"Mein Bier enthält 30 Prozent Zinsen"

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Bei einem Besuch im gepflegten Einfamilienhaus von Johannes Zittmayr und seiner Gattin am Ennser Stadtrand würde man erst einmal nicht vermuten, dass in dem Bauernsohn und pensionierten Prokuristen der Ennser Sparkasse ein „Revolutionär“ steckt. Und doch ruft Zittmayr in einer heiklen Frage zu einem radikalen Wandel auf – in der Frage unserer Geldsystems.

BezirksRundschau: Herr Zittmayr, Sie haben kürzlich ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Geld regiert die Welt – wie lange noch?“ Darin fordern Sie unter anderem, die Zinsen komplett abzuschaffen. Aus dem Mund eines ehemaligen Bankers klingt eine solche Forderung besonders erstaunlich, oder?
Zittmayr: Sie haben Recht. Wie kommt jemand dazu, ein System zu kritisieren, der jahrzehntelang in seiner beruflichen Tätigkeit Teil dieses Systems war. Erstens: Mein damaliger Arbeitgeber war ein Geldinstitut, welches statutenmäßig ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichtet war, nämlich eine Gemeindesparkasse. Völlig andere Prioritäten haben Banken und Sparkassen, wenn sie rechtlich Aktiengesellschaften sind: Dann gilt vornehmlich die Shareholder-Value-Doktrin. Und zweitens muss ich zugeben - das Zins- und Zinseszinssystem in Frage zu stellen, wäre mir damals nie in den Sinn gekommen. Ich habe es selber nicht durchschaut. Erst bei meinen Recherchen zu meinem Buch habe ich den wahren Verursacher der periodischen Zusammenbrüche des Finanz- und Wirtschaftssystems erkannt: Es ist tatsächlich das "Zinsnehmen", was übrigens in früheren Zeiten nicht nur die Kirchen scharf verurteilt haben, sondern vor mehr als 2000 Jahren der griechische Philosoph als die Wurzel allen Übels erkannte, wenn er sagt: "Für den Warenaustausch entstand das Geld. Der Zins aber macht aus Geld mehr Geld. Der Zins aber ist Geld vom Geld, so dass er von allen Erwerbszweigen der Naturwidrigste ist".

Wie kamen Sie letztlich dazu, das herrschende Finanz- und Geldsystem zu hinterfragen und sogar ein Buch darüber zu schreiben?
Wissen Sie, ich bin gläubiger Christ und besonders geprägt von der Katholischen Arbeiterjugend und dem Motto ihres Gründers, des belgischen Arbeiterpriesters und späteren Kardinals Joseph Cardijn, "Sehen - Urteilen - Handeln". Mit dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Jahre 2008 wurden die spekulativen Irrwege im globalen Bankensystem offenkundig. Weltweit mußten und müssen weiterhin die Staaten mit Billionensummen das Finanz- bzw. Bankensystem zulasten der SteuerzahlerInnen retten. Da ist doch grundlegend was falsch im System. Das wollte ich mit meinem Buch eruieren und mögliche bzw. bereits bestehende Alternativlösungen aufzeigen. Die meisten Menschen haben leider keine Ahnung von der wahren Funktionsweise des Geldsystems. Wer weiß beispielsweise wie die "Geldschöpfung" der Banken funktioniert? Ich bin bei meinen Recherchen zum Buch auf ein wahrlich erschreckendes Zitat des US-amerikansichen Industriellen Henry Ford (1863-1947) gestoßen: "Eigentlich ist es gut,dass die Menschen unser Banken- und Währungssystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution vor morgen früh." Das sagt doch Alles! Mein Buch soll ein Beitrag nicht nur zum besseren Verstehen des Geldwesens sein, sondern ich will nach dem Motto "Sehen - Urteilen - Handeln" auch mögliche Handlungsschritte aufzeigen. Der Politik alleine können wir die Lösung nicht überlassen.

Ihre Systemkritik geht viel tiefer und weit über ein paar strengere Regeln für Spekulanten hinaus....
Das Problem ist, wie schon erwähnt, tatsächlich der Zins. Die meisten Menschen sind wahrscheinlich der irrigen Meinung, dass sie nur dann Kreditzinsen bezahlen, wenn sie Schulden bei einer Bank haben. Weit gefehlt! Alle Menschen zahlen Zinsen - und sie können dem nicht entrinnen. Erstens zahlen wir über Steuern die Zinsen für die Staatsschulden und - was noch viel mehr ausmacht - Zinsen für jeden Einkauf und für jede Dienstleistung, die wir beanspruchen. In allen Produkten steckt nämlich beim Preis ein hoher Zinsenanteil drinnen. Experten sagen, dass wir im Schnitt einen Zinskostenaufschlag von ca. 40 % zahlen müssen. Bei den Verbrauchsgütern sind es ca. 10%, bei Getränken wie Bier ca. 30 %, am meisten bei Wohnungsmieten mit ca. 70 %.

Das klingt nach einer massiven Umverteilung von den Armen, die ihr Einkommen „verkonsumieren“ müssen, zu den reichen Kapitalbesitzern.
Genau so ist es. Da ist, und das bestätigen alle Ökonomen, eine permanente Vermögensverschiebung zu den betreits Wohlhabendsten im Gange. Auf den Punkt gebracht: Die Reichen werden immer reicher und die Armen werden immer ärmer. Solange unser derzeitiges Geldsystem bestehen bleibt, wird sich an dieser Entwicklung nichts ändern. Das perverse an unserem Geldsystem ist, dass es faktisch keine Regulierung der Finanzmärkte gibt und die sich daher mit ihrem "leistungslosen Geldmachen" rund um den Erdball austoben können. Mehr als 95 % der weltweiten Finanztransaktionen dienen nicht der Realwirtschaft, sondern der reinen Spekulation.

Müssen wir mit einem baldigen „Crash“ rechnen?
Durch den Zinseszinseffekt steigen sowohl das Geldvermögen als auch, spiegelverkehrt dazu, die Schulden exponentiell an. Die Wirtschaft wächst, wenn überhauupt, nur linear. Das sich rasant vermehrende Geld, auch wenn es größtenteils "virtuelles Geld" ist, weiß sozusagen nicht mehr, wohin, es bilden sich die berühmten "Blasen" und alle paar Jahrzehnte kommt es zum unweigerlichen Crash. Mit jeweils schrecklichen Folgen für Mensch und Wirtschaft - wie uns die Vergangenheit immer wieder vorgeführt hat. Leider hat bisher die Politik nichts aus den vergangenen Katastrophen gelernt und versucht nach wie vor und mit allen Mitteln und zulasten der BürgerInnen ein Geldsystem am Leben zu erhalten, das in Wirklichkeit "menschenrechtswidrig" ist.

Wie stellen Sie sich aber nun die Überwindung dieses Systems vor?
Es gäbe längst Alternativlösungen, doch diese werden von der Politik unter dem Druck der faktisch regierenden Finanzmacht nicht aufgegriffen. Zwei Beispiele: Die 2008 vom Unterguggenberger Institut Wörgl allen politischen Entscheidungsträgern Österreichs vorgestellte Initiative "Neues Geld" wurde parlamentarisch erst gar nicht behandelt. In Deutschland hat die Grundrechtsschutz-Initiative 2007 dem Bundestag eine Petition überreicht, in welchem der Wechsel zu einem zinsfreien Buchgeld, mit dem sämtliche Finanzierungsprobleme auf öffentlicher wie auf privater Ebene dauerhaft gelöst werden können, vorgeschlagen.Dieses Konzept zur Neuordnung des Geldsystems wurde jedoch vom Deutschen Bundestag abgelehnt.
Die Menschen, unterstützt von Organisationen, greifen daher schon seit Jahren zur Selbsthilfe um zumindest ansatzweise dem Diktat der ausbeuterischen Finanzmacht zu entkommen. Einige Stichworte: Komplementärwährungen, Tauschkreise mit bargeldlosen Verrechnungssystemen (in Enns gibt es den äußerst regen und erfolgfreichen "Talente-Tauschkreis), MehrWertGeld"-Initiative in der Region Steyr und Kirchdorf, "Lebensförderliches Wirtschaften" mit "Cyclos"-Buchungssystem (ab 2013) oder das Konzept "Monetative - Reform der Geldschöpfung".

Welche konkreten Aktionen haben Sie in nächster Zeit geplant, um den Wandel voranzutreiben?
Erstens einmal ist mir das Informieren und Aufklären ganz wichtig. Das möchte ich vorrangig mit meinem Buch und auch mit Buchpräsentationen erreichen. Wenn mich dazu sogar die Kath. Hochschulgemeinde mit dem Universitätsseelsorger Mag. Helmut Schüller an die WU Wien einlädt, dann beweist dies, dass mein Buchtitel "Geld regiert die Welt - Wie lange noch?" breites Interesse weckt. Letztendlich geht es aber darum, dass es in absehbarer Zeit tatsächlich zu einem richtigen "Paradigmenwechsel" im globalen Finanzsystem kommt und man nur hoffen kann, dass dieser ohne ein allzu schlimmes Schreckensszenario vor sich geht.

Wie sieht's mit Apellen an die Politik aus?
Aus meiner Sicht steht die Politik derzeit noch zu sehr unter dem Einfluss der Finanzlobby. Daher möchte ich zuerst die christlichen Kirchen in ihre moralische Pflicht nehmen und an ihr früheres Zinsverbot erinnern. Die 16 Christlichen Kirchen Österreichs haben schon 2009 in einer offiziellen Erklärung die Forderung nach einer Neuordnung des globalen Finanz- und Wirtschaftssystems erhoben. Und sie haben auch erklärt, dass sie diesbezügliche Initiativen als "Auftrag im Dienste am Gemeinwohl der einen Welt" unterstützen werden. Mit dem Unterschreiben meiner Petition 'Wir wollen ein neues, spekulationsresistentes Geldsystem!' an den Ökumenischen Rat der Kirchen Österreichs kann jeder Bürger und jede Bürgerin diese Forderung unterstützen! Wir werden sehen!

ZUR SACHE:

„Geld regiert die Welt – wie lange noch?“
von Johannes Zittmayr, erschienen 2012 im Verlag Easy Media Linz, ist erhältlich: in den Ennser Trafiken, beim NETs.werk Enns, im ADEG Ernsthofen, im Buchhandel, über Amazon, und natürlich beim Autor selbst: Johannes Zittmayr, Bernhardgutstraße 11, 4470 Enns.

Sie möchten die Petition unterschreiben: online auf http://goo.gl/C90H8
oder: beim NETs.werk Enns, bei Buchpräsentationen, direkt bei Johannes Zittmayr;

Tauschkreis Enns: jeden 2. Montag im Monat, 18.30 – 20.30 Uhr, Pfarrsaal St. Laurenz; www.talente-tauschkreis-enns.at/

Kleine Auswahl an weiteren Initiativen zum Thema: www.waldviertler-regional.at, www.wirgemeinsam.net, www.attac.at, www.monetative.org

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