Sommergespräch: „Wir reden oft zu wenig“

„Ich mache mir Sorgen um Europa“, sagt der Präsident der Tiroler Wirtschaftskammer, Jürgen Bodenseer.
  • „Ich mache mir Sorgen um Europa“, sagt der Präsident der Tiroler Wirtschaftskammer, Jürgen Bodenseer.
  • hochgeladen von Sieghard Krabichler

BEZIRKSBLÄTTER: Die Tiroler Wirtschaft brummt. Sagt die Politik. Was sagt die Wirtschaft?
Bodenseer:
„Es herrscht eine positive Stimmung in Tirol, es geht den Unternehmen gut. Das liegt an der guten Mischung von Industrie, Handel, Gewerbe und dem boomenden Tourismus. Aber auch am Mut der Unternehmer und an den fleißigen MitarbeiterInnen.“

Aber die Krise ist noch nicht vorbei,, wenn man den Kampf um den Euro, etwa durch den ESM, in Europa verfolgt. Haben Sie Angst um die Zukunft?
„Ja. Um Europa mache ich mir Sorgen. Merkel und Co. haben den Ball nicht mehr sicher in der Hand, es wackelt der Schwanz mit dem Hund, wobei der Schwanz die Banken und der Hund die Politiker sind. Den ESM sehe ich kritisch, da Österreich nicht aussteigen und der ESM auch ohne unsere Zustimmung aufgestockt werden kann. Griechenland wird nach meiner Einschätzung in zwei Jahren den Zusammenbruch erleben, trotz ESM.“

Wo sehen Sie derzeit die schlimmsten Fallen für die Tiroler Wirtschaft versteckt?
„Es gibt keine Fallen, ich sehe das durchaus positiv. Denn Tirol im Herzen der Alpen wird vermehrt als Urlaubsziel angenommen, weil die Menschen weniger Geld für exotische Fernreisen zur Verfügung haben. Aber auch die gute Branchenmischung der Tiroler Wirtschaft lässt mich optimistisch denken. Wir sind gut und krisensicher aufgestellt. Trotz der Krise, ja nicht nur eine Krise des Bankensystems ist, sondern eine veritable Gesellschafts.- und Marktwirtschaftskrise.“

Und ihr Rezept?
„Weniger Staat, weniger Gesetze, weniger Verordnungen und die Politik müsste den Mut zur Lücke beweisen.“

Seit geraumer Zeit liefern Sie sich ein heftiges Gefecht mit AK-Präsident Zangerl. Wo liegen die Hauptdifferenzen?
„Ja, leider. Wir sollten beide damit aufhören und konstruktiv miteinander reden und fordern. Das Problem liegt darin, dass die Politik holpert und wir eine starke Sozialpartnerschaft brauchen.“

Brummen tut es auch in der Politik, es wird viel gestritten. Was sagt die Wirtschaft dazu?
„Zugegeben, das Image der Politik ist schlecht, es bräuchte eine Qualitätsverbesserung der Politiker. Wir sind an einem Punkt, wo Unternehmer nicht mehr bereit sind, in die Politik zu gehen. Mit dem Image der Politik sind breiteste Kreise der Bevölkerung nicht zufrieden. Die Wirtschaftspolitik des Landes in Tirol ist aber in Ordnung.“

Woran liegt es denn?
„Die Parteien, allesamt, agieren mit Werkzeugen und Ansichten von gestern und hinken einer modern entwickelten Gesellschaft inhaltlich hinterher.“

Zum Wirtschaftsbund: Sie sind als Obmann wiedergewählt, Hörl ist aus taktischen Gründen nicht gegen Sie angetreten. Ist Ruhe eingekehrt?
„Ja, und grobe Unruhen gab es nie. Obwohl sich Franz Hörl mir gegenüber oft kritisch geäußert hat und mich nicht mag, schätze ich seine Arbeit als Abgeordneter sehr, sowohl im Nationalrat als auch im Tourismus.“

Weil wir vorher von Reformen gesprochen haben. Grundsätzlich: Braucht es die Bünde überhaupt noch?
„Ja, denn das breite Spektrum der Interessen ist zu begrüßen. Bünde können eine Partei sehr bereichern, aber auch deren Sargnagel sein. Es kommt darauf an, wie man mit einander umgeht.“

Wie sieht das in Tirol aus?
„Die Bünde in Tirol arbeiten sehr gut, wir reden oft nur untereinander zu wenig. Bessere Kommunikation wäre total wichtig.“

Sie sind in der ÖVP als kritischer Geist bekannt, Ihre Kritik hat noch immer Gewicht. Fühlen Sie sich in dieser ÖVP noch heimisch?
„Es gibt für mich kein anderes Lager. Für mich ist die zentrale Zielrichtung Wirtschaft und Arbeit. Diese beiden Worte vereinen soziale Gesinnung, Sicherheit und Wohlstand.“

Stronachs Streben nach einer neuen Partei oder die nun gegründete Bewegung „Für Tirol“. Wie stehen Sie zu diesen neuen Bewegungen?
„Wenn die etablierten Parteien den Anschluss nicht finden und im Gestern agieren, erfüllen sie den Wählerwillen nicht mehr. Die Aufsplittung der Parteienlandschaft ist zwar demokratisch, aber es gibt Stillstand durch Entscheidungsnotstand.“

Wird es Konsequenzen für den Für-Tirol-Gründer Patrick Pfurtscheller geben, der Mitglied im Wirtschaftsbund ist?
„Vorerst nicht, denn ich sehe kein den Wirtschaftsbund schädigendes Verhalten.“

Könnten Sie sich eine Mitwirkung vorstellen?
„Nein! Meine Heimat ist und bleibt die ÖVP.“

Zur Person:
Jürgen Bodenseer ist Jahrgang 1947 und Unternehmer. Er war für die ÖVP im Landtag, steht seit 1990 dem Wirtschaftsbund vor und ist seit 2004 Präsident der Wirtschaftskammer. Seit 2006 ist er Präsident der Innsbrucker Messe. Er war auch Präsident des FC Tirol (1997).

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