Schleppbahn St. Georgen - KZ Gusen
Züge ans Ende der Menschlichkeit

In einem detaillierten, interaktiven Modell im Heimathaus St. Georgen haben Franz Walzer und Gernot Halmdienst  das KZ Gusen, die verbindende Schleppbahn und die Stollenanlage Bergkristall für in- und ausländische Besucher visualisiert. | Foto: Eckhart Herbe
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  • In einem detaillierten, interaktiven Modell im Heimathaus St. Georgen haben Franz Walzer und Gernot Halmdienst das KZ Gusen, die verbindende Schleppbahn und die Stollenanlage Bergkristall für in- und ausländische Besucher visualisiert.
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Der dritte Teil unserer Miniserie entlang vergessener Schienen im Bezirk Perg  widmet sich dem dunkelsten Kapitel der österreichischer Eisenbahnen: ihrem Einsatz als Werkzeug der Mordmaschinerie des NS-Regimes.  Eine weniger als drei Kilometer lange und nur rund 15 Jahre existierende Eisenbahn vom Bahnhof St. Georgen an der Gusen und der Stollenanlage Bergkristall ins KZ Gusen wurde zum Zug des Todes für tausende Häftlinge und Zwangsarbeiter. Ihrer Trasse folgt der heutige Audio-Gedenkweg.
ST.GEORGEN/LANGENSTEIN. 2021 sind Radfahrer, Jogger und Spaziergänger auf dem Damm unterwegs. Vor 80 Jahren waren die Schienen, die einst darauf lagen, Verbindung "von Hölle zu Hölle", wie es Überlebende beschrieben. Gemeint waren der KZ-Komplex Gusen I und II mit seinen Steinbrüchen und Rüstungsbetrieben und das riesige  Stollensystem "Bergkristall" in St. Georgen an der Gusen, die mit der "Schleppbahn" einen Gleisanschluss zur Summerauerstrecke erhielten.

Bahnnetz für KZ-Industrieanlagen

Im März 1941 begann die SS mit der Errichtung der Strecke. Vorerst , um den Granit der Gusener Steinbrüche abzutransportieren und Versorgungsgüter ins Lager zu bringen, das einen riesigen Industriekomplex beherbergte. Dort wurden umfangreiche Gleisanlagen errichtet, welche Abbauzonen und Produktionsanlagen verbanden. Sogar ein großer Lokschuppen für 25(!) Lokomotiven entstand. Es verliefen auch schon Feldbahngleise zur später von Rüstungsminister Albert Speer gestoppten Großbaustelle des geplanten Hafens an der Mündung der Gusen in die Donau. Auch aus dem Steinbruch Wienergraben des KZ Mauthausen führten Gleise zu einem Verladeplatz an der Donau nahe des Ortszentrums.
Die Schleppbahn und damit die Verbindung des Lagers zum Bahnnetz des Deutschen Reichs ging ab März 1943 in Betrieb und gewann durch die eingeleitete unterirdische Rüstungs- und Flugzeugproduktion in St. Georgen enorm an Bedeutung.

Brücke in nur 24 Stunden erbaut

Die Strecke zweigte am Nordostende des St. Georgener Bahnhofs von der Summerauerbahn ab und erreichte kurz danach den dreigleisigen "Übergabebahnhof", ab dem die SS mit eigenen Lokomotiven die für Gusen bestimmten Züge übernahm. Dort kamen ab Sommer 1944 auch die  Sklavenarbeiter aus dem eigens für das Stollensystem Bergkristall errichteten KZ Gusen II  in offenen Güterwagen an. Teilweise wurden die Häftlinge aber auch auf der Bahntrasse, gehetzt von Hunden und geschlagen von den Kapos, zu Fuß zu ihren zwölfstündigen Arbeitsschichten getrieben.
Unmittelbar nach dem Übergabebahnhof folgte die noch heute existente "Schleppbahnbrücke". Das düstere graue Bauwerk wurde im September 1941 von Häftlingen unter Gebrüll und Schlägen ihrer Bewacher in nur 24 Stunden(!) aus Trockenbeton gestampft. Nach Überquerung der Gusen mündete ein zweites Gleis aus dem riesigen Bergkristall-Komplex ein, das nahe des St. Georgener Ortszentrums beim heutigen Kinderspielplatz den Fluss überquerte, unter der Summerauerbahn hindurchführte und dann entlang des nunmehrigen Hochwasserdamms verlief. An der Stelle der Weiche befindet sich heute eine Gedenkskulptur des St. Georgener Künstlers Rudolf Burger.
Die Züge fuhren nun einen Kilometer parallel zur Pleschinger Landesstraße und unterquerten diese beim "Koglberg" an der westlichen Gusener Ortseinfahrt. Wo heute hunderte Häuser stehen, lag das Lager Gusen II, gefolgt vom Lager- und Industriekomplex Gusen I mit dem "Brecher"; einem weiteren Tatort grausamer NS-Verbrechen.

Züge für den größter Steinbrecher Europas

Durch die tausenden polnischen Arbeitssklaven wuchs die Granitproduktion in Gusen so rasant, dass man beschloss, den damals größten Steinbrecher Europas zu errichten. Er sollte auch gigantische Gleisschottermengen zur geplanten Umspurung der Breitspurstrecken der in Russland eroberten Gebiete liefern. Sein Bau kostete bis zur Inbetriebnahme im Frühling 1943 rund 2.000, vorwiegend spanischen Häftlingen das Leben. Im Frühjahr 1945 wurde der Brecher erneut zum Schauplatz barbarischer Vorgänge. Nun kamen aus dem ganzen Reichsgebiet Züge mit evakuierten Häftlingen anderer KZ-Lager dort an. Beim Entladen fielen manchmal schon Leichen aus den Waggons, die überlebenden Männer und Frauen, auch Kinder und Babys, wurden oft gleich an Ort und Stelle ermordet.  Die Ruinen der Anlage stehen noch. Sie spielen im Informationskonzept der künftig am Lagergelände geplanten Gedenkstätte eine zentrale Rolle.

Bronzezeitliche Funde beim Bahnbau

Im Bereich von KZ Gusen II stieß man beim Bahnbau auf ein großes Gräberfeld aus der Bronze- und Jungsteinzeit. Lagerkommandant Karl Chmielewski setzte ein Häftlings-Spezialkommando unter der Leitung des in Gusen inhaftierten und später ermordeten Priesters Johann "Papa" Gruber ein, um umfangreiche archäologische Ausgrabungen und deren Dokumentation durchzuführen. Die Funde wurden in einem eigenen Museum am KZ-Gelände hochrangigen NS-Besuchern präsentiert. Einiges davon ging leider in den Nachkriegswirren verloren, andere Fundstücke befinden sich im Naturhistorischen Museum in Wien und deutschen Museen. 

Schienen und Schwellen als Kriegsbeute

Nach der Befreiung der Häftlinge im Mai 1945 brannten die Amerikaner große Teile der Gusener Lager, in denen Seuchen wüteten, nieder. Auch die meisten Fabrik- und Bahnanlagen samt Lokschuppen verschwanden. Die Granitproduktion wurde im russisch  besetzten Mühlviertel vorerst als USSIA-Betrieb "Granitwerke Gusen" von den Sowjets noch bis 1955 weitergeführt. Dass die Schleppbahn nicht als Schienenanschluss für die Bewohner und Betriebe von Gusen und Langenstein - eventuell sogar mit Lückenschlussoption zur Machlandbahn in Mauthausen - erhalten blieb, hat neben ihrer historischen Belastung auch einen praktischen Grund: Beim Truppenabzug  nach dem Staatsvertrag bauten Armee-Pioniere die Schienen samt Schwellen einfach ab und nahmen das "deutsche Eigentum" als Reparationsleistung mit in die Sowjetunion. In Österreich war das eine eher seltene Praxis, in Deutschland hingegen demontierten die Russen  hunderte Kilometer Schienen, meist das zweite Gleis bei doppelgleisigen Strecken, als Kriegsbeute. Aus ihrer Sicht eine völlige berechtigte Materialbeschaffung, sprengte doch die  geschlagene Wehrmacht beim Rückzug nach dem Russlandfeldzug gezielt Brücken und Bahnhöfe und zerstörte mit eigens gebauten "Gleispflügen" systematisch einen Großteil des westsowjetischen Eisenbahnnetzes.

Gedenkweg nach jahrzehntelangem Vergessen

Schleppbahntrasse und -brücke lagen nach Kriegsende über viele Jahre im Dornröschenschlaf, ehe sie mit dem gestiegenen Geschichtsbewusstsein ab den späten 1980ern wieder in den Blickpunkt rückten. Viele, selbst Einheimische, erfuhren erst dann von der düsteren NS-Historie unter ihren Füßen, die über eine ganzen Generation hinweg totgeschwiegen oder ignoriert worden war. Seit 2007 verläuft auf auf der weitgehend erhaltenen Trasse der Audio-Gedenkweg, konzipiert vom St. Georgener Künstler Christoph Mayr, der ein beklemmend realistisches Hörbild der Häftlingstransporte zwischen Stollensystem und KZ Gusen vermittelt. 
Hochinteressant ist auch ein multimediales Modell im Heimathaus St. Georgen an der Gusen, das einen anschaulichen Blickwechsel zwischen heutiger und historischer Situation auf und entlang der Schleppbahn und in den NS-Arealen ermöglicht. Franz Walzer und Gernot Halmdienst vom Heimatverein haben tausende Arbeitsstunden in dieses Projekt investiert.

Kaum Chancen für neue Bahnpläne

Über eine Verbindung von Summerauer- und Machlandbahn unter Einbeziehung der alten Trasse gab und gibt es immer wieder Projektspekulationen. Das zeigt auch die aktuelle Öffi-Initiative der Grünen im Bezirk (die Bezirksrundschau berichtete). In den 1980ern wurden sogar schon konkrete Realisierungsszenarien diskutiert. Der Lückenschluss scheitert vor allem an den horrenden Kosten. Denn es wäre ein aufwändiger, sich verzweigender Tunnel unter Mauthausen nötig, um die Strecke im dortigen Bahnhofsbereich einzubinden. Mit dem vor 15 Jahren errichteten, ungleich günstigeren Anschluss der Machlandbahn über die Ennsdorfer Schleife an die Westbahn ist die aus Öffi-Sicht natürlich wünschenswerte Verbindung zwischen St. Georgen und Mauthausen wohl aber in weite Ferne gerückt.


Weiterführende interessante Informationen

  • Ein detailliertes Porträt und bisher unveröffentlichte Fotos der Schleppbahn bietet das neu erschienene Buch "Die Summerauer Bahn" der Autoren Niklas Bisenberger und Markus Müller (Verlag Railway-Media-Group)
  • Auf der Homepage der KZ-Gedenkstätte Mauthausen finden sich im Abschnitt zum KZ Gusen US-Luftaufnahmen des Gusener KZ-Areals , wo das umfangreiche Gleisnetz samt fächerförmigem Lokschuppen und der riesige Steinbrecher gut erkennbar sind. Am linken Bildrand kommt die Schleppbahntrasse ins Bild.

https://www.mauthausen-memorial.org/de/Wissen/Das-Konzentrationslager-Mauthausen-1938-1945/Das-Zweiglager-Gusen

  • Die wohl umfassendste Informationssammlung zum KZ Gusen und zum Stollensystem Bergkristall, aber auch zu den Industrie- und Eisenbahnanlagen dieser Areale, bietet die teils englischsprachige Homepage des Gedenkdienstkomitees Gusen. Die beiden ehrenamtlichen St. Georgener Historiker Martha Gammer  und Rudolf Haunschmied haben über Jahrzehnte ein beeindruckendes Archiv des Wissens zusammengetragen und vergessene Geschichte hochprofessionell zugänglich gemacht. Unzählige Fotos - einige davon sind in diesem Beitrag publiziert - und Dokumente finden sich auch beim St. Georgener Heimatverein im Archiv von Franz Walzer.

www.gusen.org/de/the-former-camp-complex/kz-gusen-i-langenstein

  • Das detailgetreue interaktive Modell von Franz Walzer und Gernot Halmdienst zum KZ Gusen, zum Stollensystem Bergkristall und zur Schleppbahn im St. Georgener Heimathaus hat die Bezirksrundschau 2018 bereits in einem Beitrag vorgestellt:

www.meinbezirk.at/perg/c-lokales/zwei-pensionisten-als-modellbauer-des-ns-gedenkens_a2574512

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