Pannonische Streifzüge zu 100-Jahre-Burgenland
Das Geheimnis des Birnbaumes und die Wiedervereinigung des Burgenlandes

Das Geheimnis des Birnbaumes. | Foto: Adobe Stock hjschneider
  • Das Geheimnis des Birnbaumes.
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Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten hatte das Burgenland als eigenes Bundesland aufhört zu existieren, und war auf die Reichsgaue Steiermark und Niederdonau aufgeteilt worden. Nachdem der Naziterror im totalen Chaos geendet hatte,überschritten am 29. März 1945 sowjetische Truppen bei Klostermarienberg das Gebiet der Ostmark. Am 1. April, dem Ostersonntag, war bereits das gesamte ehemalige Nord- und Mittelburgenland in "russischer" Hand. Aus  den Anfängen der sowjetischen Besatzungsmacht stammt die Geschichte, die ich Jahre später, als heimlicher Lauscher an der Wand mitbekommen hatte.

BRUCKNEUDORF/BURGENLAND. Mir läuft heute noch das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an die saftig, süßen Birnen von Großvaters Birnenbaum in meiner Kindheit zurückdenke. Geerntet wurden die reifen, gelbgrünen Früchte zeitgleich mit den ersten Bouvier-Trauben aus seinem Weingarten am Beginn der Weinlese. Für uns Kinder gab es nichts Besseres, als die Jause mit süßen Trauben, Birnen, Nüssen und Brot. Dazu tranken wir das von uns heiß begehrte Himbeerkracherl. Dieses Getränk färbte sehr stark ab, sodass wir einen richtig schönen, roten Kussmund bekamen. Wir hatten alle einen Riesenspaß daran, weil es ja sehr lustig aussah. Die Erwachsenen tranken Traubenmost, der zumeist bereits zu frischem Sturm vergoren war.

Streiche im damaligen Westungarn

Gerne saß ich neben meinem Großvater. Ich war seine „Älteste“, sein erstgeborenes Enkelkind. Im Schatten des Birnbaumes erzählte er mir so manche Streiche aus seiner Bubenzeit im damaligen Westungarn. Bratwürstel-Stibitzen, Schulschwänzen, bei den Nachbarn die Kirschen stehlen oder den Hund des Lehrers einsperren.
Beim heimlichen Lauschen erfuhr ich einmal eine tragische Geschichte, die mein Großvater meinem Vater erzählte. Der Großvater sprach sehr bedacht. Ich war aber sensibel genug, um zu merken, dass mein Vater nervös auf das Gehörte reagierte. Allerdings verstand ich als Kind die Bedeutung dieses Gesprächs noch nicht. Erst viel später als junge Frau, begriff ich, welch dunkles Geheimnis sich unter den Wurzeln unseres Birnbaumes verbarg.

Einmarsch russischer Truppen 

Es geschah zu Ende des 2. Weltkrieges, als die russischen Truppen in das von den Nazis aufgelöste Burgenland einmarschierten. Es sollte sich ergeben, dass russische Soldaten im Haus des Bruders meines Großvaters einquartiert wurden. Seine Frau musste die Wäsche der Soldaten waschen. Ein russischer Offizier, Wassili sein Name, der gut Deutsch sprach, meinte es gut mit den Leuten und brachte ihnen, dem „Feind“, gelegentlich Brot und Eier und legte auch sonst seine schützende Hand über seine „Nachbarschaft“. Viele Familienväter waren noch als Kriegsgefangene in Feindesland.
Der Onkel aber war bereits einige Tage nach Kriegsende nach Hause, nach Bruckneudorf, zu seiner Familie zurückgekehrt und musste sich täglich auf der Kommandantur in Bruck an der Leitha melden.

Strafarbeiten und laute Orgien

Tagsüber musste er Strafarbeiten leisten. Auch der russische Offizier hatte eine Familie in seiner Heimat im fernen Russland. Bei Erzählungen von Frau und Kindern kam es vor, dass Tränen über sein Gesicht liefen. Die russischen Soldaten feierten im Nebenhaus laute Orgien bei denen reichlich Alkohol floss. Lautes Schreien und Schüsse gehörten zum wilden, nächtlichen Szenario.
Eines Nachts, während so eines Alkoholexzesses stürzte Wassili in die Küche des Onkels.  Im Rausch verwechselte er die Hausfrau und ihre Kinder mit seiner „Mamotschka“ und „Djeti“. Er fühlte sich wie zu Hause, kam in eine wehmütige Stimmung und trank mehr, als er vertragen konnte. Voll betrunken wurde er alsbald müde. Er forderte den Familienvater auf, ihm die Stiefel von den Füßen abzustreifen, damit er es wohl bequemer hatte. Beim Abstreifen stürzte der volltrunkene russische Offizier so unglücklich, dass er hinfiel und sich sofort das Genick brach. Er lag tot vor ihnen und es wurde still.

Angst nach Schockstarre

Nach der ersten Schockstarre bekam es der Onkel mit der Angst zu tun. Er musste rasch einen Plan fassen, um seine Familie zu schützen. Als er sich sicher war, dass alle Nachbarn schliefen, nicht nur die russischen, sondern auch die Mitbewohner des Hauses, schleppten er und seine Frau den toten Russen in einem Kohlensack eingewickelt, fort. Hinaus auf das Grundstück neben dem Weingarten seines Bruders, meines Großvaters. Dort gruben sie unter dem Birnbaum ein Loch, um die Leiche verschwinden zu lassen. 
Wassili wurde am nächsten Tag von den mittlerweile nüchternen russischen Soldaten überall im Ort, auch in der Wohnung des Onkels, gesucht. Der Onkel und seine Familie wurden auf die Kommandantur zum Verhör gebracht, und wurde gefoltert, wie man danach erfuhr. Der Onkel und die gesamte Familie wurden nach Russland ins Arbeitslager deportiert.

Überreste einer Leiche

Viele böse Gerüchte gingen damals durch den Ort. Niemand aus unserer Familie erfuhr mehr etwas vom weiteren Verbleib der Unglücklichen. Das Schicksal wollte es so, dass mein Großvater auf seinem Grundstück sein Haus baute. Beim Ausheben des Kellers stieß er auf die Überreste einer verwesten Leiche, in einer stark vergilbten russischen Uniform. Umhüllt war sie von Geweberesten eines Kohlensackes. Er schüttete Erde darüber und begrub die Überreste des Russen ein zweites Mal. Genau an dieser Stelle stand der Birnbaum meiner Jugend, unser Birnbaum, mit seinen saftig, süßen Birnen.

Den Großvater, die Kinderspäße, das Himbeerkracherl von damals, alles gibt es nicht mehr. Der Weingarten von früher wurde in Bauland umgewidmet. Schmucke Einfamilienhäuser entstanden an dieser Stelle. Einzig der Birnbaum mit seinem dunklen Geheimnis steht noch an der gleichen Stelle. Aber die Menschen die heute dort leben, ahnen nichts davon. Er wird sein schauriges Geheimnis hoffentlich niemals preisgeben.

Im übrigen sind Birnbäume offensichtlich begehrte Verstecke für vergrabene Leichen "im Keller". Wie  beispielsweise in der Novelle von Theodor Fontane "Unterm Birnbaum".
An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass die russischen Besatzer nicht nur Leute waren, die Menschen in ihren Kommandanturen gefoltert und in die Sowjetunion deportiert hatten, sondern als Besatzungsmacht dafür eintraten, dass das Burgenland wiedererstand.

Unter der provisorische Staatsregierung  Karl Renner stieß dieses Ansinnen zunächst auf taube Ohren, auf Wunsch burgenländischer Politiker kam es aber dann noch zu einer Wiedervereinigung und Neugründung des Burgenlandes. Formal konnte das Burgenland am 1. Oktober 1945 als selbständiges Bundesland wieder auftreten.

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