„Schönes Land in schwerer Krise!“
Der aus Villach stammende und vielfach preisgekrönte Philosoph Konrad Paul Liessmann im WOCHE-Gespräch über Kärnten und die Welt.
WOCHE: Sie wurden am Dienstag als bedeutender Denker von der Havel-Stiftung „Vision 97“ als 12. Preisträger ausgezeichnet. Einer Ihrer Vorgänger ist Umberto Eco. Was bedeuten Ihnen solche Ehrungen?
Liessmann: Für mich sind solche Auszeichnungen durchaus wichtig. Es sind ja Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung, nicht meiner Person, sondern meiner Arbeit. Der „VIZE 97“ der Dagmar und Václav Havel-Stiftung bedeutet mir besonders viel: nicht nur, weil dies ein international hoch angesehener Preis ist, nicht nur weil ich der erste Wissenschaftler aus dem deutschen Sprachraum überhaupt bin, der mit diesem Preis ausgezeichnet wird, sondern vor allem, weil mit der Vergabe auch ein Symposion zu meiner Arbeit und eine Übersetzung wichtiger Texte von mir ins Tschechische verbunden sind.
„Es wird für Kabarettisten immer schwieriger, die Realität zu übertreffen“, meinten Sie 2007 anlässlich der Auszeichnung als „ Wissenschaftler des Jahres 2006“. Wurde es in der Zwischenzeit nicht noch schwieriger?
Wer den gerade zu Ende gehenden Wiener Wahlkampf beobachtet, hat in der Tat genug zu lachen. Mein Bedarf zumindest an politischem Kabarett ist durch die Wirklichkeit in hohem Maße gedeckt. Dass es für Kabarettisten dadurch noch schwieriger wird, mag durchaus sein. Viele beginnen ja deshalb auch, lieber gleich Witze über sich selbst zu machen.
Vor zwei Jahren nahm die Finanz- und Wirtschaftskrise ihren fatalen Lauf. Heute scheint sich alles wieder in geordneten Bahnen zu bewegen. Was sind eigentlich die Lehren der Krise – und: hat tatsächlich jemand daraus gelernt?
Es gibt natürlich schon einige Lehren aus dieser Krise. An erster Stelle steht dabei wohl die Einsicht, dass auf den Staat und auf die durch diesen Staat repräsentierte Gemeinschaft der Steuerzahler im Ernstfall nicht verzichtet werden kann. Weiters wurde zumindest im Ansatz begriffen, dass auf globale Krisen auch nur mit vereinten Kräften reagiert werden kann. Nichts gelernt wurde allerdings in Hinblick auf die Notwendigkeit, weit reichende Kontrollen für die Finanzmärkte einzuführen, das Prinzip schrankenlosen Wettbewerbs vielleicht sogar generell zu überdenken.
Es kann doch nicht sein, dass die verfehlte Kreditpolitik einer Bank oder einiger hybrider Banker ganze Länder an den Rand des Abgrunds bringt und auf Jahre und Jahrzehnte hindurch die Bevölkerung in Schuldhaft genommen wird – und dies trifft nicht nur auf Kärnten, sondern ganz aktuell zum Beispiel nun auf Irland zu, einem ehemaligen Musterschüler der EU.
Sie wurden 1953 in Villach geboren – wenn Sie heute von Wien nach Kärnten blicken: Was sehen Sie?
Ein schönes Land mit liebenswerten Menschen in einer schweren Krise: ökonomisch, politisch, kulturell. Es sind ja nicht nur die Folgen finanzieller Machenschaften und verfehlter Investitionen, die das Land prägen, sondern auch die politischen Kapriolen – FPÖ, FPK, BZÖ –, eine kaum noch existente Opposition, eine noch immer ungelöste Ortstafelfrage, eine unkoordinierte Kulturpolitik, die letztlich von bewundernswerten Einzelinitiativen lebt.
Kärnten ist wie kein anderes Land von Abwanderung betroffen – Brain drain nennt man dieses Phänomen. Wie sehr leidet das Land unter dieser intellektuellen Aushöhlung?
Dieses Phänomen betrifft natürlich nicht nur Kärnten: wir beobachten nahezu weltweit die Tendenz, dass es Wissenschaftler und Künstler in die Metropolen oder bestimmte attraktive Regionen zieht. Das ist natürlich ein Nachteil für ein Land wie Kärnten, und man müsste hier auch offensiv gegensteuern. Andererseits: Dass viele Kärntner außerhalb Kärntens glänzende Karrieren machen, spricht auch für dieses Land: für sein kreatives Potenzial, für sein Bildungssystem, für seine Offenheit. Eine gemischte Bilanz also.
Sie sind seit 1996 wissenschaftlicher Leiter des Philosophicums Lech. Wären solche hochkarätigen Veranstaltungen auch im Kärnten von heute vorstell- und umsetzbar? Oder taugt das Land mehr für Events wie das Beachvolleyballturnier?
Das Philosophicum in Lech ist sicher ein einzigartiger Glücksfall: Ein weltberühmter Skiort, der auch zum Ort einer geistigen, wissenschaftlichen Begegnung werden wollte und das auch mit viel Engagement und Begeisterung von Seiten der Gemeinde und des Bürgermeisters umgesetzt hat. Solches kann man kaum kopieren. Aber es stimmt, dass Kärnten offenbar bewusst auf eine andere Schiene gesetzt hat: Beachvolleyball, Motorräder, schnelle Autos, Society-Events. Das prägt natürlich das Image Kärntens und macht es nicht gerade einfacher, dort auch anspruchsvolle wissenschaftliche oder kulturelle Akzente zu setzen. Aber das Land selbst hat sicher das Potenzial dazu, und der Carinthische Sommer und vor allem die von Frau Dr. Bohunovsky organisierten und hochkarätig besetzten Symposien zu „Kunst und Gesellschaft“ zeigen auch dieses andere Kärnten.
Nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull schrieben Sie: „Wenn man etwas aus den Flugausfällen lernt, dann, dass viele der Mobilitätsbewegungen nicht wirklich essenziell sind.“ Welche Mobilitätsbewegungen sind überflüssig?
Der Inbegriff einer überflüssigen Bewegung ist für mich der Transport von Nahrungsmitteln und Tieren kreuz und quer durch Europa, nur weil irgendwo billiger geschlachtet oder gewaschen wird als vor Ort. Eine Stärkung des Prinzips der Nahversorgung würde schon viel Verkehr reduzieren. Und ansonsten: Jeder weiß doch selbst am besten, wie viel Autofahrten oder Flüge vielleicht zwar schön, aber nicht essenziell sind. Man kann ja auch, statt in die Karibik zu fliegen, in Kärnten Urlaub machen.
Interview von Uwe Sommersguter
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