Melanie Höfler berichtet über Essstörung
Fressattacken und Erbrechen standen am Tagesprogramm

Mittlerweile unterstützt Melanie Höfler jene, die sich in der selben Situation befinden wie sie damals. | Foto: tobireiter
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Jahrelang hungerte Melanie Höfler aus Kleinzell, um zur perfekten Figur zu gelangen. Dass die heute 30-Jährige aber immer tiefer in eine Essstörung schlitterte, verdrängte sie. Nun berichtet sie über die schwerste Zeit ihres Lebens und wie sie es geschafft hat, wieder Halt zu finden.

BEZIRK ROHRBACH. "Ja, Höfler. Sie haben ja zugenommen – Ich war 15, als mir mein damaliger Lehrer das vor allen anderen im Unterricht sagte. An diesem Punkt war meine erste Diät geboren. Und es war bei weitem nicht die letzte", berichtet Melanie Höfler aus Kleinzell über den Beginn der schwersten Zeit ihres Lebens. Da sie mit Sport nicht viel am Hut hatte, machte die heute 30-Jährige das für sie einzig logische: weniger Essen. Aber nicht nur ein paar Tage – über Wochen und Monate, sogar Jahre zog sich das gestörte Essverhalten, das Melanie entwickelte. "Ich verlor immer mehr den Bezug zu Hunger und Sättigung, aß immer zu gleichen Zeit und je langsamer die Zahl auf der Waage sank, desto mehr Verbote baute ich in mein Leben ein", erinnert sich die Kleinzellerin zurück. Nach außen hin wirkte sie weiterhin als glückliches Mädchen, das stets gut gelaunt ist und sorglos durchs Leben tanzt. "Ich wurde gesehen, bekam Anerkennung und Zuspruch. Daheim gab es gleichzeitig fettfreie Nahrung und Kohlsuppendiät."

Mit 20 Jahren nahm sie einen Saisonjob als Kinderanimateurin in der Türkei an. Doch auch hier hatte sie nur Essen, Bewegung, Kalorien und die sinkende Zahl auf der Waage im Kopf, anstatt die Zeit zu genießen. Sechs Tage kontrolliertes Essen und viel Sport, der siebte Tag wurde der Völlerei gewidmet – so sah Melanies Woche aus. "Neun Monate später kam ich heim und bemerkte, dass ich tatsächlich ein paar Kilos verloren habe. Ich fühlte mich echt super, als ich viele Komplimente bekam, wie toll ich denn jetzt aussah und wie gut es mir steht. Meine Arbeit hat sich also gelohnt und ich bekomme endlich Anerkennung. Ein paar Wochen später hatte ich jedoch wieder das gleiche Gewicht wie zuvor. In dieser Zeit habe ich nämlich alles, was ich in die Finger bekam, gierig verschlungen. Also ging es auf zur nächsten Diät", erklärt die Kleinzellerin. "Das Ganze beginnt schon in der Kindheit. Mit vielen Werbespots wird man gebrainwashed und man denkt, dass der eigene Körper sowieso zu dick ist und etwas mit einem nicht stimmt."

Fressattacken und anschließendes Erbrechen

Nun begann Melanie auch, exzessiv Sport zu betreiben, um nicht wieder "zu dick" zu werden. Doch egal, wie viel sie sich nun bewegte und wie wenig sie aß, die Zahl auf der Waage blieb gleich oder stieg: "Ich hatte immer wieder Fressanfälle. Doch dann hatte ich einen Lichtblick – ich fing an, zu erbrechen." Der ganze Tag drehte sich nun um Essen, Bewegung und die Zahl auf der Waage, gefolgt von Fressattacken und anschließendem Erbrechen. "Eine ganze Schwarzwälderkirsch-Torte ist doch kein Problem – die werde ich ja eh wieder los. Dass mein Körper aber nicht doof ist und das nicht so einfach funktioniert, lernte ich erst später", gibt die 30-Jährige einen Einblick in ihr damaliges Leben.

Nach außen hin wirkte Melanie Höfler glücklich. Innerlich war sie aber gebrochen. | Foto: privat
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Obwohl Melanie dann nur noch 40 Kilogramm auf die Waage brachte, bekam sie im Fitnessstudio auch immer wieder Komplimente. "Das motivierte mich, weiter abzunehmen. Erst als ich merkte, dass mein Körper allmählich am Limit ist, dachte ich das erste Mal an eine Klinik, fühlte mich aber noch lange nicht krank genug, um wirklich Hilfe anzunehmen", sagt sie und ergänzt: "Du weißt von Anfang an, dass du ein Problem hast, redest dir aber immer wieder ein, dass heute das letzte Mal war, morgen wird alles anders. Es wurde aber nicht anders und es ging monatelang so weiter."

Herzschlag hatte sich mehr als halbiert

Nach einiger Zeit unterzog Melanie sich doch einer stationären Behandlung. Ihr Zustand verbesserte sich aber nicht: "Ständig verglich ich mich mit meinen Mitpatienten. Wir tauschten Diättipps aus und es herrschte ein stationsinterner Wettkampf. Jeder wollte dünner sein als der andere. Im Nachhinein gesehen war ich einfach noch nicht bereit für die Heilung. Denn was würde dann noch übrig bleiben, wenn die Essstörung wegfällt? Wenn man sonst nichts kann, kann man abnehmen und das wird gesellschaftlich angesehen." Nach drei Monaten war es dann so schlimm wie noch nie. Die Kleinzellerin erbrach drei Mal täglich, kippte ständig um und ihr Herzschlag hatte sich mehr als halbiert.

"Erst, als ich über Nacht keine Luft mehr bekam und morgens im Krankenhaus aufwachte, machte es Klick und ich wusste: Ich will leben und nicht sterben." Es war der Zeitpunkt gekommen, wo der 30-Jährigen klar wurde, dass es nicht so weitergehen konnte. "Ich kaufte mir viele Selbsthilfe-Bücher und sah mir Coachings zu den Themen Selbstliebe und Selbstwert an. In dieser Zeit fehlte es mir jedoch, mit jemandem persönlich zu reden. Jemandem, der weiß, was in meinem kranken Kopf wirklich vorging und meine Situation versteht", erklärt Höfler und ergänzt: "Ich schwor mir zu dieser Zeit, wenn ich es jemals aus diesem Höllental rausschaffe, dann will ich diese Person werden und anderen mit meiner Erfahrung helfen." Denn hier geht es laut Melanie um einen Kampf, den niemand versteht.

Heute hat Melanie Frieden mit ihrem Körper geschlossen. | Foto: tobireiter
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Viele Wutausbrüche und Weinkrämpfe 

"Ich denke, dass der Großteil meines Freundeskreises die letzten Jahre geglaubt hat, dass ich vollkommen gesund bin, denn mein Gewicht war schon lange Zeit im Normalbereich. Doch so war es nicht. In meinem Kopf fand all die Jahre ein brutaler Kampf zwischen schlechtem Gewissen, Schuld und Scham statt. Ich hatte weiterhin Wutausbrüche, stundenlange Weinkrämpfe und depressive Episoden." Trotz der Freiheit, die sie sich schon erkämpft hatte, konnte sie nicht mit dem Kalorien-Zählen aufhören und blieb weiterhin in Bewegung. Es dauerte lange, bis sie alle Regeln und Rituale, die sie sich gesetzt hatte, auflösen konnte.

"Heute fühle ich mich frei und habe mit meinem Körper Frieden geschlossen. Der Heilungsweg war eine turbulente Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen, Loopings und Ausfällen. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Freund Thomas, meinen Eltern und meinen Mädels bedanken, die immer hinter mir standen, auch wenn ich noch so schwierig war. An all die Leute, die sich von mir abgewendet haben: Euch danke ich auch. Dadurch habe ich gelernt, dass eine Handvoll Freunde reicht, um glücklich zu sein."

"Meldet euch bei mir!"

Melanie Höfler hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, diejenigen zu unterstützen, die mit den selben oder ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Aktuell macht sie die Ausbildung zur psychosozialen Beraterin. Im Zuge dessen führt sie bereits Beratungen durch. "Wenn du Hilfe brauchst oder jemanden zum Reden suchst, darfst du dich jederzeit bei mir unter 0676/329 58 74 melden. Du musst nicht erst alle Kriterien einer 'typischen Essstörung' erfüllen. Nur, weil man eine psychische Erkrankung nicht sieht, heißt es nicht, dass diese nicht existiert."

Sie betont außerdem, dass Essstörungen nicht mehr als Tabuthema angesehen werden dürfen. "Es ist nicht ansteckend und braucht keine Quarantäne. Im Gegenteil – Betroffene benötigen viel Unterstützung, stärkende Worte und eine offene Kommunikation. "Nicht jede Diät endet in einer Essstörung, aber jede Essstörung beginnt mit einer Diät."

Zur Sache

Melanie Höfler und ihr Freund Thomas Höglinger bieten in Kleinzell psychosoziale Beratung sowie Lebens- und Sozialberatung unter Supervision an. Mehr Infos gibt es unter die-hoeflingers.at

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