Interview mit St. Martiner Tattoofarben-Experten
"Man nimmt dem Tätowierer das Arbeitsmittel weg"
Seit dem 4. Januar 2022 gelten in Österreich und der gesamten EU neue und strengere Vorschriften für Tattoos und Permanent-Make-Up-Farben. Es wurden Höchstkonzentrationsgrenzwerte für einzelne Stoffe oder Stoffgruppen eingeführt. Die Farbpalette für Tätowierungen und Pigmentierungen wird durch diese Verordnung um zwei Drittel der möglichen Farben reduziert. Die Tattofarben-Produzenten und Experten Katharina Ulz und Michael Dirks aus St. Martin an der Raab über die Regulierung, deren Auswirkungen und die Petition "Save the pigments".
RegionalMedien Burgenland: Was bedeuten die neuen strengeren Vorschriften für die Tatoo-Branche?
KATHARINA ULZ. Es ist vergleichbar mit einem Zimmermann, dem man den Hammer wegnimmt und sagt: 'Es ist zu deiner eigenen Sicherheit - und jetzt bau einen Dachstuhl'. Man nimmt dem Tätowierer das Arbeitsmittel weg ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Die Regulierung bedeutet quasi, dass man eine komplette Branche illegalisiert.
Geht man mit der Regulierung zu weit?
Katharina Ulz: Ja. Nicht nur zu weit, man geht in die falsche Richtung. Die Regulierung ist nicht wissenschaftlich untermauert. Es wurden stattdessen theoretische Werte angenommen und anhand dieser theoretischen Zahlenkonstruke wurden ca. 4.000 Stoffe reguliert. Das klingt erstmal nicht schlecht, allerdings geht der Schuss nach hinten los. Viele Stoffe wurden so reguliert, dass es zB nicht einmal Labors gibt, die die geforderten Werte überhaupt messen können. Es wurden Stoffe verboten, die nach jahrzehntelanger Verwendung nie auffällig waren, wie Blue 15 - und Stoffe erlaubt, die definitiv und eindeutig gesundheitsgefährdend sind. Wie zum Beispiel Ultramarinblau. Dies ist kein Gesetz, dass den Konsumenten schützt, sondern genau das Gegenteil bewirkt.
Wie groß ist die Verunsicherung bei Tätowierern und deren Kunden? Gibt es welche, die nicht mehr weitermachen wollen oder können?
KATHRINA ULZ: Die Verunsicherung ist groß, durch alle betroffenen Schichten. Vom Hersteller bis zum Endkunden. Mit der Regulierung sind nun alle in der Nahrungskette haftbar. Und durch die Art, wie die Regulierung aufgebaut ist, ist die Haftungsfrage im Moment sehr willkürlich. Die meisten Tätowierer beschränken sich im Moment auf Black and Grey Motive und haben ihre Farbkunden terminlich nach hinten geschoben bis die Hersteller angemessen reagiert haben (bzw. hoffentlich reagieren können) - aber auch das wird nicht ewig gut gehen. Vielen Artists fallen die meisten Aufträge im Terminkalender weg. Zusätzlich zu den pandemiebedingten Schließungen der Betriebsstätten kann dieser Umstand sehr schnell existenzbedrohend werden. Es zwingt die betroffenen Gewerbetreibenden in eine Entscheidungssituation: Halte ich mich an alle Vorgaben und riskiere ich Verlust, Strafe oder Schaden - oder gehe ich wieder in den Untergrund, sprich in die Schwarzarbeit, und entkomme so der Behördenwillkür. Wenn das passiert, hat die EU exakt das Gegenteil erreicht von dem was sie erreichen wollte: der Konsumentenschutz geht völlig verloren, denn im Untergrund hat die EU keinerlei handhabe mehr, so kann nicht einmal mehr sicher gestellt werden, dass die grundlegenste Hygiene eingehalten wird - geschweige denn darüber, welche Arbeitsmittel verwendet werden.
Gibt es bereits alternative Tattoo-Farben, die „REACH konform“ sind?
Ulz/Dirks: I AM INK ist im Moment weltweit die einzige Firma, die hinkommt. Wir haben 2019 schon angefangen, uns komplett an der Regulierung zu orientieren - und müssen auch ständig nachadjusieren, da das Gesetz noch dazu dynamisch ist, das heißt, es ändert sich laufend und wird kontinuierlich strenger. Aber wir haben nur Schwarz und Weiß - aber immerhin konnten wir in diesem Bereich die Arbeitsmittel für die Tätowierer sichern.
Mit „Save the Pigments“ wurde eine Petition initiiert. Was sind die Beweggründe, wie könnte eine Lösung ausschauen?
MICHAEL DIRKS: Die Beweggründe sind klar: Ohne Blau 15 und Grün 7 fällt zwei Drittel der Farbpalette weg und das ist nur die Spitze des Eisberges. Farben können durch dieses offensichtlich willkürlich erstellte Dokument gar nicht in die Praxis umgesetzt werden. Schon gar nicht, wenn eine weltweite Pandemie die Wirtschaft in die Knie zwingt und es an allen Ecken und Enden an Rohstoffen mangelt. Wir als Petenten würden es begrüßen, wenn wir überhaupt erst von der Europäischen Kommission ernst und wahrgenommen werden würden und eine Gesprächsbereitschaft seitens der EU signalisiert würde. Wir können einfach nicht verstehen, dass wirklich besorgnisserregende Substanzen von der EU eine Übergangsfrist von über 10 Jahren bekommen und Tätowierfarben, bzw. deren Bestandteile ohne jeglichen Nachweis innerhalb zwei Jahre verboten werden. Wo ist hier die Gleichheit? Eine verlängerte Übergangsfrist wäre schonmal ein Anfang.
Inwieweit hat auch Corona die Branche getroffen?
KATHARINA UlZ: Die Branche ist exakt gleich betroffen von Covid wie alle anderen Branchen der körpernahen Dienstleister. Mieten und laufende Betriebskosten mussten ja trotzdem bezahlt werden - und nun leert man die endlich wieder vollen Terminkalender durch dieses stupide Gesetz. Ob man persönlich Tattoos nun mag oder nicht spielt keine Rolle in meinen Augen - hier geht es um Existenzen. Auch die Tätowierer machen nur ihre Arbeit, sie haben Angestellte für die sie verantwortlich sind und Familien, die sie ernähren müssen. Sie müssen auf die Aussagen ihrer Hersteller vertrauen - und stehen trotzdem für Patzer in der Haftung. Es ist ein Behördenirrsinn der Superlative.
ULZ/DIRKS: Abschließend ist zu sagen: Wir begrüßen eine Regulierung - jeder würde eine sinnvolle Regulierung mit sinnvollen Forderungen befürworten. Wir alle wollen sicheres Tätowieren und saubere Farben für gute Arbeiten. Nur was hier passiert, ist weder sinnvoll noch umsetzbar. Es ist eine Farce. Egal ob die I AM INK es schafft, sie einzuhalten, hier geht es nicht um einzelne Firmen und ob sie jetzt Profit daraus schlagen können - es geht darum, den Artists ihre Arbeit zu erhalten, ihre Firmen, ihre Studios.
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