Melachgeflüster aus dem Sellraintal

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Univ.-Doz. Dr. Georg Jäger aus Sellrain hat Geschichte und Geographie studiert und sich im Fach Geografie habilitiert. Er arbeitet hauptberuflich als Bibliothekar, lehrt an der Universität Innsbruck und hat zahlreiche Publikationen mit geographisch-historischen und volkskundlichen Themen des Tiroler Raumes vorgelegt.
Vor kurzem ist sein neuestes Werk erschienen: "Melachgeflüster – Allerlei Geschichten und Nachrichten aus dem Sellraintal" mit dem Untertitel "Ein historisches Lesebuch für Einheimische und Gäste" enthält 17 Kapitel.

Sommerfrischler und Stadtler

Aus dem Zusammenfluss mehrerer Quellbäche unterhalb des Längentaler und Lüsener Ferners gebildet, durchfließt die Melach das Sellraintal, ehe sie am Talausgang in den Inn mündet. Das bergbäuerlich geprägte Sellrain weist einen besonders reichen Schatz an Sagen und Geschichten auf. Sie ranken sich etwa um den Talbach selbst, um die St.-Quirins-Kirche („Sankt-Krein") oder die Seigesalm. Mit dem Aufkommen des Bergtourismus im 19. Jahrhundert wird das Tal Ausgangspunkt zahlreicher Gipfelbesteigungen und Schitouren; die Alpinisten halten ihre Erlebnisse in verschiedenen Printmedien fest. Die Zeitungen wissen aber auch von frühen Kurgästen in Bad Rothenbrunn zu erzählen, von „Sommerfrischlern" und „Stadtlern" aus nah und fern, die das Tal aufsuchen, um Ruhe und Erholung zu finden. Und sie halten außergewöhnliche Ereignisse aller Art fest, die uns Einblicke in das Alltagsleben der bäuerlichen Bevölkerung geben: in Feiern und Feste ebenso wie in traurige Nachrichten von Unwettern, Lawinenabgängen und Unfällen, in die Lebenswelt allseits geachteter, verdienter Persönlichkeiten ebenso wie in das Schicksal von Armen und Außenseitern.
Georg Jäger lässt in diesem Buch am Beispiel zahlreicher Erzählungen und aufschlussreicher Zeitungsmeldungen die Geschichte des Sellraintales von 1800 bis in die Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert auf besonders anschauliche Weise lebendig werden.

Textproben

Der Geist auf der Seigesalm oder: „Die kecke Moidl“ aus Unterperfuss, 1857:
„Ein reicher Bauer in Unterperfuss hatte bei der Almabfahrt seinen Milchseiher auf der Seigesalm vergessen und versprach demjenigen, welcher ihn um Mitternacht holt, eine schöne Kuh. Nur eine Magd meldete sich zum Wagnis und nahm den Hofhund mit. Als sie zum Almzaun kam, band sie den Hund dort an und ging beherzt in die Hütte. Dort traf sie den Geist, der ihr den Seiher übergab und sagte: „Wenn sie das ‚Reißende und Beißende’ mitgebracht hätte, wäre es ihr schlecht ergangen.“ Die Magd hatte von der Erscheinung einen solchen Schrecken, daß sie nach der Rückkehr an Nervenfieber erkrankte und nach 1½ Jahren starb.“

Die singenden Meerfräulein in der Melach, 1895 (Adolf Dörler):
„Zwischen Grinzens und Kematen erhebt sich hart am Zusammenfluss der Bäche aus dem Sellrain- und Sendersthale der Spucherschrofen. Hier wurden früher nicht selten wunderliebliche Meerfräulein gesehen. Wie Lilien und Rosen war ihr Angesicht und ihre Augen blitzten wie Sterne. Blendend weiß waren Brust und Arme, doch statt der Beine hatten sie einen schimmernden Schweif, mit Schuppen und Flossen, wie die Fische. So oft sie sich zeigten, konnte man auf schlechtes Wetter rechnen. Manchmal hörte man sie auch bezaubernde Melodien singen. Von ihrer Heimat dem Meere hatten sie zu vielen Seen und Bächen unterirdische Zugänge.“

Eine 15-jährige feine Sellrainerin verursacht eine blutige Schlägerei, 1906:

„Eine blutige Geschichte wurde am Sonntag, 14. Oktober abends von einem fünfzehnjährigen Weibsbild angezettelt. Am genannten Tage machte die züchtige Maid der Stadt Innsbruck einen Besuch, bestellte sich in Rothenbrunn einen Liebhaber zum Entgegenkommen, nahm indes aber auch in Innsbruck einen zweiten auf, mit dem die Gute zu Tal wallte. Beim Zusammentreffen wollte ihr nun jeder das Heimgeleite geben, und es entstand infolgedessen um den Besitz der kostbaren Perle auf der romantischen Straße nach Sellrain eine blutige Schlacht, in welcher der eine und sein Gefährte nicht unerheblich verletzt wurden, so daß beide in das Spital nach Innsbruck geliefert werden mußten. Und was tat die Feine? Sie fand an der Schlägerei Ergötzen und lachte sich den Buckel voll an. Es wäre zu wünschen, daß bei Bestrafung solcher Liebeshändel auch ‚die Rechte’ hergenommmen würde.“

Der Sellrainer Alois Gruber verjagt 1809 die bayerischen Soldaten aus Axams:
„Daß im Jahre 1809 die ersten Thätlichkeiten in unserer Gegend gegen die Fremdregierung in Axams sich ereigneten, ist bekannt. Minder bekannt dürfte sein, daß der Mann, der dabei den vorzüglichsten Antheil hatte, noch 1865 lebt. Es ist Alois Gruber, 83 Jahre alt und Bauer in Sellrain. Derselbe machte neun Schützenauszüge mit. Er war bei den Stürmern zu Imst, Pfafflar, am Lech, zu Seefeld, am Berg-Isel. Vorzüglich zeichnete er sich aus, wie er und Johann Deutschmann die bairische Exekution in Axams vertrieben. – Die Sache verhielt sich so: Spinnenfeind den bairischen Soldaten konnte er die bairische Exekution in seiner Nachbarschaft in Axams nicht dulden. Er ging zu mehreren seiner Kameraden in Sellrain und Grieß und erklärte denselben, sie sollen um die bestimmte Stunde beim Badwirthe in Sellrain zusammenkommen. Es kamen richtig zur bestimmten Zeit 15 bis 20 Mann Stürmer zusammen, aber es fehlte ihnen der Muth; denn eine so kleine Mannschaft sollte die bairische Besatzung von Axams vertreiben. Da sagte Gruber: ‚Iatz wear a Schneid hat geat nacher’, und er ging voran auf dem Wege nach Axams, und Johann Deutschmann folgte ihm nach, die andern waren noch unschlüssig, ob sie gehen sollten oder nicht. Die Zwei kamen bis Grinzens und blieben bei einem Branntweinbrenner. Ein des Weges kommender bairischer Gerichtsdiener fragte, wo sie hingehen? Wir verjagen die Baiern aus Axams war die Antwort. Der Gerichtsdiener stutzte und in der Meinung, daß ein großer Haufen nachkomme, ging er schnell nach Axams zurück, um Nachricht zu geben. Mittlerweile kamen auch die Uebrigen, einige 20 Mann, nach und die Baiern nahmen Position vor dem Dorfe. Von den Schützen aber muthig angegriffen verließen sie bald nach einigen gewechselten Schüssen ihre Stellung in Axams.“

Georg Jäger (Hrsg.)
Melachgeflüster
Allerlei Geschichten und Nachrichten aus dem Sellraintal
Ein historisches Lesebuch für Einheimische und Gäste
Innsbruck 2016: Universitätsverlag Wagner
672 Seiten, zahlreiche s/w-Abbildungen, fest gebunden
ISBN 978-3-7030-0945-7
Preis: Euro 39, 90

Weitere Sellraintal-Bücher:

Georg Jäger
Gletschermilch und Kirschsuppe
Karges Leben an der Melach
Historische Streifzüge durch das Sellraintal
Innsbruck 2012, 2013 (2. Auflage): Universitätsverlag Wagner
480 Seiten, zahlreiche s/w-Abbildungen, fest gebunden
ISBN 978-3-7030-0811-5
Preis: Euro 39, 00

Georg Jäger (Hrsg.)
Sommerfrische und Gipfelwind
Von Rothenbrunn zum Fernerkogel
Reisen und Wanderungen im Sellraintal 1815–1925
Innsbruck 2015: Universitätsverlag Wagner
496 Seiten, zahlreiche s/w-Abbildungen, fest gebunden
ISBN 978-3-7030-0880-1
Preis: Euro 39, 00

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