Papa und die parallelen Buben: Visionen
WIEN. Wenn die parallelen Buben brüllen, toben, sich vermöbeln und kreischen, kurz: so laut sind, dass man das eigene Wort nicht versteht (geschweige denn mein mahnendes Wort zu mehr Ruhe), dann hab ich einen kleinen Trick, um für Aufmerksamkeit zu sorgen.
Man könnte es sogar fast ein Ritual nennen. Ich hebe leicht den Kopf, lege die Finger an die Stirn und schließe die Augen. Für die Buben ist das bereits Anlass zu heller Panik. „Nein Papa, keine Sionen!“, rufen sie aufgeregt – aber es ist zu spät. Ich öffne die Augen zu schmalen Schlitzen, wiege langsam den Kopf hin und her und sage mit geheimnisvoll belegter Stimme, wie einer plötzlichen Eingebung folgend: „Ich habe eine Vision...“, dann zögernd, als kämen nach und nach Bilder in meinen Kopf, fahre ich fort: „Ich sehe Kinder...", und dann, leicht entsetzt: "... Sie... sie... wachsen ohne Fernsehen auf!“ Manchmal sage ich auch „Sie essen niemals Süßigkeiten“ oder „Sie sehnen sich nach Speiseeis“ – je nachdem, wie das Tagesprogramm verläuft.
Für die Buben ist das jedenfalls ein Moment großer Empörung, und auf der Stelle treten sie in Verhandlungen ihr Benehmen betreffend. Lächerlich, werden Sie sagen, was für eine sinnlose Drohung. Und pädagogisch geschulte Leser mögen einwenden, dass Strafen nichts bringen, schon gar nicht unvollziehbare. Aber die parallelen Buben reagieren, wahrscheinlich tatsächlich wegen des Rituals. Die Frage ist natürlich, wie lange noch.
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