5 Minuten Wien: "Erst aussteigen lass’n"
WIEN. Seit meinem Umzug fahre ich wieder regelmäßig mit den Öffis. Meine Stammstrecke ist die U1, wo ich von Kagran bis zum Hauptbahnhof beinahe täglich das Leben pur beobachten kann. Dabei bedauere ich oft, dass ich nicht schon früher auf die U-Bahn umgestiegen bin, denn die Erlebnisse, die kann einem keiner mehr nehmen.
So bin ich seit wenigen Wochen stets auf dem neuesten Stand, was moderne Musik angeht: Besonders beliebt sind 120 Beats in der Minute. Rund fünf Kopfhörer pro Abteil liefern sich einen "Battle", wer besser groovt. Gewinner des Kampfes sind die Fahrgäste, die in den Genuss der Musik kommen, ohne einen Akku zu brauchen.
Die Gerüche, die regelmäßig von Kebab, Pizza und Co. auf meinen Platz wehen, möchte ich lieber nicht beschreiben. Mich wundert nur, dass Falafeln offensichtlich auch zum Frühstück genossen werden können.
Das tägliche Überlebenstraining beginnt beim Aussteigen: Stets stehen zwei bis vier Menschen genau vor der Tür, wo die Fahrgäste aussteigen wollen. Noch bevor es mir gelingt, zwischen zwei Schultern durchzuschlupfen, stürmen die Wartenden herein – Bodycheck inklusive. Zum Drüberstreuen gibt es noch ein "Kaunst net aufpass’n, du Deppata?".
Ich erinnere mich an meine Schulzeit: "Wia in da Stroßenbohn: Z’erst aussteigen lass’n", tönte einst mein Englischlehrer, als wir in die volle Klasse stürmten. Aber Freundlichkeit – auch so herbe wie vom "Prof ausm Zehnten" – ist diesen drängenden Wienern offensichtlich genauso fremd geworden wie Benehmen. So bleibt mir nur weiterhin der Wunsch nach Raumschiff Enterprise: "Beam me up, Scotty – beam mich rauf …"
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
2 Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.