Portrait
Heimatverbunden und weltoffen

Schlungen Gerd kann auf viel Erlebtes zurückblicken.  | Foto: Fotos: Suitner
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  • Schlungen Gerd kann auf viel Erlebtes zurückblicken.
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Ein Gespräch mit einem ewig Junggebliebenen

AXAMS (suit). Jahrgang 1935 und man hat das Gefühl, er ist wie Wein und altert nicht: Gerhard Happ, bei den Axamern besser bekannt als „Schlungen Gerd“ ist ein Evergreen, der auf ein bewegtes Leben zurückblicken kann: Er erlebte als Kind die Kriegsjahre hautnah, verlor mit drei Jahren seinen Vater, fuhr im Nachwuchskader auf den berühmtesten Abfahrtsstrecken der Welt, frisierte Boxweltmeister Floyd Patterson die Haare und war auf den höchsten Gipfeln Europas anzutreffen.

Aufgewachsen im Krieg

„Ich kann mich noch genau an die emotionalen Momente erinnern, als den Familien die Todesnachrichten der gefallenen Väter und Söhne überbracht wurden, welche Dramen sich da abgespielt haben“, erinnert sich Gerd zurück: „Auch die Kriegsheimkehrer, die ihre Familien und Kinder in den Arm genommen haben, werden mir immer in Erinnerung bleiben.“ Es war keine leichte Zeit, in die Gerd geboren wurde. Mit dem Sammeln von Zigarettenstummeln habe er sich die ein oder andere Butterschnitte verdient. Lebensmittel waren so knapp, dass teilweise das Brot zu Fuß in Kematen geholt werden musste: „Wir haben so gelebt, wie es heute wieder vorbildlich wäre: Wenig Süßigkeiten, wenig Fleisch und von nichts zu viel. Das Gesündeste ist eben oft das Billigste.“ Mit drei Jahren verlor Gerd seinen Vater, seine Mutter war seither mit drei Kindern alleinerziehend.

Urkraft und Ehrfurcht

Sport und die Natur gaben dem heute 85-jährigen trotz schwieriger Umstände seither Halt. Mit 22 Jahren schaffte es Gerd in den alpinen B-Kader und fuhr Wettbewerbe auf den berühmtesten Strecken der Welt, wie auf der Kandahar, der Streif oder der Saslong in Gröden. Da eine Sportkarriere ohne die nötigen finanziellen Mittel in der Nachkriegszeit aber kaum möglich war, entschloss sich Gerd seinem Beruf nachzugehen. Der Sport blieb dennoch immer ein fixer Bestandteil in seinem Leben. Als leidenschaftlicher Bergsteiger gibt es in Tirol und auch darüber hinaus kaum einen Gipfel, auf dem der Axamer nicht zu finden war – unter anderem bestieg er das Matterhorn, den Mount Blanc und den Großglockner. Seit seinem Pensionsantritt mit 60 Jahren hat Gerd über drei Millionen Höhenmeter erklommen und ist auch heute noch mit Bike, Schi und zu Fuß unterwegs: „Der Berg gibt mir Urkraft und Ehrfurcht vor der Schöpfung. Dort oben ist jeder gleich.“

Gerd fuhr Wettbewerbe auf den berühmtesten Strecken der Welt.
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In die weite Welt

Nachdem Gerd seine Frisörlehre abschloss, ging er 1960 mit einem Jugendfreund nach Schweden, da das skandinavische Land gerade aufblühte und aktiv Arbeitskräfte aus dem Ausland anwarb: „Mir wussten überhaupt nicht, was uns in Schweden erwartet. Wir konnten die Sprache nicht, hatten nicht einmal Geld für die Rückfahrt und keine Unterkunft.“ Mit einem Zettel „Suche Arbeit als Frisör“ ist Gerd durch Stockholm gezogen und stellte sich in verschiedenen Salons vor. „Schweden galt als sehr offene Gesellschaft. Ich habe immer daran geglaubt, dass das Leben eine gute Seite hat und hatte auch dort das Glück, guten Menschen zu begegnen“. So fand Gerd in einem der besten Hotels der Stadt einen Job als Frisör. Persönlichkeiten wie Box-Weltmeister Floyd Patterson oder Spieler der Mannschaft von Real-Madrid nahmen auf seinem Frisörstuhl Platz: „Als junger Bub aus Axams, war ich damals schon sehr beeindruckt und stolz.“

Erfolgreicher Unternehmer

Doch Gerd ereilte der Ruf der Heimat und so ging er nach einem Jahr zurück, lernte seine Frau Elisabeth kennen und eröffnete 1962 seinen eigenen Salon in Hall. Über die Jahre erfolgten weitere Frisörgeschäftseröffnungen in Thaur, Axams und ein weiterer Standort in Hall, wo der Unternehmer insgesamt 15 Mitarbeiter beschäftigte. Mittlerweile haben drei seiner vier Kinder den Betrieb übernommen. Sohn Clemens ist zudem Innungsmeister in der Wirtschaftskammer: „Zusammenhalten stand in unserer Familie immer ganz oben und ich bin stolz darauf, was meine Kinder aus dem Betrieb gemacht haben.“ Doch der allseits beliebte Unternehmer, Sportler, Hobbytischler, Familienvater und begeisterten Fasnachtler kann auch auf das eigene Leben stolz zurückblicken. Sein Erfolgsrezept lautet: „Die Menschen ernst nehmen, zuhören und offen gegenüber neuem sein. Ich kann mich noch gut erinnern als die Alten zu uns immer gesagt haben, mit der Jugend kann es nicht so weitergehen – und heute ist es gleich. Und es geht weiter“, so der lebensfrohe 85-jährige wie immer mit einem Lachen im Gesicht.

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