Architektur am Körper
Keiner muss mehr nackt gehen. Aber zwischen nackt und vorzüglich gekleidet ist ein großer Unterschied. So lautet die Devise von Ruth Sprenger. Hohe Ansprüche stellt die Schneiderin nicht nur an ihre Werke, sondern auch an sich.
(wen). Völlig mit sich in Einklang, sitzt Ruth Sprenger vor einer ihrer acht Nähmaschinen in ihrem Atelier in der Liniengasse. Bereits als kleines Mädchen hat sie sich von ihrer Tante, die Schneiderin war, die ersten Kniffe des für sie „schönsten Handwerks der Welt“ abgeschaut. Bis zu ihrem eigenen Atelier war es dennoch ein langer Weg. „Nach der HTL für Textilbetriebstechnik habe ich eine völlig andere Richtung eingeschlagen und Philosophie und Germanistik studiert“, so die gebürtige Dornbirnerin.
Rückkehr zur Schneiderei
Ohne die Schneiderei hat es die 38-Jährige aber nicht lange ausgehalten. „Ich habe zwar nebenbei immer geschneidert – für mich und meine zwei Kinder –, wollte das Handwerk aber verfeinern und habe mich deshalb entschlossen, die Meisterprüfung für Damenkleidermacher abzulegen“, erzählt die in ein perfektes kleines Schwarzes gehüllte Dame. Im Vorbereitungskurs zur Meisterprüfung ermutigte sie Schneidermeister Anton Zdrazil 2005 zur Anfertigung eines ersten Maßsakkos. Der Beginn der großen Liebe zur Herrenmode.
Der größte Glücksfall ihres Lebens aber war, als sie ihre Kunst beim Wiener Meisterschneider Alfred Konsal verfeinern durfte. „Ich war seine erste Schülerin seit 38 Jahren und zugleich seine letzte“, lacht Sprenger und ihre blauen Augen blitzen verschmitzt durch ihre randlose Brille. Nach Konsals Pensionierung übernahm Sprenger seinen Salon für Maßschneiderei in der Neubaugasse. Doch zahlreiche Mieterhöhungen machten ihr das Überleben schwer. Nach langer Suche fand sie die Räumlichkeiten in der Liniengasse 46: Geräumig und hell, ein idealer Ort, um Kunstwerke auf den Körper zu schneidern. „Ich arbeite und lebe jetzt nah am schönsten Ort meines Lebens – Konsals Salon“, führt Sprenger weiter fort und fügt hinzu: „Der sechste Bezirk ist für mich ideal. Zentral und doch grün.“
Dass ihr Salon dennoch relativ versteckt liegt, stört die passionierte Anzugträgerin nicht. „Zu mir kommen ganz verschiedene Personen. Männer, die den perfekten Anzug suchen, ebenso wie Damen, die komplizierte Änderungswünsche haben, und neugierige Personen, die einfach den Kopf in die Tür stecken. Aber egal ob Anzug oder Änderung, den Respekt vor dem Handwerk werde ich nie verlieren.“ Im Gegensatz zu vielen größeren Maßschneidereien, die mit ihrem Konzept „Maß in Masse“ das Image der Schneiderzunft zerstören.
Philosophie des Schneiderns
Schneiderin, Philosophin und Autorin des Buches „Die hohe Kunst der Herrenkleidermacher“: Man könnte Ruth Sprenger, die vom Typ her etwas an Audrey Hepburn erinnert, durchaus als Multitalent bezeichnen. „Ich war von der Schönheit, die ich bei Konsal gesehen habe, so gefesselt, dass ich nicht mehr schweigen konnte.
Es war also eine Notwendigkeit, dieses Buch zu schreiben“, erzählt Sprenger mit großem Enthusiasmus.
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