Leitl: „Der Politik fehlt für wichtige Reformen der Mut“
Sommergespräch mit WKO-Chef Leitl im Mühlviertel (OÖ) über Dörfler, ÖGB und Spekulanten.
WOCHE: Am Stammtisch nennt man Sie Christoph. Sagen Ihnen die Leute, was Sie von den Politikern halten?
Christoph Leitl: Die Leut’ unterscheiden genau zwischen denjenigen, die in der Politik ernsthaft arbeiten, und denjenigen, die nur Schaum schlagen. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote in der EU. Das kommt von unseren tüchtigen Unternehmern und deren tüchtigen Mitarbeitern. Man hat aber den Eindruck, dass man in der Politik nicht den Mut dazu hat, die großen Dinge anzugehen. Mir gefallen die Reformen in der Steiermark und in Oberösterreich. Ich würde mir wünschen, dass wir das auch auf Bundesebene schaffen könnten.
Kärntens Landeshauptmann Dörfler will allerdings den Gewerkschaftsbund abschaffen.
Mir hat Dörfler bei der Ortstafellösung sehr gut gefallen. Er hat Mut und Verantwortung bewiesen und dadurch Achtung errungen. Jetzt eine freiwillige Organisation wie den ÖGB anzugreifen, fällt nicht unter diese Kategorie.
Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit dem ÖGB?
Sehr konstruktiv. Jedes Jahr wird uns bei den Lohnverhandlungen ein heißer Herbst prognostiziert …
... kommt ein heißer Herbst?
Aber geh! Der Herbst wird moderat wie immer, wenn auch durch die hohe Inflationsrate schwieriger. Doch die Inflation haben nicht wir produziert, sondern Spekulanten an den Rohstoffmärkten. Wir müssen bei den Verhandlungen Vernunft und Augenmaß zwischen der Erhaltung der Kaufkraft und der Wettbewerbsfähigkeit beweisen.
Die Lebensmittel- und Energiepreise wachsen stetig. Wo bleibt die Antwort der Politik?
Ich verstehe die Sorgen der Leute sehr gut. Ich bin sehr enttäuscht, dass es die Politik nach der Krise nicht geschafft hat, der Spekulation Spielregeln zu verpassen. Niemand traut sich darüber, weil die Finanzzentren stärker sind als die Regierungen der Welt. Wer aus einer Krise nichts lernt, läuft Gefahr, sie wiederholen zu müssen.
Wie erklären Sie den Menschen die Milliardenhaftungen Österreichs an Griechenland?
Wir hatten eine ähnliche Situation wie Griechenland. Österreich wurde zum Pleitekandidaten herabgestuft. Hätten wir damals noch den Schilling gehabt, wäre es uns fürchterlich ergangen. Und wir haben für Kärnten das Zehnfache an Haftungen übernommen als jetzt bei der Griechenlandhilfe.
Über WKO-Präsident Leitl:
So oft es geht, lässt WKO-Präsident Leitl die Hektik der Großstadt hinter sich und sucht Erholung in seinem 300 Jahre alten Bauernhaus in Neumarkt im Mühlviertel (OÖ).
Während sich seine Ehefrau Erni dort liebevoll um die Blumen im Garten kümmert, ist Leitl für den Obst- und Gemüseanbau zuständig. Maulwürfe sind dort seine einzige Sorge, gerade wenn die kleinen Nager wieder einmal die Wurzeln der Kartoffeln anknabbern (am Bild mit Chefredakteurin Karin Strobl).
Jeden Sonntag nach dem Kirchgang setzt sich der Wirtschaftskammer-Präsident ein paar Stunden an den Stammtisch. Dort wird er geduzt und die Leute sagen ihm geradeheraus, was sie von der Politik in Österreich halten. „Das Gespräch mit den Menschen verleiht mir Kraft, Selbstsicherheit und prägt mein Urteilsvermögen“, sagt Leitl im Interview.
Autorin: Karin Strobl
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