"Koran darf nicht alles sein"
Der Islam in Kärnten wird konservativer, Islamismus-Gefahr besteht aber keine
INNENSTADT. Der Psychologe Siegfried Stupnig arbeitet seit 2003 mit der tschetschenischen Gemeinde in Kärnten zusammen. Die WOCHE sprach mit ihm über islamistische Tendenzen und die Rolle der heimischen Politik bei der Prävention von religiöser Radikalisierung.
Konservativer Trend
"In Kärnten lässt sich bei den Tschetschenen ein gewisser Trend beobachten. Während die ältere Generation in den liberalen Safi-Traditionen verankert ist, haben die jüngeren wesentlich konservativere Auffassungen", sagt Stupnig. Vor allem in Villach ist dies zu beobachten, in Klagenfurt passiert dies in einem sehr geringeren Ausmaß. "Die Bärte sind bei einem kleinen Teil der Community länger geworden", fasst der Experte zusammen.
Grund dafür sind unter anderem nicht aufgearbeitete Rachegefühle. Viele, die heute als Jugendliche gelten können, bekamen als Kinder die Demütigung ihrer Eltern bei "Säuberungsaktionen" mit. "Die Eltern sind keine Vorbilder mehr, unbewusste Vorwürfe sind da vorhanden", so der Psychologe.
Unsicherheit
Hinzu kommt, dass viele Menschen im Moment Angst vor der Abschiebung haben. Dadurch sind vor allem junge Leute leicht verführbar.
"Von Radikalisierung oder islamistischer Gefahr kann man in Kärnten aber im Moment nicht sprechen", ist sich Stupnig sicher.
"Fünf Jahre verloren"
Der Experte kritisiert dennoch die regionale Politik. "Bis 2010 gab es ein gut funktionierendes Projekt. Jungen Tschetschenen wurden Identifikationsmöglichkeiten abseits der Religion geboten, in die sich heute viele flüchten", sagt der Psychologe. Dann wurde das Projekt eingestellt. "Wir sind deswegen im Moment fünf Jahre hinten nach. Ich war mehrmals bei der Stadt Klagenfurt, um zu intervenieren, es hat aber niemanden interessiert."
"Wer einmal radikalisiert ist, zu dem dringt man fast nicht mehr durch", plädiert Stupnig zudem dafür, neben der Aufrüstung auch stärker in Integration und Islamismus-Prävention zu investieren. Eine neue Initiative läuft seit Anfang Jänner.
Zur Sache
Die wachsende Präsenz islamistischer Extremisten in Europa ist auch in Österreich spürbar.
Kriegstraumata sowie gefühlte Chancen-und Perspektivenlosigkeit sind ein fruchtbarer Boden für Islamismus. Maßnahmen gegen (Selbst-)Radikalisierung sind daher wichtig.
Das Projekt "Integrationsinitiative Familie 2015" betreut im Moment zwölf asylberechtigte Familien, vorwiegend aus Tschetschenien. Dabei soll gesellschaftlichem Rückzug und sozialer Isolation entgegengewirkt werden.
In Kärnten ist vor allem Villach diesbezüglich ein Brennpunkt, die tschetschenische Gemeinde in Klagenfurt ist liberaler eingestellt.
Religiösen Extremismus gibt es in diesen Gemeinden im Moment nicht.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.