Wenn Kinderseelen leise weinen

Leonhard Thun-Hohenstein, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Salzburg.
  • Leonhard Thun-Hohenstein, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Salzburg.
  • hochgeladen von Lisa Gold

SALZBURG (lg). Chronischer Stress, hoher Leistungsdruck und fehlende Möglichkeiten zum "Abschalten" prägen nicht nur den Alltag zahlreicher Erwachsener, sondern auch jenen von Kindern und Jugendlichen. Das bestätigt der Vorstand der Salzburger Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Leonhard Thun-Hohenstein. Im Stadtblatt-Interview spricht der renommierte Jugendpsychiater über die medizinische Versorgung psychisch kranker Jugendlicher in Salzburg, die Folgen kindlicher Alltagshektik und die potentiellen Gefahren der "grenzenlosen Möglichkeiten".

Immer mehr Kinder und Jugendliche haben mit psychischen Problemen und Erkrankungen zu tun. Täuscht dieser Eindruck oder befinden sich psychische Erkrankungen tatsächlich auf dem Vormarsch?
THUN-HOHENSTEIN:
Insgesamt ist die Zahl der psychischen Erkrankungen in den vergangenen Jahren etwa gleich geblieben. Laut unseren Studien sind rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen davon betroffen. Was aber bemerkenswert ist: dass innerhalb dieser Zahl die Verhaltensstörungen, wie etwa Hyperaktivität oder Störungen des Sozialverhaltens zugenommen haben.

Mit welchen Erkrankungen kommen die Kinder und Jugendlichen zu Ihnen in die Klinik?
THUN-HOHENSTEIN:
Vielfach sind es Verhaltensstörungen, schwere Störungen des Sozialverhaltens, Hyperaktivität bis hin zu schweren Depressionen oder psychotischen Erkrankungen. Auch psychische Erkrankungen, die auf ein Trauma zurückgehen, sind häufig – vor allem in der aktuellen Situation, wo wir auch viele junge Flüchtlinge hier behandeln. Die Lebensgeschichten, die diese jugendlichen Flüchtlinge oft hinter sich haben, sind schockierend.

Sind diese Erkrankungen vielfach ein Resultat gesellschaftlicher Verhältnisse, des vielfach überzogenen Leistungsdrucks?
THUN-HOHENSTEIN:
Bei vielen betroffenen Jugendlichen kann man das sicherlich darauf zurückführen. Aber psychische Erkrankungen entstehen auch aus familiären und sozialen Gegebenheiten heraus. Wenn Kinder in prekären familiären Verhältnissen aufwachsen müssen, ohne Zuwendung sind, dann bleibt das im späteren Leben nicht ohne Folgen. Durch schwierige Lebensbedingungen, Trennung der Eltern, Gewalterfahrung oder durch schulische Probleme haben Kinder oft schon eine ausgeprägte Stresssituation. Wenn dann die "natürlichen Belastungen" wie Pubertät hinzukommen, dann ist das oft zu viel und es entsteht eine psychische Erkrankung.

Wird heutzutage auch manchmal zu schnell eine psychische Erkrankung bei Kindern diagnostiziert?
THUN-HOHENSTEIN:
Eher zu spät. Oft dauert es 2,5 Jahre, bis eine richtige Diagnose gestellt wird. Unbehandelt können psychische Erkrankungen dramatische Auswirkungen haben, die Betroffenen können berufsunfähig werden und bekommen Beziehungsprobleme im Zusammenleben mit anderen Menschen.

Ist diese Spät-Diagnose ein Resultat mangelnder flächendeckender medizinischer Versorgung?
THUN-HOHENSTEIN:
Die flächendeckende Versorgung ist weder ambulant, noch stationär, noch im niedergelassenen Bereich gewährleistet. Da hinken wir klar hinterher. Gut wäre es, wenn wir vier bis sechs niedergelassene Ärzte in Salzburg hätten. Die Warteliste für medizinische psychiatrische Versorgung ist lang. Wir müssen endlich anfangen, Fachärzte in diesem Bereich zu produzieren.

Stichwort Mobbing – welche Rolle spielen da die Schule sowie die Lehrpersonen? Oder welche Rolle sollten sie spielen?
THUN-HOHENSTEIN:
Ich muss klar sagen, dass ich hier vielfach die Verantwortung der Schule vermisse. Die Schule ist verantwortlich dafür, wie das Zusammenleben dort funktioniert und muss hier ganz klar in die Pflicht genommen werden.

Inwieweit wirken sich die Neuen Medien auf die Psyche der Kinder aus – gibt es hier vorschnelle Urteile, in denen Facebook, Twitter & Co der "Schwarze Peter" zugeschoben wird?
THUN-HOHENSTEIN:
Es geht um den goldenen Mittelweg. Wir leben heute einfach in einer Gesellschaft, in der das Internet nicht mehr wegzudenken ist, das gilt für die Schule ebenso wie für den Beruf. Die Jugendlichen brauchen auch die Neuen Medien, um kommunizieren zu können. Insofern sind die Neuen Medien keineswegs per se schlecht. Gleichzeitig haben viele – nicht nur Jugendliche – durch die Smartphones das Gefühl, permanent erreichbar sein zu müssen. Und das kann dann schnell zur Gefahr werden.

Es fehlt also die nötige Zeit, einfach mal "abschalten" zu können, zu entspannen und die Ruhe zu genießen?
THUN-HOHENSTEIN:
Ja. Die Kinder geraten heutzutage unter Druck, oft auch deswegen, weil viele Eltern ihre Erwartungen und Wünsche auf das Kind projizieren. Gut gemeint, nach dem Motto "Mein Kind soll es später einmal besser haben als ich", werden dem Kind Erwartungen auferlegt, die es manchmal nicht erfüllen kann. Ein Studium an der Universität ist nicht für jedes Kind geeignet und macht auch nicht jeden Jugendlichen glücklich. Wir sprechen hier oft von den "Burnout-Kids", die neben dem hohen Leistungspensum in der Schule auch in ihrer Freizeit noch einen vollen Terminkalender haben, vom Geigenunterricht bis zum Karate-Training.

Zerbrechen unsere Kinder dann sozusagen an dem Luxus der grenzenlosen Möglichkeiten und dem Über-Angebot?
THUN-HOHENSTEIN:
Es führt zu einem Ausgelaugt-Sein. Viele junge Menschen profitieren natürlich enorm von den vielen Möglichkeiten, es steht einem quasi die Welt offen. Nach der Schule ein Auslandsjahr dort, während des Studiums ein Auslandssemester da, das ist prinzipiell etwas Positives. Aber es sorgt auch dafür, dass das Gefühl entsteht, man muss alles erreichen. Und an diesen grenzenlosen Möglichkeiten, gepaart mit hohen Erwartungen, kann man dann zerbrechen.

Welche Möglichkeiten gibt es für Eltern, mehr Ruhe in das Leben der Kinder zu bringen?
THUN-HOHENSTEIN:
Funktionierende Beziehungen zu Eltern, Großeltern, und Freunden sind das Um und Auf. Eltern sollten versuchen, qualitativ hochwertige Zeit mit den Kindern zu verbringen, gemeinsam etwas zu unternehmen. Dazu gehören auch gemeinsame Essenszeiten, Kinder brauchen Orientierung. Und: Eltern sollen ihr eigenes Leben verantwortungsvoll leben und Kinder aus Streitigkeiten heraushalten.

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