Teufelskreis Sucht

Alkohol | Foto: Foto: istockphoto
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Gefangen zwischen Alkohol und Medikamenten

Wird in Österreich von Sucht gesprochen, denken die meisten sofort an illegale Drogen wie Heroin oder LSD. Tatsächlich ist die überwiegende Mehrheit aber von legalen Substanzen wie Alkohol, Medikamenten und Nikotin abhängig. Oftmals liegt der Sucht eine psychische Erkrankung zugrunde.

(rj). Wir gehen davon aus, dass ca. fünf Prozent der Bevölkerung von Alkohol abhängig sind, weitere ein bis fünf Prozent von Medikamenten. Der Schwerpunkt beim Alkoholismus liegt klar bei den Männern mit etwa 60 bis 70 Prozent. Das ist aber nur die Gruppe, die manifest abhängig ist. Daneben gibt es noch jene, die zwar nicht süchtig sind, aber Alkohol in schädlichem Ausmaß konsumieren. Gerade diese Gruppe ist aufgrund ihrer Größe von 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung gesundheitspolitisch relevant, legt Prim. Univ.-Doz. Dr. Christian Haring, Primar des Psychiatrischen Krankenhauses des Landes Tirol sowie Obmann und Mitbegründer des Vereins BIN, die erschreckenden Zahlen auf den Tisch.

Jeder fünfte Österreicher hat Alkoholproblem
Zusammengefasst bedeutet dies, das jeder fünfte Österreicher einen problematischen Alkoholkonsum aufweist oder bereits abhängig ist. In absoluten Zahlen sind dies ca. 330.000 Süchtige und weitere 900.000 gefährdete Personen. Auch Frauen begeben sich in letzter Zeit verstärkt in Behandlung, für Dr. Haring hat dies aber nur begrenzt Aussagekraft: Es gibt keine wirklich repräsentativen Studien zu diesem Thema. Wir können nur aus unserer Klinikerfahrung sprechen, wie es in der Bevölkerung aber wirklich ausschaut wissen wir nicht. Gerade Frauen begeben sich zum Beispiel deutlich schneller in Behandlung, während es bei Männern oft Jahre und Jahrzehnte dauert.

Kritisch sieht Dr. Haring den Medienrummel um das sogenannte Koma-Saufen von Jugendlichen. Entstanden ist der Begriff bei einer Tagung in Wien zum Thema Jugend und Sucht. Damals wurde festgestellt, dass es eigentlich kein besonderes Problem bei Jugendlichen gäbe. Das einzige war eine Angleichung des Trinkverhaltens von jungen Frauen an das von Männern, das aber im Rahmen der generellen Gesellschaftsentwicklung zu sehen ist. Im Zuge der Globalisierung findet ebenfalls eine Vereinheitlichung des Trinkverhaltens statt. Gab es früher im Süden eher Spiegeltrinker, setzt sich nun europaweit das Rauschtrinken durch, und das auch bei Jugendlichen. Dem steht aber grundsätzlich eine Reduktion des Pro-Kopf-Verbrauchs an Alkohol entgegen, erläutert der Experte die Entwicklung der vergangenen Jahre. Feststellbar sei eine dem Zeitgeist entsprechende Intensivierung, aber nicht Häufung des Trinkverhaltens. Unter der Woche wird also brav gearbeitet, dafür am Wochenende ordentlich Gas gegeben, bringt es Dr. Haring auf den Punkt. Die massive Berichterstattung über sich besinnungslos trinkende Jugendliche habe letztendlich keinen präventiven, sondern einen eher animierenden Effekt gehabt.

Alkoholismus nicht gesellschaftsbedingt
Auffällig ist, dass es europaweit unabhängig von der jeweiligen Gesellschaft etwa fünf Prozent Alkoholkranke gibt. Auch in Skandinavien, wo die Alkohopreise sehr hoch sind, gibt es diese Anzahl. Was man allerdings sehr wohl über den Preis beeinflussen kann, ist der schädliche Gebrauch unterhalb der Suchtschwelle, relativiert Dr. Haring den Effekt von steuerlichen Maßnahmen. In Deutschland etwa war es nach der Debatte ums Koma-Saufen zu einer Sonderbesteuerung von sogenannten Alkopops, also süßen alkoholischen Mixgetränken speziell für Jugendliche, gekommen.

Prävention durch Genusstraining
Alkoholismus beginnt zwar oftmals im Jugendalter, kann sich aber in jeder Lebensphase entwickeln. Eine Anhebung des gesetzlichen Mindestalters sei deshalb keine geeignete präventive Maßnahme, sondern würde es für Jugendliche nur noch interessanter machen zu trinken, glaubt Dr. Haring. Alkohol ist Teil unserer Gesellschaft, und die Jugendlichen müssen lernen damit umzugehen. Dabei könnten sie etwa durch ein Genusstraining unterstützt werden, plädiert er für informierende und erzieherische Maßnahmen.

Unterschätzte Gefahr Medikamentensucht
Besonders schnell kann es zu einer Abhängigkeit von Beruhigungs-, Schmerz- und Schlafmitteln kommen, mitunter schon innerhalb weniger Wochen. Warum diese Medikamente dennoch verschrieben werden, erklärt Dr. Haring so: Den Ärzten bleibt aufgrund der permanenten Überlastung oftmals nichts anderes übrig. Mit 140 Patienten am Tag bleibt kaum Zeit für ein ausführliches Gespräch, also wird verschrieben, was schnell hilft. Und ist der Patient erst einmal abhängig, ist es sehr schwer, ihm das Medikament vorzuenthalten. Die Problemeinsicht beim Patienten sei selten gegeben, schließlich würden Medikamente ja als etwas grundsätzlich Positives wahrgenommen. Dabei verläuft die Schädigung des Gehirns bei Medikamentenmissbrauch deutlich stärker als bei Alkohol.

Sucht oftmals Folge psychischer Erkrankungen
Die Ursachen für Suchtverhalten liegen oftmals in psychischen Erkrankungen wie etwa Depressionen. Der Betroffene erkennt, dass etwa Alkohol zu einer kurzfristigen Verbesserung der Symp-tome führt. Im Zuge einer Art unbewussten Selbstbehandlung versucht er, mittels der jeweiligen Substanz seinen Zustand zu verbessern, was aber scheitert. Meiner Erfahrung nach sind es an die 70 % der Suchtkranken, die in Wahrheit an einer psychischen Störung leiden, schätzt Dr. Haring den Anteil als sehr hoch ein.

Zur Sache
Schwierige Therapie

Die erste Phase einer Therapie bei Alkoholismus ist der körperliche Entzug. Wird der Alkohol abrupt abgesetzt, kann es zu heftigen bis sogar lebensgefährlichen Entzugserscheinungen, dem sogenannten Delirium tremens, kommen. Deshalb muss dieser Prozess unbedingt unter ärztlicher Aufsicht, eventuell in einer speziellen Entgiftungsklinik, stattfinden. Der Prozess dauert etwa 14 Tage und die Entzugssymptome können zum Teil mit Medikamenten gelindert werden.

Anschließend an den Entzug beginnt die eigentliche Therapie. Wird diese nur ambulant durchgeführt, liegt die Rückfallquote bei bis zu 90 %. Nur durch eine intensive Kombination von psychologischen und sozialtherapeutischen Maßnahmen wie etwa Selbsthilfegruppen steigt die Erfolgsquote. Eher neu ist die Behandlung mit Medikamenten, welche die durch den Alkohol verursachten Veränderungen im Gehirn rückgängig machen und die psychischen Entzugserscheinungen lindern sollen. Ebenfalls in Gebrauch ist ein Substanz, die eine Unverträglichkeit von Alkohol hervorruft und somit den genussvollen Konsum unmöglich macht. Weitere Substanzen sind in der Erprobung.

Erschienen am 17.06.09

Alkohol | Foto: Foto: istockphoto
Medikamente | Foto: Foto: istockphoto
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Christian-Haring
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