Kommentar
Verrückte neue Welt

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Diese Woche müsste sich alles entscheiden. Dann könnten wir endlich auch wieder dem Satz unseres Ex-Kanzlers Glauben schenken, dass die Pandemie vorbei ist! Ein Satz mit Potenzial zum Gassenhauer, der noch in die Geschichtsbücher eingehen wird. Aber warum sollte diese Woche entscheidend sein? Nun, schauen wir auf die Welle vor genau einem Jahr. Zu diesem Zeitpunkt Mitte November waren die Inzidenzzahlen fallend. Zwar waren wir österreichweit damals mit einer Zahl um die 550 (Stand Anfang dieser Woche 850!) viel niedriger, aber jetzt müssen doch die Zahlen laut Analyse und Wellenbewegung wieder runtergehen. Das ist doch genauso vorhersehbar, wie die derzeitige Welle. Davor, dass sie kommen wird, haben uns die Gesundheitsexperten schon im Juli gewarnt. Oder kann oder darf man solchen Prognosen nicht trauen? Gut, vor genau einem Jahr waren wir bereits im Lockdown und es gab wesentlich weniger Geimpfte. Im Gegensatz dazu sind jetzt Veranstaltungen, Märkte und Vereinsaktivitäten erlaubt und laufen auch. Das ganz normale Leben also. Keine wesentlichen Einschränkungen. Jeder steckt jeden an. Jeder kennt mittlerweile mindestens einen, der derzeit positiv ist. Dazu ist Vorarlberg einfach „too small“. Die, die nicht geimpft sind, befinden sich zwar im Lockdown, aber ganz ehrlich: Wer will das kontrollieren? In vielen Bereichen gibt es schwammige Regelungen und bei aller Aufgeklärtheit: Es ist mittlerweile echt schwer, den Durchblick zu bekommen oder gar zu behalten. Ein kurzer Besuch mit der Familie in Deutschland geht derzeit nicht, wenn ein Kind in der Familie unter 12 Jahren ist. Dann muss es nämlich in Quarantäne. Das Ösi-Land ist ja wieder ein Hochrisikogebiet. Zumindest für Deutschland. Sprich ein Thermenbesuch gleich über der Grenze geht nur, wenn das Kind unter 12 zu Hause bleibt oder im versperrten Auto vor der Therme sitzen bleibt. Oder deutsche Familien, die zu uns kommen, müssten ihr Winter- und Skivergnügen ohne ihre Kinder unter 12 genießen. Aber was solls. Eine Kollegin im Friseursalon bei uns dürfte nach getaner Arbeit der anderen Kollegin nicht die Haare machen, da sie in dem Moment quasi zur Kundin wird und vielleicht keinen 2G oder 2G+ Status hat. Aber als Kollegin mit einer 3G-Regelung für den Arbeitsplatz den ganzen Tag arbeitet. Zugegeben, alles nur Was-wäre-wenn Annahmen. Aber die Absurdität steckt bekanntermaßen im Detail.

Keine Annahme und nicht absurd sind hingegen die Belegzahlen der Intensivbetten und die Zusatzbelastung der Mitarbeiter in den Krankenhäusern. Zu den „normalen“ Intensivpatienten ohne Lockdown kommen jetzt noch die Corona-Fälle dazu. Vor allem Ungeimpfte!

Weniger absurd und mehr als bedenklich ist die unfassbare Spaltung unserer Gesellschaft durch Meinungsmache und irreführender Propaganda. Das Ausgrenzen beginnt jetzt nicht nur wegen Aussehen und Sprache, sondern auch beim Status deiner Impfung, Testung oder Genesung oder einer leichten Erkältung. Vielleicht führt die Bundesregierung bald Armbänder ein. Sichtbar für alle, jederzeit. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor?

Seit ich auf dieser Welt bin, kann ich mich nicht erinnern, dass eine gesellschaftliche Spaltung so groß war, wie sie jetzt ist. Leider erinnert mich das an Zeiten vor meinem Dasein.
Ich möchte nicht, dass meine Kinder in einer solchen Welt aufwachsen. Es fühlt sich derzeit so vieles falsch an, auch wenn man versucht, selbst den richtigen Weg zu gehen.

Vielleicht ist das Zauberwort Solidarität. Und diese beginnt nicht durch Ausgrenzung. Wir bekommen die Pandemie mit all den Konsequenzen nur in den Griff, wenn wir alle daran arbeiten, die Situation zu verbessern. Wenn der Weg über die Solidarität nicht funktioniert, dann über die Impfpflicht. Sonst wird diese Welt noch verrückter, als sie schon ist.

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