Im WTK 27 Jahre nach dem Tod
Buchpräsentation „Motl, der Waisenknabe“
27 Jahre nach dem Tod von Boris Brainin veröffentlicht der niederösterreichische Pilum Literatur Verlag die letzte große Arbeit des größtenteils im Exil wirkenden österreichischen Dichters, Satirikers, Nachdichters und Übersetzers, der Nachdichtungen aus 26 Sprachen verfasste. Der viele Jahre im russischen Gulag, später in Gefangenschaft und danach mit Rechtsminderung in Russland lebende Boris Brainin wurde 1992 von Bürgermeister Dr. Zilk nach Wien zurückgeholt und verfasste hier nicht nur die deutschsprachige Fassung seiner Memoiren („Erinnerungen eines Arbeitspferdes“, 2019 im Pilum Literatur Verlag erstveröffentlicht), sondern beschäftigte sich auch mit Übersetzungen aus dem Jiddischen.
Unter seinem liebsten Pseudonym „Sepp Österreicher“ übersetzte er, fast neunzigjährig und schwer krank, im Jahre 1994 den biographischen Roman des weltberühmten jüdischen Dichters Scholem Alejchem „Motl, der Sohn des Kantors Pejßja; die Schriften eines Waisenknaben“ aus dem Jiddischen. Er dachte, dass dieses Werk noch nicht ins Deutsche übersetzt worden wäre.
Obwohl es schon eine solche Übersetzung gab (Grete Fischer im deutschen Insel-Verlag, 1965), hat diese nun druckfrische „Neuerscheinung“ des bedeutenden jüdischen Romans einen hohen Stellenwert. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sowohl der Roman selbst, als auch seine Übersetzung durch die unbändige Willenskraft zweier alter und kranker Männer entstanden sind, derer beider Leben durch Pogrome bestimmt wurde. Beide kamen im Russischen Kaiserreich, der heutigen Ukraine, auf die Welt.
Wie diese Übersetzung das letzte große „Werk“ Brainins gewesen ist, so sind die letzten Kapitel der unvollendeten „Motl“-Erzählung unmittelbar vor dem Tod des Autors Scholem Alejchem im Mai 1916 entstanden. Fast zwanzig Jahre hatte der Autor den Wunsch, einen Roman über seine eigene Kindheit zu schreiben. Die letzten Teile davon schrieb Scholem Alejchem von seinem Krankenbett aus noch vier Tage vor seinem Tod.
Zweifellos gibt es nur wenige deutschsprachige Experten, die Jiddisch beherrschen und gleichzeitig gute Literaten sind. Des Weiteren hat Brainin aufgrund seiner Herkunft auch viel Wienerisches in seine Übersetzung einfließen lassen, das bekanntlich reich an jiddischen Ausdrücken ist.
Es ist Valeri Brainin, dem Sohn von Boris Brainin, zu verdanken, dass er diese wertvolle Übersetzung seines Vaters bewahrt und dem Pilum Literatur Verlag zur Verfügung gestellt hat.
Wie Tewje, der Milchmann (vielen bekannt als Titelheld im Musical Anatevka) ist auch der kleine Sohn des Kantors, Motl, ein liebenswürdiger, scherzender und weinender Held aus der Feder von Scholem Alejchem, mit dem man unbedingt Bekanntschaft schließen sollte.
Am 29. März um 19:30 Uhr wird in Anwesenheit der Familie von Boris Brainin dessen Übersetzung „Motl, der Waisenknabe“ im Wiener Theaterkeller (WTK, Hegergasse 9, 1030 Wien) vorgestellt. Einleitende Worte vom Historiker Dr. Robert Streibel, von Valeri Brainin und von den Herausgebern Erwin Matl und Leopold Hnidek (Pilum Literatur Verlag). Ausschnitte aus dem Roman werden vorgetragen von Gertrud Hauck und Helene Levar, musikalische Umrahmung von Miron Vatlin (Urenkel von Boris Brainin) am Klavier.
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