Interview
"Kinder gehen mit dem Tod natürlicher um"

- Die Mitarbeiterinnen des Vereins Rainbows-Oberösterreich helfen Kindern und Jugendlichen, ihre Trauer zu verarbeiten.
- Foto: Rainbows
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Der Verein Rainbows-Oberösterreich begleitet trauernde Kinde. Die StadtRundschau sprach mir Rainbows-Oberösterreich-Leiterin Sigrid Eysn über Trauerarbeit im Videochat, wie sich Kinder den Tod vorstellen und weshalb Eltern im Gespräch mit ihren Kindern nichts falsch machen können.
LINZ. Rainbows-Oberösterreich begleitet Kinder und Jugendliche nach einem Todesfall in der Familie. Das Angebot gibt es seit Herbst auch in der Grünen Mitte in Linz. Die StadtRundschau bat Rainbows-OÖ-Leiterin Sigrid Eysn zum Gespräch.

- "Vor allem jüngere Kinder können ihre Gefühle oft noch nicht benennen", sagt Rainbows-Oberösterreich-Leiterin Sigrid Eysn.
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„Tut tot sein weh?“ – was antworten Sie einem Kind auf diese Frage?
Sigrid Eysn: Die Antwort lautet: Nein. Bei all den Fragen, die Kinder und Jugendliche stellen, antworte ich immer zuerst mit einer Gegenfrage: Was weißt du? Was glaubst du? Dabei erfahre ich schon viel über das Todeskonzept, familiäre Muster, Erfahrungen und deren Umgang mit Sterben und Tod.
Ein Verständnis darüber, was tot sein im Gegensatz zu leben bedeutet wird im Laufe der Jahre durch Erfahrungen und das soziale Umfeld geprägt. Weiters hängt das Verständnis vom Entwicklungsstand eines Kindes oder Jugendlichen ab. So wollen etwa jüngere Kinder den Verstorbenen eine Decke oder einen Polster mitgeben, um ein Frieren zu verhindern. Ab ungefähr dem siebten bis achten Lebensjahr treten biologische Fragen in den Vordergrund.
Der Tod wird langsam als biologischer Stillstand eines Organismus, der in Folge verwest und zu „Kompost“ wird, verstanden. Mit den Kindern höre ich zum Beispiel mit einem Stethoskop den eigenen Herzschlag ab und frage sie dann, ob Tote einen Herzschlag haben. Und wenn das Herz nicht mehr schlägt, die Person nicht mehr atmet, dann kann der Körper auch keine Schmerzen mehr empfinden, weil das Gehirn und das Nervensystem nicht mehr arbeitet.
Zeitungen zerreißen und die Wand anschreien
Wie arbeiten Sie mit Kindern, die sich nicht ausdrücken können oder wollen?
Vor allem jüngere Kinder können Gefühle nicht benennen. Der Verein Rainbows arbeitet stark mit praktischen, spielerischen Methoden. Ein Beispiel ist die Wutstunde. Dann sagen die Kinder vielleicht: "Wir haben überhaupt keine Wut in uns." Dann zerreißen wir gemeinsam Zeitungen oder schreien die Wand an. Am Ende sind die Kinder dann erleichtert und befriedigt.
Oft sind Kinder sehr wütend, dass sie verlassen wurden. Sie trauen sich im familiären Umfeld nicht sagen. Die Gefühle verwirren sie. Jüngere Kinder haben auch Schuldgefühle, glauben vielleicht die Oma ist gestorben, weil sie selbst nicht brav waren. Weil sie so gestritten haben. Wir vermitteln den Kindern, dass das nichts miteinander zu tun hat. Je nach Alter gibt es dafür unterschiedliche kreative Methoden.
Was empfehlen Sie Eltern, die selbst Scheu vor dem Thema Tod haben?
Für Erwachsene kann so ein Gespräch ungewohnt und mit großer Scheu verbunden sein. Meist schützen sie sich selber vor Schmerz und Überforderung. Kinder haben einen viel natürlicheren und unverfälschteren Umgang mit dem Thema Tod – wenn man sie lässt. Ich ermutige Eltern, ihren Kindern Fragen zu stellen. Manchmal gebe ich ihnen ganz einfache Werkzeuge mit: Ein Kinderbuch, einen Kurzfilm, Fragen, die sie stellen können. Wichtig ist, zu vermitteln, dass sie nichts falsch machen können.
"Trauern und das Leben weitergehen lassen"
Was können vielleicht trauernde Erwachsene von trauernden Kindern lernen?
Diesen möglicherweise unbeschwerteren und ehrlicheren Umgang mit dem Thema. Das im Hier und Jetzt sein. Trauern und trotzdem das Leben weitergehen lassen können.
Wie läuft so eine Stunde bei Rainbows ab?
Rainbows arbeitet nach einem Konzept, das sich sehr an der Person orientiert. Das heißt, dass darauf eingegangen wird, was das Kind oder der Jugendliche an Themen mit in die Stunde bringt. Vor allem geht es um das Begreifen und Benennen der eigenen Gefühle und die Stärkung der Handlungskompetenz, mit herausfordernden Situationen umzugehen. Wir helfen dem Kind, Erinnerungen zu bewahren und trotzdem der verstorbenen Person einen Platz zuzuweisen, der ein gutes weiteres Leben möglich macht.
Welche Vorstellungen haben Kinder vom Tod?
Im Kleinkindalter sieht sich das Kind selber als Zentrum seines Lebens. Der Tod einer Person wird als Verlust wahrgenommen und nicht als endgültige biologische Tatsache. Ab dem siebten oder achten Lebensjahr können Kinder langsam begreifen, dass der Tod eine unwiderrufliche Tatsache ist. Mit Ende der Volksschulzeit steigt das biologische Interesse. Wenn ich von einem Kind gefragt werde, wo jetzt die Seele der Mama ist, frage ich immer zurück, was es selber vermutet. Denn ich kann ihnen keine richtige Antwort darauf geben.
"Die meisten Schicksale sind sehr traurig"
Wie trennen Sie sich als Trauerbegleiterin vom Schicksal der Kinder ab?
Abtrennen ist ein schwieriger Begriff, da jede Begleitung systemisch zu sehen ist und immer in Wechselwirkung allen Beteiligten im System zu betrachten ist. Jedes Schicksal berührt uns Trauerbegleiter*innen mehr oder auch einmal weniger. Die meisten familiären Schicksale sind sehr traurig. Und es ist auch als professionell arbeitende Person erlaubt Gefühle in einer Begleitung zu zeigen. Man trauert mit dem Kind oder Jugendlichen ein Stückchen mit. Wichtig ist nur zu wissen, dass man sich als Wegbegleiter*in für einen kleinen Zeitraum im Leben eines Menschen versteht und für das Schicksal des Kindes oder der Jugendlichen oder der Familie nicht verantwortlich ist.
Rainbows-Mitarbeiter*innen melden sich freiwillig zur Trauerbegleiter*innen-Ausbildung und brauchen dafür eine eigene Ausbildung. Weiters wird unsere Arbeit gut mit Supervisionen und Intervisionen begleitet. Jede Person muss das für sich entscheiden, ob sie dafür geeignet ist.
Corona erschwert derzeit den persönlichen Austausch. Funktioniert Trauerarbeit auch im Videochat?
Wir haben dieses Angebot während des Lockdowns verstärkt. Teilweise wurden Beratungen und Coaching-Gespräche mit erwachsenen Bezugspersonen und Videochats mit Jugendlichen gut angenommen. Meine Erfahrung mit Jugendlichen ist, dass diese sich manchmal wesentlich leichter tun, mir ihre Anliegen via Whatsapp oder Instagram zu erzählen. Mit jüngeren Kindern ist der persönliche Kontakt wichtiger.


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