Das Gemütliche am Krieg oder Gang über Leichenberg
Karl Kraus ist ein begnadeter Formulierer, für mich einer der Besten, die die klassische Literaturgeschichte hervorgebracht hat. Sein Meisterwerk „Die letzten Tage der Menschheit“ führt uns zu Kriegstreibern und Kriegsgewinnern. Manch einer sagt, mit Kultur lässt sich die Gesellschaft nicht verändern. Das hat soziologische Grundlage - besonders in Österreich: Nur 17 % geben an, sich für kulturelle Informationen zu interessieren. Viel zu wenige halten die EU für ein Friedensprojekt. Rund ein Drittel der Österreicher sehnen sich nach einem „Starken Mann“ als Führer. All das sind erschreckende Zahlen. Früher war es ein Monarch, heute sind es Menschen wie Putin, der Expansionsgelüste hat, oder Ton Duc Thang, der sein Volk verhungern lässt. Oder auch muslimische Terrorführer, die keine Achtung für Andersdenkende haben und vor Mord nicht zurückschrecken.
In Kraus‘ Werk sind wir in den zwanziger Jahren. Die Menschheit wartet sehnlichst auf den Startschuss, um einen Krieg zu beginnen. Die Schüsse von Sarajewo bieten den geeigneten Anlass für ein Gemetzel unter dem Serben und den eigene Soldaten, die nicht genügend Brutalität besitzen, um die Menschen auf dem Balkan abzuschlachten. Auch die Italiener sind ein Hass-Objekt, weil sie sich weigern, in den Konflikt einzutreten. Und ist „ die Kugel aus dem Lauf“, dann gibt es keinen Halt mehr. Erst wenn die Länder ausgeblutet und keine Soldaten mehr da sind, um sie für die nächste Höllenrunde zu rekrutieren, ist die Zeit gekommen, über Frieden zu reden. Doch die Menschheit lernt nicht. Ungerechte Verhandlungen, schlechte wirtschaftliche Lage, Arbeitslosigkeit und Hegemonieansprüche sind ein Herd für den Ungeist von morgen.
In den „Letzten Tagen der Menschheit“ geht es um diese Feindseligkeiten. Die Hetze gegen Völker („Nieder mit Serbien“), die Lust am Töten, Werteverlust in einer fragilen Völkergemeinschaft, der Ruf der Kriegstreiber sind eine Melange, aus der militärische Auseinandersetzungen entstehen. Die Journaille jagt eine Extraausgabe nach der anderen ins Volk. In dieser Stimmung kommen die Todesschüsse in Sarajevo gerade der Donaumonarchie recht, um endlich den störrischen Serben zu zeigen, wo der Bartl den Most holt. Es beginnt das anscheinend Unausweichliche. Während der greise Kaiser - von gewaltlüsternen Gesellen umgeben - die Unterschrift unter das Kriegsdokument setzt, feiern die Wiener den Beginn des Schlachtens. Wohlhabende Söhne, aber vor allem die sozial Niedergestellten, drängen sich vor den Rekrutierungsbüros. Es ist eine Stimmung des Aufbruchs. Die Lügen über vermeintliche Kriegsgewinne lässt die Reihe der Anwärter nicht abreißen. Nur selten kommen ungeschönte Berichte beim Volk an. Wieder einmal spielt die Zeitungspropaganda, die damals auch nicht vor hochgeschätzten Literaten Halt machte, eine unwürdige Rolle. Besonders hervor tut sich die Kriegsberichterstatterin Schalek. Sie ist dem Regime herzlich willkommen. Sie darf an der Hand eines Leutnants über Berge von Leichen klettern. Alles Menschen, die für den Dienst ans Vaterland starben. Sie sieht, wie Granaten und Schranellen die Leiber der Gegner zerreißen. Die eigene Generalität schreckt nicht davor zurück, Soldaten, die sich ihrer Meinung nach nicht ausreichend am Morden beteiligen, standrechtlich erschießen zu lassen oder es gleich selbst tun.
Die Schalek berichtet der Wiener Gesellschaft, die dienstuntauglich ist oder sich freikaufen konnte, nonchalant über die Gräuel. In eleganten Salons schildert sie den Verbliebenen, wie fortstrebend das österreichisch-ungarische Heer ist, welch unglaublicher Mut die Heeresführung beseelt. Die Tischrunden hören begierig ihre Reportagen, um sich danach dem Saufen, der Hurerei, der lustvollen Abscheu hinzugeben. Das Maß ich noch nicht voll. Die Mahner werden verspottet, der Zynismus der Oberflächlichkeit und die Arroganz derer, die den Krieg im sicheren Heimathafen verbringen können, werden von der Geilheit der Frontmeldungen noch getoppt.
Gegen alles das hat Karl Kraus in der Zeitung „Die Fackel“ geschrieben. Vergebens. Er musste noch die Vorbereitungen auf den nächsten Völkermord erleben, bis er 1936 starb.
In der Inszenierung dieses Monumentalwerkes für die Salzburger Festspiele, die nun im Burgtheater zu sehen ist, zeigt der Regisseur eine beklemmende, manchmal ins Groteske abgleitende Vorstellung aus seiner Sicht der Dinge. Die Streichungen sind klug gewählt, wenngleich es ein Nachdenken wert gewesen wäre, das Gesamtschaffen an zwei Tagen auf die Bühne zu bringen. Vor vielen, vielen Jahren wurde es im Konzerthaus so gemacht. Trotzdem ist es noch immer eine beeindruckende, kritische Rückschau auf einen Krieg, der von klugen, konsensorientierten Menschen hätte verhindert werden können. Die Charaktere sind scharf gezeichnet, dem physischen und psychischen Leid wird viel Raum eingeräumt. Es ist eine Aufführung, die man am liebsten verlassen möchte, so grauenvoll sind die Ereignisse. Plastisch und dramatisch kommen die Kriegsereignisse von der Bühne des Burgtheaters - dem Publikum wird vieles zugemutet. Zum Schluss findet der „Optimist“ im grellen Scheinwerferlicht, dass das Ächzen des Krieges gar nicht so schlimm sei. Folter, Vergewaltigung einer Serbenfrau, danach deren Entsorgung im Fluss, ihr Kind im lebenden Zustand gleich danach ins Wasser geworfen, das Standrecht und dessen Folgen, das Töten ohne Hemmungen versetzt die Zuseher in Schockstarre. Als die Lichter auf der Bühne ausgehen, getraut sich keiner im Saal zu klatschen. Erst als die Beleuchtung wieder angeht, setzt zaghafter Applaus ein. Dieser gebührt den fabelhaften Schauspielern, die zumeist mehrere Rollen spielen. Es ist eine Sternstunde der Zurschaustellung eines Tragödienspiels. Man kann keinen der Akteure herausheben, so kompakt ist das Ensemble. Als ich nach Hause komme, schalte ich die ZIB ein. Hier erlebt man, was Kraus angeprangert hat: Krieg - im Fernsehsessel.
Next: 9.10.2014 um 19 Uhr.
Auch interessant: Die letzten Zeugen am 7.10. um 19:30.
Infos und Tickets: www.burgtheater.at
Reinhard Hübl
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