Kommentar
Mit Verlaub, es ist mein Urlaub

Christian Marold 
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Angst, Unsicherheit und teilweise Planlosigkeit. Das sind drei Attribute, die die letzten zwei Sommer geprägt haben. Es sind Gefühle, die man nicht so einfach abschalten kann, um dann ohne Sorgen in den Urlaub fahren zu können. Nun sind wir im dritten Jahr, der dritte Sommer in Folge, der Ungewissheit mit sich bringt. Das Prekäre an diesem Sommer ist die Leichtsinnigkeit der Reisenden. Ansonsten hat sich nicht wirklich viel verändert. Die Infektionszahlen steigen wöchentlich, ja täglich. Und umgekehrt nimmt die Vollimmunisierung jede Woche laut Experten dramatisch ab. Waren vor zwei Wochen noch 60 von 100 Menschen vollimmunisiert, so sind es diese Woche nur noch 40 von 100. Die Leichtsinnigkeit der Urlauber ist nicht das Ergebnis von Naivität, sondern von einer langen Zeit der Restriktionen und einer guten Portion Vertrauensverlust. Es gibt praktisch nirgendwo mehr eine Masken- oder 3-G Pflicht. Der grüne Pass schlummert als App im Handy, als würde er nur darauf warten, deinstalliert zu werden. Viele Regierungen von Urlaubsdestinationen plädieren auf Eigenverantwortung, was Maske tragen, Abstand halten und Hygiene anbelangt. Diese Eigenverantwortung ist aber ein billiges und fahrlässiges Stilmittel, nur um in den Umfragewerten nicht komplett im Keller zu landen. Das gilt übrigens nicht nur für die Regierung in Österreich.

Was seit einigen Tagen aber zur Pandemiesituation hinzukommt, sind die teilweise chaotischen Zustände an den Flughäfen. Manche Bilder erinnern mehr an die Situation am Flughafen in Kabul, als die Amis sich aus Afghanistan verdrückten. Lange Warteschlangen an den Abfertigungsschaltern, meterhohe Koffertürme, Flugstreichungen und in Summe viel zu wenig Personal.

Das sind derzeit keine Eintagsfliegenbilder, sondern sie häufen sich immer mehr und die Hauptreisezeit hat noch nicht einmal begonnen.

Ja, ich weiß, man könnte jetzt wieder als Moralapostel kommen und sagen, dass man doch lieber mit dem Auto und noch umweltfreundlicher mit dem Zug verreisen könnte. Oder am besten gleich zu Hause bleiben sollte, um die Wertschöpfung und den heimischen Handel zu unterstützen. Alles gut und recht, aber viele Menschen sehnen sich nach der Ferne und dem Abstand von dem gewohnten Umfeld, auch wenn mittlerweile ein ehemaliger Fußballweltmeister hier bei uns arbeitet, wo andere bekanntermaßen Urlaub machen. Dieses Fernweh hat sich bei vielen mittlerweile über drei Jahren aufgestaut und die Vorfreude auf eine Fernreise ist kurz vor dem Platzen, als sei sie ein zu stark aufgeblasener Luftballon. Mit Flugstreichungen, stundenlangen Wartezeiten am Check-in und manchen Gepäckstückverlusten kann dieser Ballon dann endgültig explodieren.

Die Erwartungen in den eigenen langersehnten Urlaub sind also sehr hoch und wenn aufgrund der rasant steigenden Preise so ein Urlaub um ein Drittel teurer wird, dann kommen in Summe sehr viele Einzelteile von unkalkulierbaren Parametern zusammen, die uns wieder zu den drei Attributen zu Beginn führen. Wenn also eine Gesellschaft in ihrem Tun und Handeln seit mehreren Jahren mit solchen Gefühlen lebt, dann schlägt sich das nicht nur wirtschaftlich auf ein Land nieder, sondern hinterlässt tiefe psychologische Narben bei den Menschen. Narben bleiben bekanntlich, nur ist die Frage, wie sehr man sie sieht und auch spürt.

Daher ist es enorm wichtig, dass wir uns von all den Strapazen der letzten drei Jahren erholen. Für viele mag das wie ein Luxusproblem in Zeiten der hohen Inflation klingen. Stimmt! Es ist aber an der Zeit, dass wir uns alle gesamtgesellschaftlich von all den Unsicherheiten distanzieren können.

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