"Prekär wird's demnächst quasi überall"

Ursula Hammel ist eine von derzeit drei Allgemeinmedizinern in Schärding. Ab April 2018 bekommt sie Unterstützung von Sandra Pöttler-Huemer, mit der sie eine Gruppenpraxis führen wird.
  • Ursula Hammel ist eine von derzeit drei Allgemeinmedizinern in Schärding. Ab April 2018 bekommt sie Unterstützung von Sandra Pöttler-Huemer, mit der sie eine Gruppenpraxis führen wird.
  • hochgeladen von Michelle Bichler

BEZIRK. Im Interview spricht sie über volle Wartezimmer, wieso es so schwierig ist junge Hausärzte in den Bezirk zu holen und mit wem sie ab April eine Gruppenpraxis eröffnet.

Sie lösen Walter Schreiner als Bezirksärztesprecher in Schärding ab. Welche Herausforderungen warten auf Sie? 
Die größte Herausforderung sehe ich darin, bei uns im Bezirk eine qualitativ gute und allen zugängliche medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten. Das wird zunehmend schwierig, wenn Arztpraxen nicht nachbesetzt werden können. Ein Grund dafür sind Rahmenbedingungen, die sich drastisch verändern: Die Baby-Boomer-Generation überschreitet den 55er. Das bedeutet: Viele Menschen – nicht nur die Ärzte! – erreichen in den nächsten fünf bis zehn Jahren das Pensionsalter. Mögliche berufliche Nachfolger können sich unter vielen attraktiven Angeboten aussuchen, wie, wo und unter welchen Bedingungen sie ihr Berufsleben verbringen wollen und zögern deswegen, sich als Hausarzt selbständig machen zu wollen. Zudem ist aktuell das gesamte Gesundheitswesen im Umbruch, wobei hier eher Planlosigkeit und Aktionismus vorzuherrschen scheint, als über die Legislaturperioden hinausreichende Weitsicht. Man denke nur an die überhasteten und seltsamen Pläne bezüglich der Krankenkassenfusionierungen. Ich wäre halt eher dafür, bestehende Systeme zu verbessern, anstatt sie zu zerschlagen.

Sind schon Kollegen mit konkreten Anliegen an Sie herangetreten?
Der Bereitschaftsdienste am Nachmittag ist immer wieder Thema. Wir müssen uns überlegen, wie wir das in Zukunft gestalten sollen, wenn mehr und mehr Ordinationen im Bezirk nicht nachbesetzt werden können. Ich möchte da jetzt nicht schwarz malen, aber konkret sind wir im Bezirk bereits um drei Kollegen weniger und spüren, was das an Mehraufwand bei der täglichen Arbeit bedeutet.

Was hat Sie dazu bewogen, sich für das Amt aufzustellen?
Ich habe 2014 in Schärding – zusammen mit dem Roten Kreuz – den HÄND (Anm. der Redaktion: Hausärztlichen Notdienst) realisiert. Ohne intensivste Diskussion im Vorfeld und Planung gemeinsam mit allen KollegInnen wäre dies nicht möglich gewesen. Es ist mir damals gelungen, ein gewisses Maß an Zusammenhalt und Austausch unter den Kollegen zu etablieren, quasi eine Kommunikations-Infrastruktur, auf der man etwas aufbauen kann. Nun: und wer „A“ sagt, muss auch „B“ sagen…

Wie sieht die Situation der praktischen Ärzte im Bezirk aktuell aus? In welchen Gemeinden ist es besonders prekär?
Im Juni hatten wir noch 28 Hausarztordinationen im Bezirk, seit 1. Juli sind es um drei weniger. Per 2017 sind fünf Hausärzte im Bezirk über 60 und zehn über 55 Jahre alt. Prekär wird es also demnächst quasi überall. Am schwierigsten nachzubesetzen sind Ordinationen ohne Hausapotheke, weil sich hartnäckig das Gerücht hält, dass man als Arzt ohne Hausapotheke wirtschaftlich nicht überleben könne. Dem möchte ich hier explizit widersprechen!
Aktuell betroffen von der Nicht-Nachbesetzung sind Raab und Schärding/St.Florian/Brunnenthal. Der verbliebene Kollege in Raab ist nun alleine für 2.300 Menschen zuständig, in Schärding/St.Florian/Brunnenthal werden 10.000 Menschen nun von drei Ärzten versorgt, statt bisher fünf. Der Zulauf in den drei Ordinationen ist dadurch erwartungsgemäß enorm angestiegen, was bedeutet, dass die Patienten sich angewöhnen werden müssen, sich ein Buch mitzunehmen, wenn sie zum Arzt gehen, weil es zu längeren Wartezeiten kommen kann.

Beispiel Schärding, das Sie ja persönlich betrifft: Mit Josef Pretzl ist im Sommer ein praktischer Arzt in Pension gegangen – ohne Nachfolger. Auch Walter Schreiners Nachfolger hat einen Rückzieher gemacht. Wieso ist es so schwer (junge) Allgemeinmediziner für ländliche Gemeinden oder Städte zu finden?
Wenn man die Jungkollegen fragt, hört man meistens „Da trau ich mich nicht drüber, weder fachlich noch finanziell.“ Die Kollegen sind sehr zögerlich, obwohl es durchaus sehr viel Unterstützung gibt – unter anderem von den Kollegen vor Ort oder auch seitens der Ärztekammer durch Praxisgründungsseminare, bei denen wirklich alles an- und ausgesprochen wird, was unklar sein könnte. Die Verunsicherung der möglichen Nachfolger wird dann noch verschärft durch Meldungen aus der Politik, wo man den Eindruck hat, im Gesundheitssystem muss jetzt alles komplett umgekrempelt und neu erfunden werden: Aus Hausarzt wird Primärversorgungszentrum, aus Kammer wird Verein, aus Gebietskrankenkasse wird Bundesweite Unselbständigenkasse. Mögliche Praxisnachfolger sind dadurch sehr irritiert und warten lieber zu. Attraktive Jobangebote gibt es ja genug.

Wie kann dem entgegengewirkt werden?
Ich denke, wenn junge Ärzte schon in ihrer Ausbildungszeit Einblick haben in die Hausärztliche Tätigkeit, dann lassen sich viele Bedenken aus dem Weg räumen. Da haben mir auch alle Praktikanten, die bisher in meiner Praxis waren, bestätigt. Die Lehrpraxis ist hier ein besonders wichtiger Ansatz, der leider viel zu spät kommt. Es wird auch immer die wirtschaftliche Attraktivität angesprochen, die verbessert werden muss, damit Ärzte aufs Land gehen – wobei eher die Städte das Problem mit den Nachbesetzungen haben (Wels, Linz, Schärding). Aber daran alleine liegt es meines Erachtens nicht. Junge Kollegen haben teils ganz andere Ansprüche, wollen mehr Freizeit, mehr Zeit für die Familie, geregelte, überschaubare Arbeitszeiten. Sie befürchten offenbar, dass sie das alles aufgeben müssten mit einer eigenen Praxis und übersehen dabei, wie vielseitig, interessant, spannend und oft auch sehr lustig der Beruf „Hausarzt“ ist. Das ist sehr schade.

Dem Bezirk fehlen ja nicht nur Hausärzte, sondern auch Fachärzte. Wie sehen realistische Lösungsansätze aus, um die Situation hier für die Bewohner des Bezirks zu verbessern? Derzeit wartet man ja etwa für einen Augenarzttermin ein halbes bis dreiviertel Jahr. 
Da tu ich mir jetzt ein bisserl schwer. Realistischer Weise muss man ganz plakativ sagen: Ein Augenarzttermin ist keine Herzoperation. Klar ist es lästig, wenn ich so weit vorplanen muss. Aber andrerseits ist das nicht wirklich ein Problem, wenn es um eine Routinekontrolle geht. Wichtig ist, dass ich drankomme, wenn ich akute Probleme habe und dann auch qualitativ gut versorgt werde – unabhängig von meinem sozialen Status. Das ist bei allen Ärzten und Fachärzten gewährleistet. Bei dem Ruf nach mehr Fachärzten wird auch sehr gerne übersehen, wie kostenintensiv die Einrichtung einer Facharztordination werden kann. Grade beim Augenarzt bewegen wir uns da sehr locker im höheren sechstelligen Eurobereich. Das muss dann auch erwirtschaftet werden, weswegen hier der Stellenplan eher zurückhaltend gehandhabt wird.

Wie viele Patienten betreuen Sie aktuell? Wo ist für Sie die Obergrenze erreicht?
Oje. Derzeit betreue ich keinen Tag unter 100 Patienten, es waren auch schon 190. Meine Obergrenze habe ich damit eigentlich schon längst überschritten, was ich daran bemerke, dass die Patientenkontakte leider oberflächlicher werden, was nicht mehr meinem Verständnis vom „Hausarzt“ entspricht. Aber wir geben unser Bestes – wobei ich an dieser Stelle ganz besonders meinem vierköpfigen Ordinationsteam danken möchte, die ihren Humor noch nicht verloren haben!

Was glauben Sie, wie wird der Bezirk Schärding ärztetechnisch in zehn Jahren aufgestellt sein?
Das ist schwer zu sagen. Es werden wohl noch einige Praxen nachbesetzt werden, davon bin ich überzeugt. Primärversorgungseinheiten sind immer in der Diskussion, aber die sind kein Allheilmittel. Derzeit sind solche Zentren als Gruppenpraxen konzipiert, was bedeutet, dass sich mehrere Ärzte wirklich gut verstehen müssen, um gemeinsam quasi eine Firma zu gründen. Bei aller Unterstützung und Förderung durch Kasse und Kammer bleibt das doch immer ein Abenteuer – und nach der aktuellen politischen Lage vermutlich ein sehr waghalsiges. Wenn Ärzte Ärzte anstellen dürften, könnten sich viel einfacher zu organisierende Formen der Zusammenarbeit ergeben, die vor allem abseits des Zentralraums interessant sein könnten.
Bei mir persönlich wird es ab 1. April eine Neuerung geben: Frau Dr. Sandra Pöttler-Huemer wird ab 1. April mit mir in einer Gruppenpraxis zusammenarbeiten. Darauf freu ich mich schon sehr.

Hätten Sie in Ihrer Funktion als Ärztesprecherin einen Wunsch frei, welcher wäre das?
Kommunikation ist mir ein Herzensanliegen. Ich versuche beispielsweise derzeit, die Kommunikation zwischen unserem Krankenhaus und den niedergelassenen Ärzten zu intensivieren. Sowas macht Sinn. Nur so kommen wir weiter, wenn wir im Gesundheitswesen etwas voranbringen wollen.

Ihr Neujahrsvorsatz?
Manchmal beinhart an mich selbst denken und ganz einfach nichts tun, was mit Medizin zu tun hat (lacht).

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Foto: Cityfoto
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