Forschung
Wie sich Blumen vor schlechten Genen schützen

Professor Nick Barton. Nicholas Barton leitet seit mehr als zehn Jahren eine Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA).  | Foto: Nadine Poncioni / ISTA
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  • Professor Nick Barton. Nicholas Barton leitet seit mehr als zehn Jahren eine Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA).
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Seit nun mehr als zehn Jahren untersucht eine Forschungsgruppe des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg bereits die Verwandtschaftsverhältnisse von roten und gelben Blumen im spanischen Katalonien. Diese Löwenmäulchen, die vor allem im westlichen Mittelmeerraum wachsen, haben ein ausgeklügeltes System entwickelt, um zu verhindern, dass schlechte Gene aufeinandertreffen, wenn sie von verwandten Pflanzen bestäubt werden.

MARIA GUGGING. Nick Barton sitzt im Schatten einer großen Pinie und wirft einen Blick auf das Tal, das sich vor ihm ausbreitet. Die märchenhafte Landschaft Kataloniens im nördlichen Spanien ist für die nächsten Wochen sein Arbeitsplatz. Denn Barton ist Biologe und Professor am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg und untersucht die Population der Löwenmäuler in dem Tal. Das sind bunte, hoch gewachsene Blumen, die ob ihrer Schönheit oft als Zierpflanzen verkauft werden. Warum reisen der Wissenschafter und sein Team so weit für ihre Forschung? „Die idyllische Gegend und die Ruhe in diesem Tal sind es nicht“, scherzt er, „denn Löwenmäuler wachsen hauptsächlich am Straßenrand. Das macht unsere Arbeit nicht nur unangenehmer, weil ständig Autos und Motorräder mit hoher Geschwindigkeit vorbeibrausen, sondern auch etwas gefährlicher.“ Seit zehn Jahren reist Barton nun schon mit Kollegen und Freiwilligen in das Gebiet, um die Populationen der Löwenmäulchen zu untersuchen und anhand ihres Erbguts deren Verwandtschaftsverhältnisse zu ermitteln. Denn einige der Pflanzen betreiben Inzucht.

Genmaterial von Verwandten

In dem fünf Kilometer langen Tal, in dem Barton forscht, gibt es etwa 3.000 Löwenmäulchen. Die Pflanzen wachsen also relativ dicht beieinander.

„Bei Pinien ist Inzucht kein großes Problem"

, sagt Barton und wirft einen Blick auf die rissige Rinde des Baumes neben ihm, „denn große Pinienwälder setzen ihre Pollen frei und diese werden über weite Strecken verweht, bis sie andere Bäume befruchten. Löwenmäulchen hingegen wachsen dicht beieinander und werden von Hummeln bestäubt – oft nur in einem Umkreis von 50 Metern.“ Inzucht hat dabei bei Pflanzen die gleichen Auswirkungen wie beim Menschen: Durch die Zusammenführung defekter Gene kommt es zu einer „Inzuchtdepression“; das heißt die resultierende Pflanze ist schwächer und weniger gesund.

Wird ein Kind gezeugt, egal ob bei Menschen, Tieren oder Pflanzen, erhält es je einen Satz Gene vom Vater und einen von der Mutter. Diese Gene sind außerordentlich vielfältig – jeder Satz unterscheidet sich in der Regel an mehreren Millionen Stellen vom anderen. Wenn ein Elternteil seine Gene an die nächste Generation weitergibt, werden sie neu gemischt, so dass eine einzigartige Kombination entsteht – deshalb sieht jeder Mensch und jede Pflanze ein wenig anders aus. Bei den Löwenmäulchen kennen die Forscher etwa ein halbes Dutzend Gene, die die untersuchten Unterschiede in der Blütenfarbe beeinflussen – aber das ist nur ein winziger Bruchteil des ganzen genetischen Codes.

Gene sind ständig durch zufällige Mutationen gefährdet, die dazu führen können, dass sie defekt werden. Jedes Löwenmäulchen trägt zwei Kopien eines jeden Gens in sich, und wenn nur eines davon defekt ist, richtet das in der Regel kaum Schaden an. Eine von Inzucht betroffene Blume kann jedoch eine defekte Kopie desselben Gens von seinem Vater und von seiner Mutter erben – und wenn das geschieht, kann das die Gesundheit der Pflanze stark beeinträchtigen.

Überraschende Erkenntnis

„Was uns überrascht hat war, dass Löwenmäulchen nicht so stark Inzucht betreiben, wie wir es aufgrund der geringen Anzahl der Pflanzen, die wir jedes Jahr wachsen sehen, erwartet hatten“, sagt Barton.

„Pflanzen haben außergewöhnliche Mechanismen entwickelt, um Inzucht zu verhindern, was Inzuchtdepression vorbeugt und auch dazu beiträgt, die Vielfalt zu erhalten, die für die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen unerlässlich ist.“

Das ist notwendig, weil die meisten Blütenpflanzen männliche und weibliche Funktionen in sich vereinen. Die Pflanzen produzieren Eizellen, die von Pollen befruchtet werden und dann Samen hervorbringen, aus denen die nächste Generation entsteht. Damit sie sich nicht selbst befruchten, können die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane einer Pflanze weit voneinander entfernt oder nur zu verschiedenen Zeiten aktiv sein; und manche Pflanzen sind rein männlich oder weiblich. Am bemerkenswertesten ist aber sicherlich ein molekularer Mechanismus namens „S-Locus“, den die Löwenmäulchen ebenfalls nutzen. Ein hochgradig diverses Gen, das Pollen zerstört, die den gleichen Genotyp wie die Mutter aufweisen. „Wenn also der Pollen von der Pflanze selbst oder von einem nahen Verwandten stammt, kann die Pflanze nicht erfolgreich bestäubt werden. Das ist ein genialer Mechanismus“, fügt der ISTA-Professor hinzu.

Barton erklärt: „Wir haben in den letzten zehn Jahren mehr als 20.000 Pflanzen einzeln untersucht und Blätter gesammelt, um die DNA der gesamten Population zu sequenzieren. So konnten wir die Eltern-Kind-Beziehungen zwischen den Pflanzen über die Jahre hinweg abschätzen und herausfinden, wie viele Nachkommen jede Pflanze gezeugt hat. Letztlich sind es diese Unterschiede in der Reproduktionsleistung, die den Verlauf der Evolution bestimmen. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, die DNA-Sequenz von so vielen Pflanzen zu finden.“

Samen lassen sich Zeit

Bislang konnte das Team mehr als 2.000 Trios identifizieren – Mutter, Vater und Kind, wenn man so will. Was die Biolog:innen erstaunte, war, dass Pflanzen aus einem Jahr fast nie Eltern aus dem Vorjahr hatten – in den ersten Jahren des Projekts konnten sie überhaupt kaum Eltern finden. „Dann haben wir verstanden was passiert“, sagt Barton, „dass nämlich Samen, die auf den Boden fallen, normalerweise zwei oder drei Jahre lang ruhen, bis sie Nachkommen produzieren. In einem Gewächshaus passiert das nicht. Da sich die Samen also Zeit lassen, kommt es zu viel weniger Inzucht, weil die Verwandten nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich voneinander getrennt sind.“

Riesiger Aufwand

Langfristige Forschungsprojekte wie das von Professor Nick Barton und seiner Forschungsgruppe sind für das Verständnis natürlicher Systeme von entscheidender Bedeutung – dennoch ist es schwierig, sie über viele Jahre hinweg zu finanzieren.

„Das ISTA engagiert sich in einzigartiger Weise für die Förderung der Grundlagenforschung und die kontinuierliche Finanzierung hat es uns ermöglicht, unsere Arbeit fortzusetzen“

, sagt Barton. „Für uns geht es bei dem Projekt darum, die Fortpflanzungssysteme von Blumen auf grundlegende Weise zu verstehen. Wir wollen die Entwicklung dieser ausgeklügelten Systeme, die Inzucht verhindern, ergründen und den Arten helfen, ihre Vielfalt zu erhalten, damit sie sich weiter entwickeln können. Zu verstehen, wie sich kleine Populationen trotz Inzucht an veränderte Bedingungen anpassen können, wird entscheidend sein, um herauszufinden, wie man Arten vor dem Aussterben bewahren kann.“

Professor Nick Barton. Nicholas Barton leitet seit mehr als zehn Jahren eine Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA).  | Foto: Nadine Poncioni / ISTA
Ein Löwenmäulchen in Katalonien. Nick Barton und sein Team haben Tausende dieser Pflanzen für ihre Forschung untersucht. | Foto: ISTA

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