TAUBENKROPF-LEIMKRAUT. Märchen und Geschichten für Kinder, Kindsköpfe und Kind gebliebene - Teil 80

Lange habe ich versucht, das Taubenkropf-Leimkraut zu fotografieren. Endlich ist es mir geglückt und prompt ging auch die passende Geschichte damit einher. Gerne findet man es auf Magerrasen und Böschungen. Nachtfaltern soll es als leckere Futterquelle dienen. Als Heilpflanze ist das Taubenkropf-Leimkraut von geringer Bedeutung, allerdings wurde aus seinen Wurzeln früher eine erweichende und pflegende Seifenlauge gekocht. Die jungen Triebe sollen den Stoffwechsel anregen.


Die Tochter des Seifensieders

Wir schreiben das Jahr 1506. Magdalen, das einzige Kind des Seifensieders Hauseler, steigt lustig pfeifend den steilen Weg zur herzöglichen Burg empor. Am Arm baumelt ein kleiner Weidenkorb voll mit duftenden Seifenstücken, die feinsäuberlich in Pergamenpapier gewickelt sind. "Armes Viecherlein!" ruft die Zehnjährige plötzlich mitleidig aus, und bleibt abrupt stehen. Auf dem Burghügel grast eine kleine weiße Ziege mit völlig verklebtem, zotteligem Fell, traurig und mit hängendem Köpfchen vor sich hin. "Das ist ja schlimm anzusehen! Was ist nur mit deinem Fell passiert?! Aber heut hab ich leider keine Zeit! Ich muss für die hohen Herren auf der Burg einen Korb Seife abliefern. Der Vater hat's befohlen und mir noch dazu aufgetragen, mich zu sputen und gleich wieder auf den Nachhauseweg zu machen. Aber wenn ich zurück komm, nehm ich etwas Seife mit und werde dich einmal gründlich waschen. Wirst sehen, dein Fell wird wieder schön weich und glänzend. Als Marlen dás Geißlein einige Tage später mit Wasser und Seife bearbeitete, bis sich auch der letzte Kuddel in ihrem Fell auflöste und es wieder fein in der Mittagssonne glänzte, tastete sich ein altes Weiblein aus der neben der Weide gelegenen Hütte. Die Alte war offensichtlich blind. "Wer unterhält sich denn da so lieb mit meinem Meckerle? Und was riecht hier gar so gut?" "Ich bin's, die Marlen vom Seifensieder. Ich habe ihr Fell gewaschen und mit Seife wieder seidig und glatt gekämmt, weil es so arg verdreckt war. Jetzt fühlt sich das Viecherlein wieder richtig wohl!" "Bäääähhhhh" meckerte da auch die Ziege fröhlich. "Du bist ein gutes Kind, Marlen! Meine Augen sind blind. So kann ich meiner Ziege, oft nicht mehr die richtige Pflege angedeihen lassen." erzählte die Alte traurig. "Dann werde ich dir eben ab jetzt helfen. Vater schickt mich regelmäßig mit Lieferungen hinauf zur Burg. Da komm ich doch direkt bei euch vorbei!" versprach Marlen.

Von jenem Tag an, half Marlen der Alten fast täglich mit ihrer Ziege und diese brachte ihr als Gegenleistung all das Kräuterwissen bei, das sie in ihrem langen arbeitsamen Leben hart erworben hatte, und eigentlich mit ins Grab nehmen wollte. "Als Seifensiederin ist für dich ein Kraut besonders wichtig! Sieh her, es müsste hier am Burghügel wachsen. Seine Blüten sehen ganz aufgebläht aus und sind von feinen Äderchen durchzogen. Es ähnelt dem Kropf einer Taube - daher heißt es auch Taubenkropf-Leimkraut. Sollten euch jemals Talg oder Pottasche für das Seifensieden ausgehen, dann sammle seine Wurzeln und koche daraus Seifenlauge. Du wirst sehen, das Endprodukt ist beinahe noch geschmeidiger, wie das, was ihr bisher herstellt." Marlen lauschte aufmerksam und speicherte das Rezept gleich in ihrem Kopfe ab, sollte aber bald schon vollends darauf vergessen.

8 Jahre später

Die Sonne geht gerade auf über den Dächern der Stadt und kündigt mit ihren Strahlen einen neuen Sommertag im Jahre 1516 an. Es herrscht schon reges Treiben in der Stadt, von allen Ecken und aus allen Gassen, Türen, Toren und Fenstern schallt es heraus: „Unser Herzog kommt, unser Herzog kommt!“ Die Leute rennen aufgeregt durcheinander und alles bereitet sich vor zum Empfang der hohen Herrschaften.

Von der Burg erklingen die Fanfaren und über den Marktplatz rollen schwere Fuhrwerke. Vor den Toren der Stadt und der Burg drängen sich bereits die ersten Händler, Gaukler und auch Spielleut sind dabei. Heut ist großer Festtag in der Stadt. Die Bürgersfrauen richten ihr Haar und die schönsten und neuesten Kleider werden getragen. Drei Tage lang soll so gefeiert werden. An den abendlichen Lagerfeuern wird getanzt und gespielt und gezecht.

Endlich ist der Herzogstross unter Glockengeläut und dem Donner der Kanonen zur herrschaftlichen Burg hinauf gezogen, um dort bei üppiger Tafelei die Beschwernis der Reise zu vergessen. Da erscheint, wie aus dem Nichts eine düstere Alte, die einer Schicksalsgöttin gleicht, im Thronsaal, zeigt mit knochigen Fingern auf den Herzog und schreit mit schriller Stimme, die selbst die Wachen erstarren lässt: "Sei verflucht Herzog Wilhelm! Ihr wohlriechender Geck samt eurem ganzen feinen Hofstaat, der für sein Glück und seinen Frohsinn weit über die Grenzen bekannt ist! Damit ist's allemal vorbei! So reich und protzig ihr und euer Reich in Wohlstand lebt, ist es Euch nie in den Sinn gekommen, über die Grenzen zu blicken, den Nachbarn zu helfen. Die Zahl Eurer Neider ist groß! Sie stinken vor Armut und Neid zerfrisst ihr Inneres! Es ist ihr Gestank und ihre Verwesung, die sie nun Euch an den Hals wünschen! So stark ist ihr Wunsch, dass er sich zu einem Fluche ausgewachsen hat.

So hört, Herzog Wilhelm! Vom heutigen Tage an, soll aller Talg im Reich sekundenschnell verwesen und keine Lauge wird Euren Seifensiedern mehr gelingen. Gestank und Verfall sollen ihren Lauf nehmen. Euren heiratsfähigem Sohn, wird der Fluch am stärksten treffen, sodass ihn keine Edelfrau der Welt mehr riechen wird können. Euer Geschlecht ist dem Untergang geweiht, Herzog Wilhelm. Es sei denn, es gibt eine Frau, die Euren Sohn so zum Manne nimmt, wie er ist. Doch Hochmütig wie ihr, soll auch dieser Fluch sein. In den Adern des Fräuleins, muss zumindest ein Tropfen edlen Blutes fließen!"

So plötzlich wie sie gekommen war, ist die Alte auch wieder Verschwunden. Schon sürzt der Haushofmeister in den Festsaal, in dem noch immer Totenstille herrscht und ruft: "Eure Hoheit! Es ist ein Unglück geschehen. Alles Seifen sind zerfallen, riechen stinkend und verwest.

In kürzester Zeit, ist das schmucke Städtchen, samt den umliegenden Ländereien zu einer verdreckten verwahrlosten Provinz geworden. Die Seifensieder nagen verzweifelt am Hungertuch. Den Prinzen aber hat es, so wie es die Alte voraussagte, am Ärgsten erwischt. Sein sonst so seidiges schwarzes Haar ist plötzlich ganz verklebt, zottelig und voller Läuse und Flöhe, die seinen ganzen Körper zerbeißen. Pusteln und Krätzen entstellen ihn furchtbar.

Allein und beschämt sitzt der junge Edelmann nun oft traurig unterm Apfelbaum, der seine alte Krone Schatten spendend über dem Burghügel ausbreitet und spielt seine Laute - das einzige, dass ihm geblieben ist. Nur sie vermag ihm ein wenig Trost zu spenden.

Ganz in Gedanken wandert Marlen an einem heißen Julitag den Burghügel hoch. Unweit des Ortes, wo sie damals die Ziege gefunden hatte, bleibt sie stehen und hebt lauschend den Kopf. Gesang und Lautenmusik dringen an ihr Ohr, verzaubern sie, dringen direkt in ihr Herz. Als sie jedoch den Musikanten erblickt, schrickt sie zusammen. "Wie können Aussehen und Musik eines Menschen nur so unterschiedlich sein?" Trotzdem geht sie auf ihn zu, setzt sich zu ihm ins Gras. "Einst hab ich hier ein Zicklein versorgt. Seine Besitzterin hat mich viel gelehrt!" beginnt das Mädchen zu erzählen. Dabei fällt ihm plötzlich wieder das alte Seifenlauge-Rezept ein. Dem einsamen Prinzen tut die Ansprache des Mädchens gut und da seine Kleidung seine Herkunft nicht verrät, lässt er sich auf eine Unterhaltung ein. "Armer Bursch" denkt Marlen auf dem Nachhauseweg. "Er ist so furchtbar entstellt und hat doch so ein gutes Herz!" Als sie am nächsten Tag wieder kommt, um sich mit ihm zu treffen, gräbt sie auf dem Nachhauseweg vorsichtig die Wurzeln vom Taubenkopf-Leimkraut aus und als daheim alles schläft, schleicht Marlen in Vaters Werkstätte, um sich am Rezept der alten Frau zu versuchen. Kurz vor dem Morgengrauen hält sie die erste Seife in Händen. Sie verströmt einen angenehmen Lakritze-Duft und fühlt sich sehr geschmeidig an.

"Lass mich dir Hände, Gesicht und Haare waschen, fremder Junge. Vielleicht ´bringe ich mit meinem neuen Zaubermittel die Knoten aus deinen Haaren. " Zögernd willigt der Prinz ein und schon hatt ihn Marlen bei der Hand genommen und läuft mit ihm zum nahen Bach. Eine halbe Stunde später glänzt sein schwarzes Haar sauber in der Sonne. Gesicht und Hände sind sauber und rein. Doch bald kommen Schmutz und Zotteln wie von Zauberhand wieder. "Es hat alles keinen Sinn!" flüstert er traurig. Aber so leicht will sich Marlen nicht geschlagen geben. "Papperlapapp! Dann versuchen wir es einfach morgen wieder! Und Übermorgen! Und Überübermorgen!" So kommt es, dass sich die beiden jungen Leute inniglich ineinander verlieben. "Marlen, Liebste, ich wollte, du würdest meine Frau!" flüstert ihr Wilbrecht eines Tages zärtlich ins Ohr. "Damit würdest du mich zur glücklichsten Frau der Welt machen!" lacht Marlen und fliegt ihm ungestüm in die Arme. "Nein, warte! Erst muss ich dir etwas erzählen!" Stockend beginnt er ihr zu beichten, wer er war. Erzählt ihr auch vom Fluch. "Das ist es, warum dich meine Zauberseife niemals sauber bekommt! Aber das macht nichts, ich liebe dich auch so!" "Nein du verstehst nicht, Marlen! Mein Vater wird niemals einwilligen! Nur ein Fräulein von edlem Blute, kann mich und das Königreich erlösen..." "Dann heiraten wir eben heimlich! Wer weiß wie sich so ein Fluch, durch guten Willen und einen heiligen Bund verändert?!" Zögernd willigt Willbrecht ein. Er hat große Angst um sein mutiges Mädchen. Kennt er doch alle Intrigen am Hofe zu gut. Doch als der nächste Morgen graut, stehen die Beiden vor der geheimen Kapelle des Eremiten, der im Gotthartswalde wohnt. Als Brautkleid trägt Marlen ein schlichtes weißes Leinenkleid auf das sie noch in der Nacht Leimkrautblüten gestickt hat. ihr goldenes langes Blondhaar, das wie durch ein Wunder vom Fluch verschont geblieben ist, weht frei im Morgenwind. Ein Kranz aus Schleierkraut, Vergissmeinnicht und Rosenknospen ziert ihr Haupt.

Prinz Willbrecht hat sich ganz verschaut in ihr liebes Antlitz. Als der Eremit das heilige Sakrament ausgesprochen hat, und es von des Prinzen Gefährten, Guntram und Heinrich bestätigt worden ist, können sie ihr Glück kaum fassen, auch wenn keiner von beiden weiß, wie es nun eigentlich weitergehen soll. Da zerreißen Kanonenschüsse und Fanfaren die morgentliche Stille. Ein Wunder! Ein Wunder! Der Bann ist gebrochen! Von der Burg dringen überall her Freudenschreie an ihr Ohr. Mit seiner jungen Frau an der Hand, kehrt Willbrecht heim und tritt vor den Herzog, um ihm alles zu beichten. "Wie ist das möglich. Nur eine Edelfrau kann Euch erlösen, so lautete die Prophezeihung. Dieses Mädchen hier ist eine Bürgerliche! Ich werde diese Ehe anulieren lassen! Werft sie in den Kerker!"

Prinz Willbrecht stellt sich schützend vor seine Frau und ruft aufgebracht: "Ist das wirklich Euer Wunsch?! Die Frau, die Euch und Euer Reich durch die Erfindung einer neuen Seifenart erlöst hat, in den Kerker werfen? Wenn das so ist, verstehe ich den Grund für den Fluch, der uns so übel mitgespielt hat!" Da wird die Tür aufgerissen und Marlens Vater, der alte Seifensieder Hausele, fällt vor dem Thon auf die Knie.

"Der Prinz hat recht, Euer Gnaden! Meine Tochter Marlen, ist es wirklich gelungen, eine Seife aus Leimkraut-Wurzeln herzustellen, die nicht wie alle anderen Seifen durch den Fluch zerfällt! Warum das Reich aber erlöst scheint, hängt tatsächlich mit ihrer Herkunft zusammen. Marlen ist nicht meine leibliche Tochter - auch wenn das bisher niemand wusste. Ich fand Marlen's Mutter einst hochschwanger im Wald. Ich verliebte mich auf den ersten Blick in sie. Als sie mir ihre Geschichte erzählte, nahm ich sie mit und versprach ihr, ohne irgendwelche Gegenleistungen zu erwarten, mich um sie und ihr Kind zu kümmern. Marlen's Mutter war ein verwaistes Edelfräulein, dass bei Verwandten lebte. Ein ehrgeiziger junger Edelman nahm es wohl mit der hohen Minne nicht so genau. Nach einer kurzen Affäre wurde er an den Hof des Königs gerufen. Marlen's Mutter erzählte ihm nicht, dass sie in anderen Umständen war. Weil sie das Kind behalten wollte, ging sie eines Nachts heimlich fort. Es gelang ihr, sich bis vor die Stadt durchzuschlagen, bevor sie zusammenbrach und ich sie im Wald fand.

Ich wollte sie heiraten und langsam mit meiner Liebe überzeugen. Doch das Schicksal hatte einen anderen Plan. Marlen's Mutter starb im Kindbett und ich zog sie wie der Vater auf, als der ich mich fühlte. Verschont Marlen, edle Herren! Wenn jemanden eine Schuld trifft, dann mich!"

"Vater!" schluchzend fällt Marlen ihrem Ziehvater in die Arme. "Das ist wohl ein starkes Stück, Seifensieder Hauseler!" Der Herzog sieht den Seifensieder streng an. Ihr wisst, dass auf nicht standesgemäße Heirat Strafe steht? Aber ich will Gnade vor Recht ergehen lassen. Ist doch Eure Ziehtochter die künftige Herzogin!"

Durch die Aussicht, nun doch nicht mit einem einfachen Tagwerker verwandt zu werden, konnte sich der hochmütige Herzog schließlich überwinden, die "unglückliche" Verbindung seines Sohnes zu akzeptieren. Der Fluch war offenbar doch nicht ganz spurlos an ihm vorübergegangen.

Er bestand lediglich darauf, die Hochzeit zu wiederholen und so zu feiern, wie es sich für einen Fürsten geziemte. Das ausgelassene Freudenfest, das sich daraus entwickelte, war eines jener Feste von denen sich die Leute noch Jahrhunderte später erzählten. Als Morgengabe schenkte Wilbrecht seiner Marlen ein kunstvoll gearbeitetes Herz aus Seife, das zwei weiße Tauben zierten, von denen die eine das Taubenkropf-Leimkraut im Schnabel hielt.

Die Bewohner der Stadt übernahmen diesen Brauch und schenkten ihren Liebsten noch Jahrhunderte später im Gedenken an den fürstlichen Feiertag kleine verzierte Seifenherzen.

Und... geht's Ihnen nicht auch so... irgendwie erinnert dieser Brauch doch verdächtig an den Liebstatt-Sonntag, wo sich die Leute auch heute noch, mit Zuckerguss verzierte Lebkuchenherzen schenken.

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Foto: Cityfoto
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