Strategieplan Zillertal
Wohin geht die Reise?

- Wohin geht die Reise für das Zillertal? Kapitalismus in Reinkultur ist offenbar das falsche Konzept.
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ZILLERTAL (fw). Einer vorzeitig beendeten Wintersaison wird vermutlich eine Debatte folgen müssen.
Eine Diskussion, wie sie vor acht Jahren geführt wurde. Als 130 Personen in 16 Monaten den „Strategieplan Zillertal. Ziele, Strategien und Leitmaßnahmen für die Zukunft unseres Tales“ beraten und das Papier im Juli 2012 präsentiert haben. Nach SARS-CoV2 sind es Gespräche über eine Neuausrichtung oder mögliche Anpassungen im Tal.
Andernfalls könnten „Konzepte wie der vorliegende Strategieplan (...) schubladisiert“ werden, wie es oft passiere. Ein Plan, der eigentlich „für Nachhaltigkeit steht und den Lebensraum, die Natur und die Umwelt in den Mittelpunkt rückt“, wie der Landeshauptmann im Vorwort des erwähnten Strategieplans gemeint hat. „Durch das miteinander Reden (...) und gegenseitiges Zuhören entstanden“, finde „die Nagelprobe (...) erst in der täglichen Umsetzung statt“. Hier einige Denkanstösse für die Zeit nach dem Coronavirus.
Thema Landwirtschaft
Wie gesichert ist die „Lebensfähigkeit der kleinstrukturierten Landwirtschaft“, die wir derzeit als wertvolle Zulieferer unserer Nahversorger wahrnehmen? Denn nicht alle haben einen Garten zum Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse für den Eigengebrauch. In wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten werde „wenig über Nachhaltigkeit und den Umgang mit Ressourcen nachgedacht. Erst in Zeiten wie jetzt besinnt man sich wieder mehr darauf. Aber das Bauwerk Natur muss man hegen und pflegen. Das lässt sich nicht nachbauen“, sagt Heinz Kröll von der Sennerei Mayrhofen. In den vier Zillertaler Sennereien werde „nur mehr silofrei hergestellte Milch verarbeitet. Das bedeutet für die Bauern Mehrarbeit. Diesen Aufwand lassen wir uns im Normalfall auch gerne mehr kosten“. Der Konsument fragt nach Heumilch-Produkten wie Joghurt, Topfen, Butter oder Käse.
Kommt das Fleisch für den Sonntagsbraten oder das Wiener Schnitzel wirklich von heimischen Bauern oder doch aus Mastbetrieben außerhalb unseres Landes? Viele Landwirte würden sich eine Schlachtung am Hof wünschen. Damit jedes Tier bis zum letzten Tag im gewohnten Stall bleiben kann. Werden Anforderungen in Sachen Hygiene erfüllt, spricht nichts dagegen. Aber nur wenige verfügen über einen separaten Schlachtraum. „Aufgrund vorhandener Strukturen wird es ohne Milchwirtschaft nicht funktionieren. Und weil Mutterkuhhaltung nicht immer möglich ist“, erläutert Tierarzt Franz Geisler. Von einem gemeinsamen Schlachthof im Zillertal würden besonders kleine Landwirtschaften profitieren. „Dafür braucht es die richtige Größenordnung. Und auch Metzgereien, Vermittler (also Handel) und Endverbraucher müssen mitspielen“. Ein Verbot der Anbindehaltung und die Forderung nach Laufställen als einzig zulässigem Standard würde für ihn nicht nur im Zillertal das Ende der kleinstrukturierten Landwirtschaft bedeuten.
Apropos: Tierärzten kommt bei der Kontrolle von Hygienevorschriften sowie bei Untersuchungen von Schlachttieren und Fleisch auf den Bauernhöfen besondere Bedeutung zu. Selbst die strengsten Lebensmittelgesetze seien zwecklos, wenn Tiroler Kälber durch halb Europa oder nach Nahost transportiert und nach dem Schlachten zum Teil mit zuvor abgeschlagenen Läufen und ohne Betäubung tief gefroren (aber zu günstigen Preisen) in unsere Kühlhäuser zurückkehren würden. Dabei würde sich gerade Kalbfleisch als Qualitätsprodukt eignen, mit dem sich die Gastronomie zudem nicht weniger als zwei Drittel ihrer Fleischimporte sparen könnte. „Ich animiere immer wieder Bauern, wenigstens ein paar Kälber selbst zu behalten und Fleisch höchster Güte zu produzieren“, sagt der Veterinär. „Viele spielen mit dem Gedanken, weil sie ihre Arbeit mit Freude machen. Würde nicht die Finanzierung teurer Gerätschaften dagegen sprechen“.
Ob Metzger am Hof schlachten oder Tiere zum Schlachten in die Metzgerei abholen, sei eine Frage des Vertrauens. Weniger von Mindestabnahmemengen oder Preis. Der Bau eines Schlachtraums bedeutet hohe Kosten und nur die wenigsten haben 100.000 Euro oder mehr zur freien Verfügung. „Ist der Stall sauber und wird das Vieh gut gehalten, gewinnen beide Seiten“, so der ehemalige Metzger Alois Kröll. Idealfall seien Weideschlachtung oder eine Schlachtung im Stall. Auch Zeit spiele eine Rolle. „Kann unnötiger Stress vermieden werden, werden keine Stresshormone ausgeschüttet. Das Fleisch bleibt viel haltbarer. Kann das geschlachtete Tier in einem eigenen Raum drei Wochen hängen, kann das Fleisch viel besser reifen. Das merkt man vor allem geschmacklich“, meint Metzgermeister Johann Hundsbichler aus Laimach. Er hat vor zwei Jahren mit so genannten Lohnschlachtungen aufgehört. „Wir müssen mehr auf die Natur achten und endlich damit aufhören, Kühe als Maschinen mit 50 l Tagesmilchleistung zu züchten. Oder bei Kuhausstellungen Zitzen gegen möglichen Milchverlust abzukleben“.
Laut Landwirtschaftskammer gäbe es im Zillertal acht gewerbliche und 25 bäuerliche Schlachter. Und dennoch ist Fleisch heimischer Herkunft Mangelware auf den Tellern der Gastronomie. Während Privathaushalte zunehmend auf Regionalität achten, entscheidet in Gaststätten in erster Linie der Preis. Denn wie ließe sich sonst erklären, dass Fleisch vom neuseeländischen Hirschkalb auf der Speisekarte als heimischer Hirsch angeboten wird? Authentizität sieht anders aus.
„Die gepflegte Kulturlandschaft prägt das Gesicht des Zillertals“ ist im Strategieplan zu lesen. Klingt logisch. Liest sich verdammt gut. Kaufen können sich die Bauern davon nichts. Daher muss die Frage erlaubt sein, ob die Nachmittagsjause tatsächlich ein absolutes Muss bei der Hotelbuchung ist? Obwohl Gäste mit dem hoteleigenen Wanderführer die Sonne am Berg genießen möchten und Hüttenwirte die Menschen mit dem Besten aus Küche und Keller verwöhnen würden. So etwas ist Wohlfühlen (oder Wellness) im wahrsten Sinn. Sobald allerdings die Wertschöpfung ins Spiel kommt, ist es scheinbar nur ein Modewort.
Den Beweis dafür, dass es gut funktionieren kann, liefern Gitti Kern und ihr Ehemann Thomas. Sie führen im Vollerwerb den Lengauhof in Ginzling. „Egal ob Milch, Käse, Eier oder Fleisch. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir mit Hotellerie und Gastronomie sehr gut zusammenarbeiten“. Ihre Arbeit werde anerkannt. „Einige Küchenchefs machen sich von Haus aus vermehrt Gedanken darüber, wie unterschiedliche Fleischteile möglichst gut verwertet werden. Es gibt nicht nur Steaks. Auch ein Kalbsgulasch ist hochwertig“. Doch ihr Hof sei ein seltener Sonderfall. Andere Landwirte stimme es verständlicherweise nachdenklich, wenn sie von Gastronomie und Hotellerie in erster Linie als Landschaftspfleger gesehen würden. Obwohl viel Herzblut investiert und Bedacht auf Nachhaltigkeit sowie Schonung von Ressourcen genommen werde. „Warum soll ich mein Fleisch bei dir am Hof teuer kaufen, wenn ich es über den Großhandel aus Argentinien oder von sonst woher um die Hälfte bekommen kann?“, ist der Preis oft das einzig entscheidende Argument.
Für viele Bauern sind die Einschränkungen im menschlichen Alltagsleben durch das Coronavirus eine ungeahnte Chance. Ihre Hofläden erfreuen sich noch größerer Beliebtheit. Denn Nahversorger gibt es nicht mehr in jeder Gemeinde. Wenn nun weltweit zu mehr Distanz aufgerufen wird, werden gemeinsame Mahlzeiten im kleinsten Kreis noch wertvoller als sie ohnehin sind. Zubereitet mit Lebensmitteln aus der Region. Es bleibt abzuwarten, ob sich manche auch nach Ende dieser besonderen Zeit daran erinnern werden, dass die Landwirtschaft Mittel zum Leben produziert. Für Frische Milch oder bestes Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren rechtfertigt auch einen höheren Preis. Denn was nützt das billigste Fleisch, wenn aktuell internationale Exportverbote den Bezug verhindern oder es wie importierte Massenware schmeckt?
Heumilchprodukte haben bewiesen, dass qualitativ Hochwertiges gefragt ist. Man darf deshalb gespannt sein, ob ein ähnlicher Erfolg mit regionalem Fleisch möglich ist. Dafür ist aktives Annehmen der Produkte durch die Gastronomie wichtig, damit Spezialitäten aus dem Zillertal auch tatsächlich ihren Ursprung im Tal haben. Denn nicht nur einheimische Bevölkerung, sondern auch Touristen werden immer mehr den Wert regional hergestellter Lebensmittel zu schätzen wissen.
BEITRAG von Florian Warum
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