Glaubenskirche im Gespräch
„Dann ist Kirche plötzlich wirklich da“
Der Wiener Superintendent Matthias Geist gibt im Rahmen der wegen Corona ins Internet übersiedelten Veranstaltungsserie „Glaubenskirche im Gespräch“ Einblicke in seine Überlegungen für mehr Zusammenarbeit und straffere Strukturen für das evangelische Wien, zu Chancen und Klippen für die Kirche im digitalen Raum und was eine zeitgemäße und lebensnahe Kirche ausmacht.
Nein, Pfarrer zu werden – oder gar Superintendent – stand eigentlich nicht auf der Lebensplanung von Matthias Geist. Das Mathematikstudium hatte es dem Sohn eines evangelischen Pfarrers angetan, das Theologiestudium kam eher zusätzlich dazu. Wer Matthias Geist auf Facebook folgt, erkennt aber rasch, dass ihn die Mathematik bis heute nicht losgelassen hat. „Mich macht das aus, dass ich beide Standbeine habe“, erklärt Geist denn auch bei „Glaubenskirche im Gespräch“ im Interview durch Glaubenskirchen-Pfarrerin Anna Kampl. Das strukturierte Denken sei ihm jedenfalls nun auch in seiner Führungsposition in der evangelischen Kirche – ein Superintendent entspricht in etwa der Position eines Diözesanbischofs auf katholischer Ebene – von Nutzen.
"Gesunde Straffung für zukunftsfähige Kirche"
Strukturiert und Struktur, zwei Schlüsselworte, die nicht nur Matthias Geist, sondern auch aktuelle Überlegungen zur Zukunft der evangelischen Kirche in Wien prägen. Auf allen Ebenen läuft hier die Debatte um eine, wie es heißt, „Regionale Entwicklung“ – und auch bei „Glaubenskirche im Gespräch“ bildet das Thema einen der Schwerpunkte. Dazu brauche es Straffungen in den evangelischen Gremial- und Vereinsstrukturen ebenso wie mehr Zusammenarbeit von Pfarren, skizziert Geist seine Vision. Im Sinne von Synergien könnten so etwa Pfarren in Wiener festgelegten Regionen unterschiedliche Schwerpunkte, sozusagen Spezialisierungen, setzen und in diesen Feldern – beispielsweise Flüchtlinge oder Jugend oder Senioren – quasi im Austausch zusammenarbeiten. „Profilbildung zahlt sich aus“, Teamorientierung sei das Gebot der Stunde, ist Geist überzeugt. Denn: Die jetzigen Strukturen seien auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten. Es gehe um „eine gesunde Straffung für eine zukunftsfähige Kirche“.
Emotionale Bindungen „im Bewusstsein halten“
Ob er Sorgen von Menschen verstehe, dass durch eine solche Regionalisierung starke emotionale Bindungen zu Pfarrgemeinden und unterschiedliche Identitäten von Pfarrgemeinden verloren gehen könnten? Geist: „Ich verstehe diese Sorgen nicht nur, ich teile sie auch zu einem gewissen Anteil.“ Solche Bindungen müsse man jedenfalls „im Bewusstsein halten“. Auch gebe es unterschiedliche theologische Zugänge von Pfarrgemeinden. Zugleich sei es aber gut, den Blick auch auf ein gemeinsames evangelisches Wien zu richten. „Man ist sich treu, aber man kennt das Darüberhinaus auch.“
„Durch unsere Personen Gott zur Sprache bringen“
Bei seiner Wahl im Juni 2018 hat Geist unter anderem eine „zeitgemäße“ und „lebensnahe“ evangelische Kirche ins Zentrum gestellt. Was das konkret heißt? „Wir müssen, so wie wir unterwegs sind, weiter in Bewegung bleiben“, so der Superintendent. Kirche müsse weiterhin eine „Oase der Stärkung“ sein, sich zugleich aber auch konkret zu Orten aufmachen wie etwa der Arbeiter-, Pflege-, Flüchtlings- oder Spielplatzseelsorge und Vielem mehr. Die „zeitgemäße Lebensart“ müsse im Zentrum stehen, nicht übertriebene theologische Sprache. „Wenn wir es schaffen, durch unsere Personen Gott zur Sprache zu bringen, das ist die wirksamste Methode überhaupt“, so Geist. „Dann ist Kirche plötzlich wirklich da.“
Gesamtes Gespräch auf YouTube
Mehr dazu und unter anderem zu Fragen der Kirche im digitalen Raum, der Notwendigkeit eines gesamtkirchlichen Rahmenkatalogs für das evangelische Auftreten im Bereich der Social Media, Befürchtungen zum Entstehen von „Rückzugsmentalitäten“ in der Gesellschaft und dazu, dass die Kirche auch in Corona-Zeiten „den Faden zum Menschen nicht verloren“ hat, hören Sie auf dem Youtube-Kanal der Glaubenskirche - bei der vollständigen Ausgabe von „Glaubenskirche im Gespräch mit…Matthias Geist“. Gleich anklicken:
Teil 1
Teil 2
Matthias Geist zu „Evangelisch sein – in drei Sätzen“:
"Ich bin evangelisch, weil ich mich sehe als jemand, der von Gott gerechtfertigt ist – so wie er sich gerade fühlt und nichts dazu beitragen muss."
"Ich fühle mich in einer Gemeinschaft getragen, aufgehoben, die versucht, sich und dem Reich Gottes wirklich so gut es geht Rechnung zu tragen."
"Und ich glaube ganz stark, dass alle Menschen auf dieser Erde in Freiheit und Würde geboren sind, mit Verantwortung ausgestattet sind und bei allen misslichen Situationen Versöhnung und Vergebung erfahren dürfen – ganz egal, woher sie kommen, was sie auf dem Buckel mitschleppen und tragen an Bürde und Last und Schuld und Lebenserfahrung."
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