Im Schatten der Angst
Wie lebt es sich mit einem Atomkraftwerk vor der Nase? Ein Lokalaugenschein
in Krsko. Die Angst und Kritik eines „AKW-Nachbarn“ exklusiv in der WOCHE!
Frühmorgens brechen der Dolmetscher und ich Richtung Slowenien auf. Unser Ziel: Das von der Grenze nur 80 Kilometer (Luftlinie) entfernte Atomkraftwerk Krsko. Während der Autofahrt haben wir stets die schrecklichen Bilder des Reaktors in Fukushima, der nach dem verheerenden Beben in Japan außer Kontrolle geraten ist, vor Augen. Wir stellen uns wieder und wieder dieselbe Frage: Wie muss es sich anfühlen, im Schatten eines AKW, einer nuklearen Zeitbombe, zu leben?
Nach knapp zwei Stunden Autofahrt finden wir in der 28.000-Einwohner-Stadt Krsko auf Anhieb zum AKW. Wir fahren durch eine Wohnsiedlung bescheidener, aber feiner Familienhäuser, später erfahren wir, es sind 80 an der Zahl, ehe sich der Reaktor vor unseren Augen auftut. Furchteinflößend wirkt er nicht unbedingt. Wir steigen aus, um das AKW zu fotografieren. Dennoch spüren wir, wie Schritt für Schritt die Ehrfurcht anwächst. Es ist ein beklemmendes Gefühl. Von diesem Bau also würden im Falle eines Unglücks tödliche Strahlen ausgehen. Ein bezeichnendes Bild: Die Bewohner dürften sich sicher fühlen, denn unmittelbar vor dem Reaktor befindet sich eine große Obstbaum-Plantage.
Jetzt kommt Atommüll-Lager!
Mit diesen ersten Eindrücken steuern wir die Stadt an, um mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Aber Fehlanzeige: Sobald die Bewohner auf das Atomkraftwerk angesprochen werden, winken sie ab. Sie verschließen sich, wollen nichts über ihre Ängste verraten. Diese sind jedoch vorhanden. Wir haben Glück: Ein Mittelsmann ermöglicht uns den Kontakt zu dem 40-jährigen Andreas Repse, der mit Mutter, Frau und den drei Kindern nur 800 Meter entfernt vom AKW wohnt.
Wir besuchen den Elektrotechniker an seinem Arbeitsplatz. Er weiß, worüber wir mit ihm reden wollen. Zu meiner Überraschung spricht er nahezu perfekt Deutsch. „Ja, wir haben Angst, wenn wir die Bilder aus Japan sehen. Wir führen ja ein Leben mit einem AKW vor der Nase“, klagt er. Aussuchen konnte er sich das nicht: Jahrzehnte, nachdem das Familienhaus errichtet wurde, ging das AKW Krsko 1981 in Betrieb.
Repse führte zuletzt eine Bürgerinitiative an. Denn Politiker beachten die Ängste der „AKW-Nachbarn“ in keiner Weise: Vor kurzem hat der Gemeinderat beschlossen, am Kraftwerkgelände ein Atommüll-Lager zu errichten. Warum sie dieses Risiko in Kauf nehmen, wollen wir wissen. „Weil die Stadt im Jahr 7,2 Millionen Euro von den AKW-Betreibern erhält“, antwortet Repse. Quasi eine Risikoversicherung. Geld, das Kritiker verstummen lässt.
1917: Beben der Stärke 8
Die Angst der Anrainer ist berechtigt. Im Vorjahr geschah ein kleinerer, nuklearer Unfall. „Davon haben wir erst aus den Fernsehnachrichten auf Sat1 und Pro7 erfahren“, ist Repse entsetzt. Womit zumindest geklärt ist, warum er so gut Deutsch spricht. „Im Falle eines Unglücks müssten alle im Umkreis von einem Kilometer innerhalb von einer Stunde das Gebiet verlassen. Doch bis wir diese Information erhalten würden, sind wir wahrscheinlich schon tot“, sagt Repse. Ausschließen kann ein Unglück niemand. „1917 erschütterte ein Beben der Stärke acht nach Richter die Erde“, verrät Repse. Nachsatz: „Gegen die Naturgewalt ist der Mensch machtlos!“
Wir fahren ein letztes Mal am Reaktor vorbei. Das AKW ist zwar 80 Kilometer von der Heimat entfernt. Doch wohl ist uns auf der Heimfahrt nicht zumute ...
Das AKW:
Das Kernkraftwerk Krsko ist das einzige Kernkraftwerk auf dem
Territorium Sloweniens. Der Standort Krsko liegt an der Save (Nebenfluss der Donau) und etwa 20 Kilometer von der kroatischen Grenze entfernt. Es handelt sich um einen Druckwasserreaktor der US-amerikanischen Firma Westinghouse mit einer elektrischen Bruttoleistung von 730 MW, der von der Gesellschaft Nuklearna Elektrarna Krsko (NEK) betrieben wird. Diese gehört je zu 50 Prozent zwei Stromversorgungsunternehmen, je einem aus Slowenien und einem aus Kroatien. Insgesamt sind im AKW 700 Mitarbeiter beschäftigt: je 350 Slowenen und Kroaten. Was bedeutet:
Die Bevölkerung lebt nicht nur mit, sondern auch vom Atomkraftwerk Krsko (Quelle: Wikipedia).
Autor: Peter M. Kowal
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