Historiker Pittler: "Es gibt Parallelen zu 1920ern"
Drei Familien, drei Generationen, drei Bände: Andreas Pittler schreibt Wiener Geschichte. Von seinem neuesten Werk "Wiener Kreuzweg" ist kürzlich der erste Teil erschienen, im März hält er in ganz Wien Lesungen.
WIEN. Wenn er schreibt, dann schreibt er. Und zwar 16 bis 18 Stunden am Tag, so lange, bis das neue Werk fertig ist. An "Wiener Kreuzweg" hat Andreas Pittler genau zwölf Tage geschrieben, dann war der erste Teil des "Wiener Triptychons" fertig. Wer sich an dieser Stelle fragt, wie ein Roman, der ein Jahrhundert Wiener Geschichte aufarbeitet, innerhalb so kurzer Zeit geschrieben werden kann, dem sei versichert: Die Recherche ist in diese Zeit natürlich noch nicht eingerechnet, denn "recherchieren tu ich schon mein ganzes Leben lang", so Pittler.
Der studierte Historiker dürfte vielen Lesern eher durch seine Krimis, in denen ein gewisser Bronstein ermittelt, bekannt sein. Auch sie haben alle einen historischen Kontext, angesiedelt in der Ersten Republik. Und sie alle tragen jiddische Titel, etwa "Chuzpe" oder "Zores", weil Pittler damit eines zeigen will: "Wien war immer mehr." Ob es nun die jüdische Community war, die von den Nationalsozialisten nahezu ausgelöscht wurde, oder die Tschechen, Slowaken und Ungarn, die Wien erst zu der Stadt gemacht haben, die sie heute ist. "Ohne diese Einflüsse gäb’s nicht einmal den Würstelstand." Deshalb würden ihn Begriffe wie "Umvolkung", die heutzutage fixer Bestandteil des politischen Diskurses sind, gehörig stören.
Man muss tiefer graben
Überhaupt, die Beschäftigung mit der Ersten Republik ist zentral in Pittlers literarischem Schaffen. "Als Historiker glaube ich, dass man immer tiefer graben muss, um zu den Wurzeln des Problems vorzudringen. Wenn man sich also fragt, warum Österreich 1938 untergegangen ist, kommt man vom 34er-Jahr zum 27er-Jahr und so weiter – der Grundstein für viele Probleme wurde tatsächlich schon in der Monarchie gelegt."
Was die Erste Republik für ihn persönlich so interessant mache, sei die Befürchtung, dass die gegenwärtige Politik gerade viele Fehler wiederholt, die schon in den 1920er-Jahren gemacht wurden. "Wir haben ähnlich hohe Arbeitslosenzahlen, eine spürbare Radikalisierung, vielen Menschen fehlt die Perspektive." Dass er sein historisches Wissen lieber in Krimis und Romane verpackt als in Sachbücher – von denen Pittler auch einige geschrieben hat –, ist einem einfachen Grund geschuldet: Man erreicht einfach mehr Leserinnen und Leser. "Sachbücher lesen nur die, die sich ohnehin dafür interessieren und sich auskennen." So hat er für den "Wiener Kreuzweg" eine interessante Darstellungsform gewählt: Anhand von drei Familien wird Wiener Geschichte geschrieben.
Brauerei zentral
Die Unternehmerfamilie Glickstein, die kleinbürgerlichen Strechas und die Arbeiterfamilie Bielohlawek begegnen einander im Betrieb des Barons Glickstein, dem „Hernalser Bräu“, und durchleben dort die letzten Tage der Monarchie, den Weltkrieg, die Erste Republik und schließlich den Untergang Österreichs 1938. Dass ausgerechnet in einer Brauerei die Fäden der drei Familiengeschichten zusammenlaufen, hat auch mit Pittlers eigener Familiengeschichte zu tun: Schon sein Urgroßvater war Bierkutscher bei der Ottakringer Brauerei, sein Großvater wurde einst arbeitslos, nachdem die Auslieferung auf Lkw umgestellt wurde.
Pittler, der in Dornbach geboren wurde, ist Wiener durch und durch: Ein halbes Jahrhundert hat er in Margareten gewohnt, anfangs als "Hausmeisterbua" im Gemeindebau. Erst vor drei Jahren hat es ihn in die Josefstadt verschlagen, wo er sich zwischen vielen Kunstschaffenden und zahlreichen Buchgeschäften gut aufgehoben fühlt.
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