Theaterstück
STIGMA – überfällige Retroproduktion im Raum Hall

Premiere - Stigma - Volksbühne Mils, einfach großartig! | Foto: Kendlbacher
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45 Jahre Volksbühne Mils: Das ist schon ein Anlass, etwas Besonderes auf die Beine zu stellen.
Theaterbesprechung von Peter Teyml

45 Jahre Volksbühne Mils: Das ist schon ein Anlass, etwas Besonderes auf die Beine zu stellen. Zwei Pittls aus Mils – Bühnen-Lokalmatador Josef Pittl und Mime bzw. Regisseur Pepi Pittl – haben sich an die seinerzeit in Hall verfemte „Passion“ Felix Mitterers „Stigma“ gewagt. Und eine eindrucksvolle Aufführung am 5. Juni im Vereinshaus Mils belohnte diesen Wagemut – auch wenn das Stück – einem veränderten Zeitgeist sei Dank – den Schrecken vergangener Jahrzehnte verloren hat und inzwischen auch große Akzeptanz genießt. Unter den Augen eines sichtlich erwartungsvollen Publikums und prominenter Personen der Tiroler Politik sowie im Beisein des Autors belebten die mindestens 8 Damen und 15 Herren mit Hingabe das dramatische Geschehen um die junge, gläubige Bauernmagd Moidl, die eines Tages nach schmerzhaften Anfällen die Wundmale des Gekreuzigten an sich entdeckt und in Folge der Obrigkeit von Thron und Altar ausgeliefert ist. Wissenschaft & Kirche – beide Institutionen verfehlen den Zugang zum Wesen der von Visionen geplagten Stigmatisierten, einzig der menschlich agierende Dorfpfarrer, der Jungknecht Seppele und die Frau des Wirtes und Bauern beschützen die Magd, welche nur als spirituelle Attraktion im Hause bleiben darf, aber wieder Unruhe schafft, weil sie die Repräsentanten der Macht der Ungerechtigkeit zeiht. Die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung wirft nun endgültig ein falsches Licht auf die Frau, sie wird einerseits der Hysterie, andererseits des Betruges bezichtigt.
Schlussendlich setzt bei ihrer Verhaftung die verirrte Kugel aus dem Gewehr eines Polizisten ihrem Leben ein Ende.
Sabrina Engel bewältigt den Part der Protagonistin durchgehend mit beklemmender Dichte im Wechsel von zarter, religiöser Inbrunst und brüllender Verzweiflung, Josef Pittl verkörpert einfühlsam und glaubwürdig die Figur des Dorfpfarrers – großartig in seinem zornigen „Dialog“ mit dem schweigenden Korpus am Wegkreuz. Peppi Pittl brilliert als „Grantscherm“ und selbstgefälliger Monsignore, er tanzt geradezu lustvoll in seinen exorzistischen Beschwörungen, bis ihn selbst die angerufenen Dämonen befallen. Michael Grüner verleiht dem kaltherzigen Mediziner die glaubhafte Note, Alex Engel vermag geschickt den Part als brutaler Bauernsohn Ruepp umzusetzen, Josef Hoppichler kann dem cholerischen Bauern und Wirt stark und überzeugend Figur und Stimme leihen. Die Rolle des gutmütigen Knechts Seppele ist mit Franz Hauser trefflich besetzt und Benni Kölle gefällt als draufgängerischer, verliebter Bast. Bettina Hilber verkörpert sympathisch die warmherzige Bäuerin, Anna Loidl leuchtet als alte Dirn. Eines nur: Der Verzicht auf die schwülstige Schlussszene mit den zwei Engeln, welche die Verstorbene in den Himmel aufnehmen, wäre kein dramaturgisches Manko gewesen. Entbehrlich, sozusagen. Ja, aber da sind noch die vielen anderen Akteure mit kleineren Rollen und die Damen und Herren hinter der Bühne, die zum Gelingen der Mils-Premiere beigetragen haben. Nicht unerwähnt dürfen als Co-Spielleiterin von Pepi Pittl Helga Föger-Pittl bleiben, die Kostüme von Barbara Jeitler, die dezente musikalische Untermalung von Manu Stix und ein Bühnenbau mit verständlichen Raumzitaten. Stigma – das Wort bedeutet „eine unerwünschte Andersheit“ – nun, diese hat zumindest das Stück in Mils nicht mehr vorgefunden. Natürlich könnte man jetzt Sigmund Freud bemühen und seine Nachfolger zitieren und dann alles Gebotene in Frage stellen – aber dann würde das Stück jeden poetischen Reiz verlieren und zu einem nüchtern abgehandelten Fall für die Psychiatrie mutieren. Und das wäre wohl schade. Gespielt wird bis zum 19. Juni 2021.

Theaterbesprechung von Peter Teyml

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