Leitl: „Der Reformstau lähmt doch das Land“
Nur mit Leistungen können Politiker das Vertrauen der Wähler wiedergewinnen, sagt WKO-Chef Leitl.
Elf gesetzgebende Körperschaften, neun Landtage, Bundes- und Nationalrat. Das Recht geht vom Volk aus. Doch dieses ist mit den gewählten Vertretern unzufrieden. Stecken wir in einer Demokratie-Krise?
LEITL: Wir haben eine Erneuerungs-Krise. Die Doppelgleisigkeiten ziehen sich wie eine Krake über unser Land und lähmen es. ‚Bundesstaatsreform‘ ist der kürzeste Witz Österreichs. Die Schweiz ist föderalistisch und effizient. Sie verwechselt Föderalismus nicht mit Schrebergarten. Wir haben keine Demokratie-Verdrossenheit, sondern eine Unzufriedenheit mit der Art der Politik, heiße Eisen zu meiden.
In Österreich wird im Herbst 2013 gewählt und der Wahlkampf ist eröffnet ...
Dieses Land hat Besseres verdient als ein Jahr Wahlkampf. Ich wünsche mir, dass die Zeit mit Arbeit angefüllt wird. Wer bis zur Wahl keine Leistungen mehr vorweisen kann, wird sich schwer tun, das Vertrauen der Bürger zu gewinnen.
Die letzte Nationalratswahl hatte die niedrigste Wahlbeteiligung. Ein Trend?
Das ist die eine Entwicklung. Die zweite ist, dass eine Gruppe antritt, die außer der Forderung nach freiem Internetzugang kein Programm hat und es auf Anhieb in die Nähe der zehn Prozent schaffen könnte. Wenn das die Demokratie der Zukunft ist, dann ist sie wirklich gefährdet.
Die jüngsten Korruptionsfälle lassen die Menschen allerdings an der Ehrlichkeit unserer Politiker zweifeln.
Da sind mit Sicherheit einige Sauereien passiert. Der Reinigungsprozess ist gut, doch die Größenordnungen werden verzerrt. Ein Abgeordneter wird aufgrund eines 10.000 Euro-Druckkostenbeitrags durch die Medien gezerrt. Doch was ist mit jenem Volksbanken-Manager, der Milliardenverluste durch Spekulationen zu verantworten hat, vorzeitig abtritt, zur Hypo wechselt und dort auch noch durch staatliche Vertragsgestaltung mit fast drei Millionen frühzeitig nach Hause geht? Ein kleiner Unternehmer steht vor dem Konkursrichter, ein staatlich abgesicherter Manager am Golfplatz. Das regt mich auf.
Viele Bürger haben das Gefühl, dass wichtige Entscheidungen über Nacht getroffen werden. Reagiert die Politik nur mehr auf die Märkte?
Ich bin für freien Wettbewerb, aber mit einem sozialen Rahmen und einem Ordnungs- und Kontrollsystem. Wir haben eine nationale Politik, aber eine internationale Finanzwirtschaft. Wenn die Londoner City und die Wall Street stärker sind als der gewählte US-Präsident und EU-Kommissionspräsident Barroso, ist die Demokratie wirklich in Gefahr. Wir brauchen ein Dutzend klare Spielregeln darüber, was erlaubt ist und was kontrolliert und sanktioniert wird. Die Demokratie muss stärker sein als die Finanzhaie.
Zur Person:
Christoph Leitl, geboren 1949 in Linz (OÖ), folgte 2000 Leopold Maderthaner an die Spitze der Wirtschaftskammer Österreich, die derzeit 400.000 heimische Betriebe vertritt. 2004 und 2009 wurde Leitl als Kammerpräsident wiedergewählt. Leitl ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkeltöchter.
Autorin: Karin Strobl
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