Kommentar
Fahrtauglichkeit mit wieviel Prozent?

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Zwei Zahlen am vergangenen Wochenende, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Corona-Fallzahlen in Vorarlberg sind wieder bedenklich gestiegen und die Vorarlbergweite Wahlbeteiligung ist mittlerweile auf einem erschreckenden Tiefpunkt. Wünschenswert wäre ein umgekehrtes Zahlenbild. Gibt es nun einen direkten Zusammenhang zwischen beiden Zahlen? Wohl eher nicht, außer dass die Angst, in Corona-Zeiten wählen zu gehen, größer ist als bei vergangenen Wahlterminen. Das zeigt übrigens auch die Summe aller Wahlkartenanträge. Leider kaschiert diese nicht die landesweite Wahlbeteiligung von lediglich 53,4 Prozent. Welche Faktoren kommen zusammen, dass bei der Wahlbeteiligung seit dem Jahr 2000 (88,8 %) bis 2020 (53,4 %) ein Rückgang von 35,4 – in Worten fünfunddreißig Komma vier - Prozent zu verzeichnen ist? Sind wir Demokratie-müde geworden? Ist doch das Wetter schuld? Geht es uns einfach zu gut? 35,4 Prozent! Von solch einer Prozentzahl kann manche Partei nur träumen. Am Ende sind es aber eben Nicht-Wähler und somit verlorene Stimmen. In jeder Gemeinde, bei der die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent liegt, kann man im Grunde nicht mehr von einem repräsentativen Wahlergebnis sprechen. Überspitzt gesagt, sind hier mehrheitlich Wähler mit Parteibuch zur Wahl geschritten, die sowieso ihre eigene Partei wählen.

Die geringe Wahlbeteiligung könnte auch mit ein Grund sein, dass in sechs Gemeinden am 27. September eine Stichwahl stattfinden muss. Muss darum, weil derzeit nichts mit Gewissheit prognostiziert werden kann.

Beide Zahlen – sowohl die steigenden Corona-Infektions-Zahlen und noch mehr die Wahlbeteiligung lässt eine legitime Frage zu: Mit wie viel Prozent ist ein System noch fahrtauglich? Ab welchem Prozentsatz sind demokratische Wahlen ohne Pflicht noch sinnvoll? Bildet ein solches Ergebnis wirklich den politischen Willen der Bevölkerung ab? Gibt es eine solche Spiegelung überhaupt?

Bei den COVID-Zahlen über das Vorarlberger Dashboard lässt sich auch nicht wirklich herauslesen, ab wann der Karren wieder stillsteht, sprich, ab wann unser gesellschaftliches Leben wieder gegen Null gehen sollte. Blickt man in das krisengeschüttelte Italien, dann wird schnell klar, dass Selbstdisziplin und die Eigenverantwortung bei uns so weit entfernt ist wie ein gemütlicher Spaziergang ohne Raumanzug auf dem Mond. Italien zeigt uns, dass durch eine kollektive Eigenverantwortung (hier kein Widerspruch) das Gesamtsystem Gesellschaft funktionieren kann. Und dabei reichen ganz banale Dinge wie Mund-Nasen-Schutz und Abstandseinhaltung bei größeren Menschenmengen.

Blickt man derzeit in den Alltag unseres gesellschaftlichen Lebens, dann darf man sich über steigende Corona-Infektions-Zahlen nicht wundern. Natürlich haben wir seit Montag wieder verschärfte Maßnahmen. Diese resultieren aber nicht nur aus steigenden Infektionszahlen, sondern eben auch aufgrund der legeren Einstellung von uns allen - in allen Lebenslagen. Ob Freizeit oder im Beruf. Teilweise greift man sich bei der Bussi-Bussi und Handshake-Gesellschaft nur an den Kopf.

Dann lieber auf die Regierung wettern, die man mitunter eh nicht gewählt hat, weil man Protest- oder Nicht-Wähler ist. Dann lieber das System als solches verteufeln, weil es einem das Gefühl gibt, den Atem der Freiheit abzuschnüren.

Sollten wir also eines Tages unseren gesellschaftlichen Karren an die Wand fahren, weil wir nicht mehr fahrtauglich sind, dann sind wir zu einem großen Teil selber Schuld. Wir sollten nicht vergessen, dass jeder von uns Teil eines noch funktionierenden Systems ist.

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