Hildegard Lernt Fliegen
„Live haben wir die Zuschauer bislang stets durch eine dynamische Dramaturgie gefesselt“, sagt Sänger Andreas Schaerer, „also anfangs eher dezente Stücke gespielt, um die Leute letztlich zu kollektiven Improvisationen und komplexeren Kompositionen zu führen. Bei The Fundamental Rhythm of Unpolished Brains sind wir aus diesem Korsett mal ausgebrochen.“ So spiegelt Hildegards viertes Album zu gleichen Teilen pure Spielfreude und selbstbewusste Souveränität. „Man muss das Publikum nicht immer mit Seidenhandschuhen anfassen,“ glaubt Schaerer und geht dabei auch von sich aus.
Die Energie des Sextetts ist auf jeden Fall positiv, in übermütigen wie in nuancierten Passagen. Scharfkantige oder atmosphärische Bläsersätze, cool-lässige Attitüde und Detailschärfe, ausgeklügelte Kontraste und überraschende Assoziationen zeigen die Flexibilität aller Musiker. Wer Hildegard lernt Fliegen jemals bei einem ihrer packenden Konzerte gesehen hat, wird die enorme Bühnenpräsenz der Band kaum vergessen. Nicht von ungefähr tourte sie bereits in Russland und China, begeisterte das verwöhnte Londoner Publikum, spielte bei europäischen Festivals, in Theatern und in Underground-Clubs.
Am meisten verblüfft Andreas Schaerers ungewöhnliche Ausdruckskraft und akrobatische Spannweite seiner Stimme. Mal klingt er wie der insistierende Zeremonienmeister eines Zirkus, mal schraubt sich sein Gesang in exaltierte Höhenlagen. Dazwischen streut er irrwitzige Scats, Beatbox-Phrasen und lautmalerische Kapriolen. Natürlich hat Schaerer das studiert, ebenso wie Komposition. Er liebt Songschreiber wie Tom Waits, Bob Dylan und Nick Drake; seine Jugend mit Pink Floyd klingt gelegentlich noch als fernes Echo in Hildegards Musik an, ebenso seine Verehrung für Gil Evans. Die raffinierten rhythmischen Kniffe basieren hingegen auf osteuropäischen Einflüssen, von denen die gesamte Band infiziert ist.
Gewitzt setzt Hildegard lernt Fliegen ängstlichen Biedermeiern frische Ideen entgegen, stürzt sich als Sandkorn ins Getriebe des Gleichklangs. Die Band lässt Konventionen hinter sich, erhebt Nonkonformismus nicht zum Dogma und zeigt bei aller Präzision umwerfenden Witz. Für Hildegards hinreißende Frechheiten weiß Andreas Schaerer eine griffige Formel: „im Jazz gibt’s kein richtig oder falsch!“
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