Kommentar
Wer entscheidet am Ende?

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Die beiden Tage Allerheiligen und Allerseelen rücken immer näher. Die Zeit davor wird oft genutzt, um die Gräber aufzuputzen und winterfest zu machen. Ein Ritual, das für viele - zumindest in unserem Kulturkreis - enorm wichtig ist. Man gedenkt in dieser Zeit an die Verstorbenen, an jene Menschen, die einem selbst wichtig waren.

Als ich vor 12 Jahren am Krankenbett meiner Mutter saß, war ich froh, sie jeden Tag begleiten zu dürfen. Es war eine endliche Zeit. Das wussten wir beide. Was ich nur schwer verkraften konnte, waren die von ihr beschriebenen Schmerzen. Trotz starker Schmerzmittel litt sie sehr oft, sehr qualvoll. Die Zeit der Diagnose Krebs bis hin zu ihrem Tod war mit einem knappen Jahr recht kurz. Für uns als Familie eine unbeschreiblich lange Zeit verbunden mit Hoffnung und Abschiednehmen. Greift die Chemotherapie? Falls nein, wie lange hat sie noch zu leben und unter welchen Umständen? Genau das war der Punkt, der mich jeden Tag zum Weg ins Krankenhaus beschäftigte. Was muss ein Mensch für ein paar Lebensstunden mit Schmerzen verbunden aushalten mit der Garantie, dass diese Zeit unter menschenunwürdigen Umständen verbracht wird? Das Umfeld vom Krankenhaus bis zu den unglaublich liebevollen Pflegern und verständnisvollen Ärzten haben alles getan, dass meine Mutter so gut wie möglich die verbleibende Zeit „er-leben“ durfte. Menschenunwürdige Umstände waren allein die Schmerzen und Kleinigkeiten wie gegen Ende die Nahrungsaufnahme.

Eines Abends, ich kam sehr spät nach der Arbeit zu ihr ins Krankenhaus, lag sie mit einem verklärten Blick vor mir. Ich merkte sofort, dass es einer dieser weniger guten Tage war. Es war das erste Mal, dass sie meine Hand fester drückte als sonst und mir mit einer solchen Bestimmtheit sagte, dass ich ihr etwas mitbringen solle, weil sie nicht mehr leben wollte. Ich versuchte so gut wie möglich ihr diese Gedanken wieder aus dem Kopf zu bringen. Das war aber nur meine Fassade. Ich konnte und ich wollte sie verstehen. Ich wollte ihr sogar helfen, aber das war nicht meine Entscheidung.

Wie würde und dürfte man in Österreich in so einem Fall ab 2022 entscheiden? Wie hätte sich meine Mutter entschieden? Wären ihre Gedanken zwölf Wochen (Frist im Gesetzesentwurf) später immer noch dieselben? Das ist keine philosophische oder ethische Frage, sondern eine rechtliche, nach der dann entschieden wird. Bei dem Entwurf der österreichischen Bundesregierung geht es um ein Sterbeverfügungsgesetz. Im Konkreten geht es um die assistierte Sterbehilfe. Das Recht, unter ganz bestimmten Voraussetzungen sterben zu dürfen. Es kommt dem Recht auf Leben näher. Der Tod gehört zum Leben und doch reißt es alles auseinander. Die Vorbereitungen darauf können noch so gut und professionell sein, niemand kann dir den Schmerz des Verlustes nehmen. Die Schmerzen einer absehbaren tödlichen Krankheit hingegen schon. Doch wer entscheidet am Ende?

Es sind nicht die Angehörigen, sondern der- oder diejenige, die mit der Krankheit leben beziehungsweise leiden müssen. Es ist der kranke Mensch selbst, er entscheidet dabei nicht aus einer Laune oder Tagesverfassung heraus - nach gesetzlichen und strengen Vorgaben. Der kranke Mensch entscheidet sich – anders formuliert - fürs Leben, denn der Tod ist ein Teil davon.

Das geplante Gesetz kommt für meine Mutter zu spät und vielleicht hätte sie sich auch anders entschieden. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind ab 2022 aber anders. Vielleicht menschlicher, als es derzeit erscheint.

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