5 Minuten: Der Herr Ober als Frau getarnt
WIEN. Wien ist bekannt für seine Kaffeehäuser. Und auch den "Herr Ober" und sein Auftreten kennt jeder, der sich ein bisschen mit der Stadt beschäftigt hat. Erstes Merkmal ist die Arbeitsstätte: in einem Altwiener Café. Dann weiß man: Hier wird man nur dann bedient, wenn der Mann im schwarzen Anzug Zeit und Lust dazu hat. Es ist ja schließlich eine Gnade, hier bedient zu werden. Das weiß ich. Oft, wenn ich Zeit habe, besuche ich solche Cafés und genieße den Zeitsprung in ein lange vergangenes Jahrhundert, in dem vieles viel langsamer lief als heute.
Anders ist es, wenn ich in einem modernen Kaffeehaus oder einer Konditorei am Hauptbahnhof sitze. Dort warte ich meistens auf einen Zug, der pünktlich abfährt. Da wird die Tugend der Zeitverzögerung zur Qual meiner Nerven. Schon öfter hatte ich das Gefühl, in diesem Bahnhofs-Etablissement absichtlich ignoriert worden zu sein. Wenn Sie sich jetzt fragen, warum ich trotzdem dort hingehe – das muss wohl an der Lust des Leidens liegen, die jedem Wiener angeboren ist.
Kürzlich wartete ich wieder auf einen Zug in dem Lokal. Und ja, es wurde zu einem Wettlauf, wer früher kommt: Die Bahn aus Prag oder der Kaffee von nebenan. Es war ein spannendes Rennen. Rund ein Dutzend mal ging die Kellnerin an mir erhobenen Hauptes vorbei, nahm die Order an den Nebentischen auf, brachte die Bestellungen und kassierte. Nach mehr als einer Viertelstunde kam sie zu mir und fragte "Was darf’s sein?". Auf meine Frage bezüglich der langen Wartezeit, obwohl die Konditorei nicht einmal halb gefüllt war, entfuhr ihr ein kurzes "Tschuldig’n" und wartete ungeduldig auf die Bestellung. "Leider keine Zeit mehr", entgegnete ich und ging.
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