"Die Lebensbedingungen der Menschen sind sehr ärmlich"
Viel wurde in der vergangenen Woche über jene Menschen diskutiert, die mit ihren Kindern in einer Unterführung in Linz geschlafen haben. Wir haben mit einer Expertin über die Situation der Bettler gesprochen.
Drei Roma-Familien, die mit ihren Kindern in der Unterführung in der Nähe des Wifi nächtigten, sorgten in der vergangenen Woche in Linz für Aufregung. FPÖ-Gemeinderat Peter Stumptner forderte, dass die Kinder "in ihren Heimatländern die Schulbank drücken" sollten, SPÖ-Stadträtin Karin Hörzing schaltete Polizei und Jugendamt ein und kündigte an, im Krankenhaus untersuchen lassen zu wollen, ob die Kinder unter Medikamenteneinfluss stehen würden. Doch wer sind diese Familien überhaupt? Woher kommen sie? Und warum schlafen sie in Unterführungen und unter Autobahnbrücken? Darüber hat die StadtRundschau mit Michaela Haunold, Stellenleiterin Armutsmigration bei der Caritas, gesprochen.
Kaum Chancen in Rumänien
"Ich war vor drei Jahren selbst in Sfântu Gheorghe, einer Kleinstadt in der Nähe von Brasov in Rumänien. Dort kommen die meisten der Familien her, die in Linz betteln. Sie leben in einer Art Slum in Lehmhütten, ohne Strom, Kanalisation oder fließendes Wasser. Es gibt fünf Wasserpumpen für rund 3.000 Bewohner, die Lebensbedingungen sind sehr ärmlich. Viele der Menschen haben kaum eine Ausbildung oder sind Analphabeten und haben nur wenig Chancen auf eine Arbeitsstelle in Rumänien", sagt Haunold. Kleinere Gruppen machen sich regelmäßig auf den Weg nach Linz, wo sie jeweils zwei bis drei Monate verbringen, und hier ihren Lebensunterhalt durch Betteln verdienen. Haunold kennt jene Menschen, die in der Unterführung bei Wifi schliefen persönlich: "Es sind drei Familien, die seit fünf Jahren immer wieder in Linz sind."
Immer wieder vertrieben
Diese sowie andere Bettler aus Rumänien schliefen anfangs in einem alten Haus in der Dinghoferstraße. "Dort haben sie dem Vermieter fünf Euro pro Tag bezahlt, damit sie auf dem Fußboden schlafen durften", so Haunold. Die Unterkunft wurde jedoch nach ein paar Monaten behördlich geräumt. Seitdem wandern die Familien von einem Schlafplatz zum anderen. "Manche bauen irgendwo ein Zelt auf, doch die Zeltplätze werden ebenfalls regelmäßig von der Polizei geräumt. Zudem gab es 2016 zwei Brandanschläge, bei denen Unbekannte innerhalb einer Woche zwei Mal Zeltplätze in Linz angezündet haben. Das steckt vielen noch in den Knochen und sie sind sehr vorsichtig." Manchmal schlafen sie daher in Abbruchhäusern oder – wenn es nicht anders geht – eben unter Brücken oder in Unterführungen.
Es braucht Schlafmöglichkeiten
Zu den Notschlafstellen in der Stadt haben sie meist keinen Zugang, etwa weil sie keinen gültigen Aufenthaltsstatus haben. Für Familien mit Kindern sind normale Obdachlosen-Unterkünfte laut Experten außerdem nicht geeignet. Grünen-Gemeinderätin Marie-Edwige Hartig forderte daher die Errichtung einer eigenen Notschlafstelle für Familien, wie es sie etwa in Salzburg gibt. "Seit einem Jahr haben Familien dort die Möglichkeit, für einen befristeten Zeitraum unterzukommen. Das funktioniert sehr gut, und auch die Anzahl der Bettler hat sich dadurch nicht verstärkt", sagt Haunold. Möglich wären laut der Expertin auch ein legaler Zeltplatz mit regelmäßiger Betreuung durch Sozialorganisationen oder, wie in Wien, die Öffnung der Notschlafstellen zumindest im Winter für alle – unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Kinder sind in Ferien mit
Für besondere Aufregung sorgte die Tatsache, dass in der Unterführung auch Kinder angetroffen wurden. "Die meisten besuchen zu Hause eine Schule. Doch auch in Rumänien sind gerade Ferien. Der Schulbesuch ist für viele überdies mit Schwierigkeiten verbunden: Lernbehelfe sind kaum leistbar, ebenso wie saubere Kleidung. Viele Kinder haben ja nicht einmal die Möglichkeit, sich regelmäßig zu waschen. Dazu kommt, dass die Eltern meist nicht in der Lage sind, ihren Kindern bei den Hausübungen zu helfen", sagt Haunold. Die Caritas hat daher kürzlich die "Schule im Park" ins Leben gerufen, bei der die Kinder zwei Mal pro Woche gefördert werden und auch Deutsch lernen können. "Wir wollen so ihr Bildungsniveau heben und ihre Chancen erhöhen." Auch in der Caritas-Beratungsstelle, wo etwa Lebensmittel oder Hygieneartikel wie Windeln ausgegeben werden, kommen die Mitarbeiter täglich mit den betroffenen Familien in Kontakt. "Dass Kinder unter Medikamente oder Drogen gesetzt werden, konnten wir dabei nie beobachten. In so einem Fall wäre es unsere Pflicht, das Jugendamt einzuschalten", sagt Haunold.
In Arbeitsverhältnis vermittelt
Die mediale Diskussion hat den betroffenen Familien in jedem Fall solche Angst eingejagt, dass sie Hals über Kopf nach Hause gefahren sind. "Nur eine Familie ist noch hier. Ich konnte in Erfahrung bringen, dass das Jugendamt bei ihr war. Die Kinder sind auf jeden Fall nach wie vor bei der Familie." Die abgereisten Familien haben jedoch bereits angekündigt, wiederkommen zu wollen. Allerdings stehen sie dann in Linz erneut vor dem nichts, da alle ihre Matratzen und Decken, die unter einer Autobahnbrücke gelagert waren, behördlich entfernt wurden. Auch aus einem anderen Grund sei es problematisch, so Haunold, dass die Familien erneut vertrieben wurden: "Im Zuge unserer Beratung betreiben wir auch Arbeitsvermittlung. Heuer ist es uns gelungen, für fünf Männer eine Leasing-Stelle als Bauarbeiter zu finden. Sie sind jeden Tag von ihrem Schlafplatz auf der Straße in die Arbeit gegangen. Daran sieht man, dass die Menschen nicht unbedingt zum Betteln kommen. Lieber wäre ihnen eine legale Anstellung." Dass sie diese Möglichkeit häufiger bekommen, dazu sollen auch die Deutschkurse beitragen, die seit eineinhalb Jahren von der Caritas für Roma-Familien angeboten werden.
Spende hilft
Die Angebote der Caritas – von der Schule im Park über die Beratung bis zum Bildungskurs – sind spendenfinanziert. Wer betroffene Familien unterstützen möchte, kann dies mit einem kleinen Beitrag tun:
IBAN: AT203400000001245000
BIC: RZOOAT2L
Zweckwidmung: "Hilfe für Armutsmigranten"
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