Ein Drechsler dreht selten allein
Der Geruch von frischen Holzspänen. Holztrümmer, die sich mit tausend Umdrehungen pro Minute direkt vor der Nase drehen. Der Sound von scharfem Eisen, das auf Holz trifft – ganz klar: In Kuchl sind Drechsel-Vorführtage.
KUCHL (jus). Seit über zehn Jahren veranstaltet die Firma Neureiter die Drechsel-Vorführtage. 2000 Leute schlendern diesen September durch die Werkshalle in der „Holzgemeinde“, um den Holzdreh-Profis auf die Finger zu schauen. Heuer begegnet ihnen erstmals auch eine Frau an der Drehbank.
Drechsler aller Länder, versammelt euch!
Die 40 Vorführer kommen nicht nur aus Österreich, sie reisen eigens für diesen Event aus den Niederlanden, Italien, Deutschland, Großbritannien an.
Jan Hovens kommt das siebente Jahr in Folge aus dem niederländischen Venlo in den Tennengau: „Ich stelle filigrane Objekte wie Schachfiguren und Schmuckdosen her. Dafür eignen sich besonders gut Obsthölzer wie Apfel, Kirsche und Zwetschke.“ Einen Stand weiter zeigt seine Frau Monique die Kunst der Brandmalerei vor, sie verziert Gedrechseltes per heißem Draht.
Drechseln boomt im Amateurbereich
Der Drechselberuf als solcher mag hierzulande im Aussterben begriffen sein, im Amateurbereich erfährt er einen Boom. Immer öfter finden sich in Hobbywerkstätten Drehbänke und eine wohlsortierte Auswahl an Drechseleisen. Christian Kronreif, Prokurist der Firma Neureiterund Organisator der Drechsel-Vorführtage, spricht von jährlich 600 bis 800 Teilnehmern bei ihren Drechsel-Workshops.
Gut zehn Jahre ist es her, dass das Unternehmen, spezialisiert auf den Verkauf von Holzbearbeitungsmaschinen, die ersten Drehbänke ins Sortiment nahm. Damit trafen sie den Nerv einer Zeit, die sich, abgestumpft durch das Überangebot seriell gefertigter Produkte, immer öfter der Einzigartigkeit von Selbstgemachtem zuwendet. „Querbeet wollen die Leute handwerken: Anwälte, Ärzte, Tischler. Die Szene wird außerdem jünger. Viele Kunden sind in Kuchl in die HTL oder die Fachschule des Holztechnikums gegangen“, sagt Kronreif.
Faszination Drechseln
Die Faszination lässt sich leicht auf den Punkt bringen. Man schafft etwas Greifbares: Aus einem Holzrohling wird mit Geduld und Hingabe ein fertiges Gebrauchsstück. Der Drechsler kontrolliert dabei jeden Schritt, vom Stück Natur bis zum glänzenden Finish. Zudem hat man ein relativ schnelles Erfolgserlebnis: Im Vergleich zum Tischlern ist eine Holzschüssel schnell gedreht. Sie ist ein praktischer und gleichzeitig ästhetischer Gegenstand. Dem Formenreichtum sind kaum Grenzen gesetzt. Kugelschreiber, Hüte, Eierbecher – alles was rund sein will, lässt sich drechseln. „Ich trage fast nur noch Schmuck, den mein Mann Josef gedrechselt hat. Und unser Christbaum auch“, erzählt Waltraud Langmeier (57). Seit sie ihrem Mann (57) einen Drechselkurs geschenkt hat, ist er nicht mehr von der Maschine wegzubekommen. Das bayerische Ehepaar lässt sich seit Jahren auf den Vorführtagen in Kuchl inspirieren.
Frauen an die Drehbank
Nur von Drechslern zu sprechen ist allerdings schon lange nicht mehr korrekt. Immer mehr Frauen begeistern sich für das Handwerk. Etwa 50 pro Jahr nehmen an den Neureiter Drechselkursen teil. „Wir bieten mittlerweile Extra-Frauenkurse an“, sagt Kronreif, „Die meisten Frauen haben davor noch nicht mit Holz gearbeitet. Es kommen aber auffällig schöne Stücke raus – Frauen haben oft mehr Geduld beim Drechseln und ein gutes Gefühl für Formen.“ Astrid Keles, nebenberufliche Drechslerin aus Bayern, die ihre Werke auf Weihnachtsmärkten verkauft, ist derweil dennoch die einzige Vorführerin in Kuchl. „Ich hab da keine Hemmungen. Man muss sich in Männerdomänen vorwagen.“ Sie sähe es gerne, sollte ihr nächstes Jahr die eine oder andere Drechslerin in der Halle Gesellschaft leisten.
Wer also schon bald einen Drechselkurs besucht, steht vielleicht nächstes Jahr selbst in Kuchl und zeigt vor, worum sich's beim Drechseln dreht.
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