„Ich hoffe, bin aber nicht optimistisch“

Kardinal Christoph Schönborn: "Der enorme Rückgang der Internate ist auch segensreich – sie sind ein heikler Ort, das sind Dampfdrucktöpfe." | Foto: KK
  • Kardinal Christoph Schönborn: "Der enorme Rückgang der Internate ist auch segensreich – sie sind ein heikler Ort, das sind Dampfdrucktöpfe."
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WOCHE: Wie beurteilen Sie die Lage der katholischen Kirche in Österreich?
Christoph Kardinal Schönborn: Das Wort Hoffnung ist die richtige Beschreibung. Sie ist eine Tugend, die wir in der Theologie eine göttliche Tugend nennen, das heißt Hoffnung ist nicht mit Optimismus gleichzusetzen. Ob Grund für Optimismus gegeben ist – in der Kirche und noch mehr in der Gesellschaft – ist eine große Frage. Grund für Hoffnung ist zweifellos gegeben. Sie liegt freilich nicht evident auf der Straße. Der Grund der Hoffnung ist der Glaube. Und so lange es diesen gibt, gibt es Hoffnung.

Haben Sie Grund zu hoffen?
Das würde ich auf jeden Fall positiv beantworten. Ob wir jedoch Grund haben, optimistisch zu sein, das würde ich sehr bezweifeln. Denn ich glaube, wir haben uns bei weitem nicht dem Ernst der Situation gestellt. Wir sind noch weit davon entfernt, uns den Tatsachen wirklich zu stellen. Das meine ich jetzt fast noch mehr für die Gesellschaft als für die Kirche. Kurz gesagt, ich habe Hoffnung, ich würde aber nicht sagen, dass ich optimistisch bin.

Was bedeutet das für die katholische Kirche?
Wenn der Glaube bei uns weiter verdunstet, schrumpft mein Optimismus noch weiter. Für mich ist die große Frage: Wie kann eine Gesellschaft, die sehr stark an Selbstzweifel krankt, den Wendepunkt der Hoffnung finden? Der christliche Glaube ist eine enorme Hoffnungsressource und meine Frage ist: Wie steht es mit dieser Hoffnungsressource in unserem Land?

Wie erleben Sie das Verhältnis der katholischen Kirche zu den anderen Religionsgemeinschaften, v. a. zum Islam?
Die Beziehung zum Islam ist deshalb so komplex, weil der Islam mindestens so vielfältig ist wie die Christenheit. Wir sind ja auch nicht einfach nur die Christen, sondern wir sind katholische, evangelische, orthodoxe und altorientalische Christen und dann noch viele freikirchliche Gruppierungen, die sich dazugesellen. Der Islam ist mindestens so vielschichtig und vielfältig und stellt sich uns dar als eine Realität, mit der wir zu leben lernen müssen. Wir haben wenig Erfahrung im Zusammenleben mit dem Islam und der Islam wenig Erfahrung mit einer säkularen Gesellschaft mit christlichem Hintergrund. Daher ist vieles auf Suchbewegung.

Haben Sie Verständnis dafür, dass breite Kreise Maßnahmen gegen das Sichtbarwerden des Islams befürworten, z.B. ein Kopftuchverbot, ein Verbot des Baus von Minaretten?
Man kann alles verstehen, man kann sich hineinfühlen und man muss immer Ängste ernst nehmen. Ich kann mir gut vorstellen, dass, wenn ich Pensionist im 15. Bezirk und in meinem Haus der einzige mit christlichem Hintergrund wäre, ich wahrscheinlich ein etwas anderes Bild vom Islam hätte, als wenn ich Bewohner des Erzbischöflichen Palais im ersten Bezirk bin. Es ist ja auch nicht verwunderlich, dass ein Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Kulturen und Religionen Ängste und Ablehnungen auslösen. Das mit dem Kopftuch ist aber eine komplexe Sache. Ich beobachte sehr viele junge Frauen in Wien, die stolz das Kopftuch tragen, sehr elegant und modebewusst. Das ist kein Zeichen eines primitiven Fundamentalismus, sondern ein Zeichen kultureller Identität und ein religiöses Bekenntnis. Die Leute, die einen Steireranzug tragen, machen auch ein gewisses Bekenntnis.

Der Bau von Minaretten ist ein hochemotionales Thema.
Drei Minarette in ganz Österreich. Wo ist das Problem? Der Islam ist seit 1912 in Österreich eine anerkannte Religion. Dass eine Religion auch ihren öffentlichen Ausdruck hat, das müssen wir verteidigen. Wenn wir die Kreuze in der Öffentlichkeit verteidigen, verteidigen wir das Recht der Religion, im öffentlichen Raum präsent zu sein. Wenn wir zehn Prozent Muslime haben, ist es überhaupt keine Frage, dass sie das Recht haben, ihre Religion auch öffentlich zu bekunden – natürlich im Rahmen der gesetzlichen Ordnung.

Das sehen aber nicht alle Priester oder alle Bischöfe in Österreich so.
Das ist kein Dogma.

2010 war für die katholische Kirche ein schwieriges Jahr. Eine Welle von Missbrauchsfällen. Sie haben sich schon früh eindeutig positioniert. Sie haben sich zu einer Zeit, in der der Vatikan noch geschwiegen hat, öffentlich entschuldigt.
Sich der Wahrheit zu stellen ist ein großer Heilungsprozess für unsere Gesellschaft. Die Wahrheit wird euch frei machen, dieses Wort Jesu war für uns das Leitwort. Das ist ein schmerzliches Wort, aber der einzige Weg, wie man den Opfern gerecht werden kann. Man muss sich der Wahrheit stellen und nicht vertuschen und damit den Opfern noch einmal das Gefühl geben, sie werden nicht gehört, sie werden ein zweites Mal Opfer. Das Vertuschen ist nicht ein Privileg der Kirche, das ist etwas sehr Menschliches. Es ist eine ganz spontane Reaktion, dass man, wenn man mit unangenehmen Dingen konfrontiert wird, zuerst einmal sagt: Kann man das unter einen Teppich kehren? Die Kirche hat dieses Jahr in Österreich viel dazugelernt, ich habe dieses Jahr dazugelernt. Und ich kann Ihnen sagen, es lebt sich deutlich besser mit der Entscheidung zur Wahrheit. Es lebt sich viel besser, man kann den Opfern in die Augen schauen, man kann ihnen zuhören.

Sie haben den Mut zur Wahrheit angesprochen. Spüren Sie ihn auch im Vatikan?
Es hat sich schon einiges verändert. Der Papst hat in den fünf Jahren seines Pontifikats sehr behutsam und ohne großes Spektakel ganz gezielt Nachbesetzungen vorgenommen. Zweitens bin ich Leiter einer großen Diözesankurie in Österreich. Ich sitze in einem Glashaus und werfe deshalb nicht sehr gerne mit Steinen auf die größere Kurie, die in Rom ist.

Die Vorfälle haben das Vertrauen in die Priesterschaft erschüttert. Kann die Kirche es wieder zurückgewinnen?
Wir stellen fest, dass es bei den katholischen Schulen keinen Einbruch bei den Anmeldungszahlen gibt. Im Gegenteil. Warum Eltern katholischen Schulen nicht misstrauen, müsste man sie fragen. Ich stelle es nur fest. Das zweite ist, dass der Bereich Jugendarbeit nach wie vor eine große Tätigkeit der katholischen Kirche ist. Ich glaube, es gibt eine fundamentale Veränderung in unserer Gesellschaft, die ist auch segensreich: Das ist der enorme Rückgang der Internate. Denn ein Großteil der Geschichten, die passiert sind, übrigens auch im zivilen Bereich, sind sehr stark an Internate gebunden. Internate sind ein heikler Ort, das sind Dampfdrucktöpfe.

Interview von: A. Laubner

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