Josef Haslinger: "Ich wuchs im Milieu der Kinderarbeit auf!"
Um altersmilde zu sein, ist Josef Haslinger (Jahrgang 1955) definitiv noch zu jung an Jahren, wenn auch nicht arm an Erfahrungen. Verglichen mit "Zunftkollegen" Felix Mitterer, der vor nicht allzu langer Zeit in Pürbach als "Mensch im Gespräch" zu Gast war, befindet sich Haslinger noch inmitten der Auf- und Erregung, die einen großen Geist über weite Strecken erfasst und gefangen hält.
Dabei entstammen beide Mahner, wenn man einen weiteren Vergleich zwischen ihnen ziehen will, einem vergleichbaren Milieu, nämlich dem einer spaß- und vergnügungsfremden, dafür arbeitsintensiven Jugend auf einem Bauernhof ("Ich wuchs in einem Milieu der Kinderarbeit auf!" - der Vater rechnete ihm vor, welche Maschinen er sich leisten könnte, wenn er nicht im Stift Zwettl im Internat wäre), wurden früh der - sofern erfahrbar - familiären Nestwärme entrissen und in totalitären Erziehungsanstalten mit kirchlichem Hintergrund deponiert.
Brutalität und Hierarchie
Unter der dort herrschenden Brutalität und extremen Hierarchie, wo es so etwas wie eine KZ-Lagerordnung gegeben habe und wo älteren Zöglingen das Strafen und Schlagen Jüngerer explizit erlaubt worden sei, habe Haslinger sehr gelitten.
(Haslinger-O-Ton: "Würde heute ein Priester mir beim Hosentürl hineinfahren, würde ich ihn bei seinem Ding schnappen, ihn zum Abt schleppen und dem sagen, schauen Sie, was für ein Saubatl Sie in Ihrem Konvent haben! Aber als Kind von 12 Jahren macht man das nicht! Heute stellt sich das für mich natürlich anders dar. Ich war ein ziemlich verstörtes, kleines Kind, das es im Internatsleben nicht ganz leicht hatte.")
Er gehörte zur Minderheit
Beide gehörten dort ob ihrer Herkunft einer Minderheit an. Was des einen (Mitterers) Errettung aus der in allen Bereichen beschränkenden Enge Tiroler Täler war, ermutigte den anderen nach Zeiten des Akklimatisierens zum Aufbegehren und hätte ihm um mehrere Haare den Schulverweis eingebracht. Den kritischen Geist jedenfalls förderte die Wegschließung unter katholischem Diktat bei beiden.
Josef Haslinger, der, wie er mehrfach betonte, NICHT aus Zwettl stammt, sondern dem dort lediglich zu einer beschleunigten Ankunft auf Erden verholfen wurde, wuchs im Waldviertel (Gemeinde Groß Gerungs - Groß Meinharts) als zweiter Sohn eines Bauern auf. Allein dieser Umstand und die Nähe seiner Mutter zur Mission verhalfen ihm zu einer zeitlich begrenzten, weil stimmbruchabhängigen Karriere bei den Zwettler Sängerknaben und von dort weiter zu einem Aufenthalt im Horner "Zwettler-Heim", der logischen Bildungs-Fortsetzung der stimmtechnisch ausgeschiedenen Zwettler Gymnasiasten.
Frankfurt prägte ihn
Rund um das 16. Lebensjahr prägte ein Ferienaufenthalt in Frankfurt und der Kontakt zur dort regen Studentenbewegung den jungen Haslinger fürs restliche Dasein.
Als die Unfreiheit des Gymnasiums, wo zu seinem Verdruss das Anwesendsein ein Muss war und das Fehlen eine Begründung und elterliche Entschuldigung benötigte, endlich überstanden war, begann für ihn endlich die Freiheit des Universitätslebens (dem er bis heute treu geblieben ist - er arbeitet seit 16 Jahren in Leipzig als Professor für literarische Ästhetik am Literatur-Institut).
Unter der Moderation von Thomas Samhaber jedenfalls plauderte, sofern das die richtige Bezeichnung für den kritischen Fast-Monolog ist, der gesellschaftskritische "Intellektuelle vom Dienst" - wie er sich und SOS-Mitmensch-Gründungsmitglieder bezeichnete - über seinen Werdegang, prägende (Jugend-)Erlebnisse und den wachsenden Erfolg seiner Bücher und stellte sich im zweiten Teil auch den Fragen der Zuhörer.
Das Publikum war beeindruckt
Beeindruckt war das Publikum in jedem Fall, manche vom souveränen Auftreten, andere von Haslingers angenehm sonorer Stimme, die eine wohlgewählte Sprache transportiert, der jegliche ehemalige Waldviertelfärbung abhanden gekommen ist.
Haslingers trockener Humor, hart an der Grenze zum Zynismus, arbeitete sich kopfschüttelnd an der aktuellen österreichischen Politik ab, analysierte Barack Obamas Chancen auf eine Wiederwahl und beeindruckte mit der Schilderung seiner Erlebnisse als vom Tsunami in Thailand hautnah Betroffener.
Der Zuschauer erfuhr von Haslingers Gründungsaktivität der Vereinigung SOS Mitmensch gemeinsam mit vielen (linken) Parade-Intellektuellen, allen voran André Heller, als Kontrapunkt zu Haiders Anti-Ausländer-Volksbegehren. Zu guter Letzt erfüllte er noch den Publikumswunsch und las auf "Längen"-Vorschlag des im Publikum sitzenden Robert Menasse ("Am besten, du liest die erste Seite!") eine Seite aus seinem aktuellen Buch "Jachymov" vor.
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