Das Geisterhaus: Auch Despoten verlieren am Ende
Chile hat eine blutige Geschichte, politisch, aber auch von den Naturgewalten her. Erst kürzlich bebte dort wieder die Erde, mit 8,6 auf der Richter-Skala waren es schwere Erschütterungen. Schon in der Vergangenheit kämpfe Chile sowohl mit Vulkanausbrüchen, Tsunamis - eben Erdbeben - das letzte schwere 1960, als auch politisch gegen die Kolonisierung durch Spanien, Unabhängigkeitskriege, Kämpfe um wirtschaftliche Vormachtstellung und Bürgerkriege.
So eine bewegte Geschichte prägt naturgemäß die Kultur des Landes. „Das Geisterhaus“, im Akademietheater zu sehen, spielt in der Zeit vor und während Augusto Pinochets Diktatur, die erst 1988 beendet wurde. Davor ist ein heftig umstrittener Präsident am Werk. Salvador Allende sollte der Heilsbringer des Volkes werden, die Bürger hatten die Herrschaft der Patrons mit ihren unumschränkten Rechten satt. Viele schlossen sich der Volksbewegung Allendes an, der Linderung der Not versprach. Mit rigorosen Gesetzen, die die Macht der Multis massiv einschränkten, Verstaatlichungen und sozialen Errungenschaften, die schon in zahlreichen Ländern Usus waren, wollte Allende der Gesellschaft seinen Stempel aufdrücken und das Land für die breite Bevölkerung lebenswert machen. Er war als Marxist verschrien, stand innenpolitisch, aber auch im Ausland unter massivem Druck. Die USA sahen ihn als Gefahr für ganz Südamerika – einen Machthaber, der ihre Interessen gefährdet. Diese linke Bewegung musste gestoppt werden. Damals schon war die CIA höchst aktiv tätig, um diesen linken Auswuchs zu beseitigen. Allende beging nach dem Militärputsch Selbstmord. All das ist wichtig zu wissen, um das „Geisterhaus“ zu verstehen. Was muss Isabel Allende, die Nichte 2. Grades des früheren chilenischen Präsidenten Salvador Allende, erlebt haben, um eine solch exzessive Geschichte in einem Buch niederzuschreiben.
Es geht hier um männlichen Terror, Obsession, Gewalt, Aggressivität, Intoleranz. Die Despoten scheinen uneingeschränkte Macht zu haben, nur vorm Höchsten Richter muss Rechenschaft abgelegt werden. Am Patron Esteban Trueba wird das festgemacht. Er vögelt sich durch das Hauspersonal, ihn plagen keine Selbstzweifel, er hat die Macht, und die Untertanen müssen gottergeben alles hinnehmen. Der Despot scheut nicht einmal vor Angriffen auf seine Angehörigen zurück - seine Familie, der er psychisch und körperlich Gewalt antut. Seine geliebte Frau Clara versucht, dem Treiben Einhalt zu gebieten, vor allem beschützt sie die Kinder. Esteban wütet weiter, sie bestraft ihn mit Schweigen.
„Die Erde wird beben“ sind die letzten Worte, die sie an ihren Ehemann richtet. Das Erdbeben zeigt auch schon bald seine Wirkung. Die Tochter verliebt sich in einen kommunistischen Aufrührer. Die Familie zerbricht, alles was einmal war, gilt nicht mehr. Was bleibt ist eine große Leere. Verzweifelt klammert sich Esteban an seinen Senatorenposten. Er unterstützt den Militärputsch, um dann festzustellen, dass er als alter Mann weder Macht noch Freunde hat. Bedrückend ist sein Schlussmonolog. Die geliebte Enkelin ist verschleppt und gefoltert worden. Inständig bettelt er, der Patriarch, eine unbekannte Person der Junta an, ihm dieses Kind wieder zu geben. Er bekommt keine Antwort, er ist gebrochen, alle haben ihn verlassen, er ist endgültig einsam. Die Folterknechte haben ihr Werk vollbracht, ohne ihn zu berühren.
In der an sich sehr guten Akademie-Aufführung wird mit Kontrasten nicht gespart. Antu Romero und Florian Hirsch sind für die Bühnenfassung zuständig. Das Deutsch-Deutsche Bühnenbearbeitungs-Duo zeigt eine Fülle von überbordenden Eindrücken, ob mit einer Charlie Chaplin-Persiflage, einer Andeutung des letzten Abendmahls, oder mit ausgestopften Hunden - was ich für besonders geschmacklos hielt (ein Zuschauer hat bei dieser Szene die Aufführung lautstark verlassen). Warum das alles? Die Familientragödie im Klassenkampf, das Hadern der Frauen um eingeschränkte Rechte und letztendlich das Machogehabe des Patrons, dem gar nicht auffällt, welches Unheil er über seine „Leibeigenen“ bringt – es wäre genug der Qual, die sich durch das Stück zieht. Es ist sicher nicht leicht, die Geschichte Chiles in dreieinhalb Stunden zu erzählen, aber mehr Zurückhaltung bei den Regieeinfällen hätte dem Stück gut getan. Es erinnert mich an Gabriel José García Márquezs „Hundert Jahre Einsamkeit“. Der kürzlich verstorbene Nobelpreisträger erzählt in seinem genialen Buch genauso wie Allende die Geschichte einer Familie über Generationen. Auch hier fehlt es nicht an übersinnlichen Vorkommnissen, Gewalt, leidenschaftlicher Liebe und Bruch mit Traditionen. Was beide Bücher gemeinsam haben ist die unverwechselbare, schwüle Atmosphäre Lateinamerikas, die mich an den betörenden Duft von Narciso Rodriguez erinnert.
Im Akademietheater steht eine Reihe brillanter Schauspielerinnen auf der Bühne: Fantastisch überzeugend Caroline Peters als übersinnliche Frau Clara, August Diehl und Ignaz Kirchner in den Rollen des jungen und alten Esteban, und ein Frauenensemble, dem überragende Leistungen zugesprochen werden können.
Next: 7.5., 20.5., 26.5., Geisterhaus
Ticket: www.burgtheater.at
Reinhard Hübl
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