlplätze sind unbegrenzt, sogar kostenlos. Denn wieso sollte man denn ein „Pfand“, als solches verstehe ich die Kartenpreise für Rollstuhlkarten, zahlen, wenn man den Stuhl doch eh selber dabei hat? Ein Personenbegleitzwang existiert nicht, sondern ist freiwillig. Und bei „Roll and Walk“ bieten wir immer wieder anderen Künstlern mit Behinderung ein Podium, sich einem Publikum außerhalb der „Behindertencommunity“ zu präsentieren. Exemplarisch möchte ich da unseren Lyrikwettbewerb im Jahr 2010 nennen, bei dem wir Menschen mit geistiger, psychischer oder körperlicher Behinderung aufgefordert hatten, uns Texte zum Thema „Liebe, Lust und Leidenschaft“ zuzusenden, diese wurden dann im Konzert von den jeweiligen Autoren selbst vorgetragen. Oder 2011 der Auftritt des gehörlosen Gebärdensprachpoeten Rafael Grombelka im philharmonischen Abschlusskonzert oder dieses Jahr das Kammermusikkonzert des einarmigen Jazzsaxophonisten Stefan Tiefenbacher und seiner Band.

Wir versuchen durch die Kunst die Gesellschaft gegenseitig zu sensibilisieren. Denn es gibt nicht nur Berührungsängste auf Seiten der (temporär) Nichtbehinderten zu den Behinderten sondern auch andersherum. Ein Ergebnis der jahrzehntelangen Praxis der Wegverwaltung von Menschen mit Behinderung, in meinen Augen.

Wie kam es zur Kooperation mit dem Verein RollOn Austria?

Die Kooperation kam durch einen Anruf von Frau Hengl zustande, die mich eines Tages anfragte, ob wir uns vorstellen könnten, ein Konzert für RollOn Austria zu spielen. Und nachdem die Sponsoren gefunden waren, habe ich gerne zugesagt.

Was erwarten Sie sich von Ihrem Auftritt in Tirol?

Ich erwarte mir in meinem Leben grundsätzlich nichts, ich erhoffe mir nur, dass wir als Inklusionsbotschafter auch in Innsbruck einen Beitrag dazu leisten können. dass es zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken kommt.Weg von der Normierung hin zur Akzeptanz der Vielfalt. Und persönlich erhoffe ich, dass durch mein öffentliches Auftreten ein Umdenken dahingehend angestoßen wird, dass man Menschen mit Behinderung nicht durch ihre Defizite, sondern durch ihre Talente und ihr Können definiert. Wie jeden vermeintlich Nichtbehinderten auch.

Wenn man von Ihnen liest, ist man der festen Überzeugung, dass Sie noch viele Ziele in Ihrem zukünftigen Leben erreichen wollen und werden. Würden Sie uns das ein oder andere Vorhaben vielleicht verraten?

Mein Herzensanliegen ist das Thema Inklusion. In den letzten Jahren habe ich festgestellt, dass gerade die Politik für das Gelingen dieses Projektes eine große Rolle spielt. Die Politik gibt die Richtlinien für das Zusammenleben vor. Ich habe erkannt, dass es wichtig ist, dass Menschen mit Behinderung hier wahrgenommen werden. Und zwar nicht nur in vereinzelten, temporären Events, sondern im politischen Alltag. Ich sehe meine Behinderung auch als Chance. Denn wenn man die Welt verändern will, muss man auffallen. Und das tu ich von Natur aus. Ich bleibe dem Gesprächspartner nicht nur durch meine verbalen Äußerungen im Gedächtnis, sondern auch durch mein Aussehen und Auftreten. Dieses Potential kann ich bisher im politischen Rahmen ganz gut nutzen. Horst Seehofer zum Beispiel kennt mich mittlerweile beim Namen und bezeichnet mich als „unser Mann aus Augsburg“. Das nächste Projekt, das ich in dieser Richtung angehe, ist die Kommunalwahl im nächsten März, bei der ich mich um einen Platz im Augsburger Stadtrat bewerbe.

Konzert im ORF Studio Tirol.

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