„Starben ohne zu leben“

Zu neuem Glück gefunden: Immaculee mit ihrem Mann Paul und ihren 17 Monate alten Sohn Jonas. | Foto: Steinlechner
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  • Zu neuem Glück gefunden: Immaculee mit ihrem Mann Paul und ihren 17 Monate alten Sohn Jonas.
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  • hochgeladen von Barbara Schießling

SCHWAZ (bs). „Sie haben uns Kinder in eine dunkle Hütte gezerrt. Zwei meiner Brüder waren auch da. Ich habe mich auf den Boden gelegt und mir immer die Augen zugehalten, denn ich wollte nicht sehen, wie sie den Kindern die Ohren und das halbe Gesicht wegschneiden. Plötzlich habe ich einen Schlag auf den Kopf bekommen und wurde bewusstlos. Als ich wieder zu mir kam, war ich großteils von Erde verschüttet, sie wollten uns begraben und dachten ich wäre tot. Mein Körper war schließlich voll mit dem Blut der Kinder“, erzählt Immaculee Steinlechner, während ihr immer wieder die Tränen in die Augen schießen und sie beim Erzählen ihrer Geschichte ins Stocken gerät. Immaculee ist Überlebende des Genozids in Ruanda.

1 Million Tote in 100 Tagen
Als achtjähriges Mädchen musste sie mitansehen wie ihre ganze Familie nacheinander abgeschlachtet wurde. Aus dem einfachen Grund, dass sie Tutsi waren und keine Hutu. Am 6. April 1994 schossen Unbekannte das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana mit einer Rakete ab. Noch in derselben Nacht rief die Hutu-Regierung zur Ausrottung der Tutsi-Minderheit auf, die sie für den Anschlag verantwortlich machte. „Es war als wie wenn ein Blitz eingeschlagen hätte, als die Truppen in unser Dorf einmarschiert sind. Vater wollte uns noch freikaufen. Aus meinem Versteck sah ich wie er umgebracht wurde“, schildert Immaculee. Damit begann ihr Martyrium, das sie auch noch heute, 18 Jahre später, in ihren Träumen verfolgt. In rund 100 Tagen wurden fast eine Million Menschen – Kinder und Erwachsene – regelrecht abgeschlachtet. Nach der Rechnung von Ruanda‘s Generalstaatsanwalt Martin Ngoga gibt es mehr Täter als Opfer: „Es sind so viele, wir können sie gar nicht alle zu Lebzeiten verurteilen.“ Über den Daumen gepeilt: mehr als eine Million.

Mit 13 Jahren nach Tirol
Als Immaculee blutüberströmt aufwachte lief sie los. Einen Monat nach dem Beginn der Ausrottung ihrer Rasse war sie allein und irrte durch die Wälder. Immer wieder musste sie sich vor Hutu-Truppen verstecken, bis sie nach zwei Monaten auf die Babysitterin ihrer Tante traf. „Sie brachte mich zu meiner Tante, die sich mit ihren drei Kindern in ihrer Wohnung in der Stadt versteckt hielt. Bis ich zwölf war blieb ich in Ruanda, dann adoptierte mich meine andere Tante, die einen Österreicher geheiratet hat und hier lebte“, erzählt die mittlerweile 27-jährige Mutter des kleinen Jonas. Nachdem sie ihre Ausbildung zur Diplomkrankenschwester im Krankenhaus Schwaz beendet hatte, heiratete sie ihren Mann Paul und gründete mit ihm eine Familie.
Doch die seelischen Wunden werden trotz des neuen Glücks das sie gefunden hat nie ganz heilen.
„Die erste Zeit schläft man nicht. Ich habe mir eingebildet, dass das alles ein Traum ist. Aber mit zehn Jahren funktioniert das nicht. Ich hörte immer die Stimme meiner Mutter, die in der Pubertät allmählich verschwand. Die Alpträume ließen mich in ein tiefes Loch fallen“, erinnert sich Immaculee.

The Missing Smile
Die 27-Jährige ist eine Frau voller Kraft und Mut. Als einzige Überlebende ihrer Familie hat sie ein Grundstück in ihrer alten Heimat Ruanda geerbt. „Dort will ich eine Gedenkstätte errichten, für meine Brüder, alle Kinder die starben ohne gelebt zu haben und als Erinnerung für ihre Angehörigen, die überlebt haben. Einen Ort des Friedens, wo ihre Seelen ein Zuhause finden“, berichtet Immaculee über ihr Projekt „The Missing Smile“. Um die Gedenkstätte zu finanzieren, veranstaltet sie am 20. April in der Pölzbühne Schwaz (um 20 Uhr) eine Benefizshow und am 23. Juni in Innsbruck eine große Benefizgala mit Künstlern aus aller Welt und Ruandas Botschafterin Christine Nkulikiyinka.
Infos: www.missing-smile.at

Zu neuem Glück gefunden: Immaculee mit ihrem Mann Paul und ihren 17 Monate alten Sohn Jonas. | Foto: Steinlechner
Eine Million Tutsi, darunter sehr viele Kinder, starben während des Genozids in Ruanda. | Foto: Foto: Katja Zanella-Kux
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